Ursachenforschung

Warum Internetradio hinter seinen Möglichkeiten zurück bleibt

Senderchefs und Vermarkter loben Internetradio in den höchsten Tönen, während sie das digital-terrestrische Radio DAB+ häufig ablehnen. Doch ist Internetradio tatsächlich so erfolgreich? Wir haben einen Blick in die aktuelle Funkanalyse Bayern geworfen.
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Warum Internetradio hinter seinen Möglichkeiten zurück bleibt Warum Internetradio hinter seinen Möglichkeiten zurück bleibt
Bild: dpa
Die Zukunft des Radios liegt im Internet. So betonen es viele Geschäftsführer und Programmchefs großer Privatradios und deren Vermarkter. Zugleich verweisen sie auf angebliche Erfolge beim Streaming und lehnen das digital-terrestrische Radio DAB+ nicht selten als bisherigen Misserfolg ab. Mit dem Verbreitungsweg DAB+ ließe sich kein Geschäftsmodell entwickeln, sagte zuletzt erst wieder Florian Ruckert, Geschäftsführer des größten deutschen Radiovermarkters RMS, in einem Interview mit dem Branchendienst "Meedia". Die Hördauer werde heute vor allem durch Streaming-Angebote in neuen Nutzungssituationen vergrößert. Der Konsument sei "offensichtlich eher bereit, in Smartphones, WLAN-Multiroom-Anlagen oder Connected Car zu investieren als sich ein einzelnes DAB-Empfangsgerät zu kaufen".

Nur: Wird Internetradio tatsächlich derart intensiv genutzt, wie Ruckert es betont? In dieser Woche wurde die Funkanalyse Bayern veröffentlicht. Keine Statistik in Deutschland beschäftigt sich derart intensiv mit dem Thema Radionutzung. Auf den ersten Blick sagt die Statistik aus, dass Internetradio tatsächlich stark wächst. So schalten 2016 28,9 Prozent der Bayern mindestens einmal der Woche eine Internetradiostation ein, 2015 waren es nur 19,3 Prozent. Im Vergleich dazu hören aktuell nur 12,3 Prozent der Bayern mindestens einmal pro Woche eine Station über DAB+ (2015: 7,9 Prozent). Klarer Sieg also für das Internetradio, könnte man meinen.

DAB+ überholt Internetradio bei der täglichen Nutzung

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Ganz anders sieht es aber in der täglichen Nutzung aus. Hier sagen nur 5,2 Prozent, das sie eine Radiostation über Internet hören. DAB+ hat in dieser Messgröße das IP-Radio überholt: 5,7 Prozent der Bayern hören täglich Radio digital-terrestrisch. Fast jeder in Bayern besitzt in den Haushalten einen PC oder ein Notebook sowie ein Smartphone oder Tablet, die potenzielle Reichweite liegt bei weit über 90 Prozent. Dagegen steht nur in 15,5 Prozent der Haushalte bisher ein DAB+-Gerät. Daraus folgt: Zwar gibt es insgesamt mehr Menschen, die Radio auch übers Internet hören. Wer aber bereits ein DAB+-Gerät besitzt, hört damit viel länger und öfter Radio.

Branchenprimus ist weiterhin mit deutlichem Abstand das analoge UKW, das auf eine Wochenreichweite von 79,3 Prozent kommt, bei nur leicht sinkenden Zahlen vor allem bei jüngeren Hörern. Ein Grund für die bislang vergleichsweise mäßige Nutzung von Internetradio ist also offenbar die Zufriedenheit mit dem Angebot auf UKW. Obwohl fast jeder zu Hause mehr als 400 000 Radiosender übers Internet hören könnte, reizt er diese Möglichkeit nicht aus. Der Grund könnte Gewohnheit und zum Teil auch Bequemlichkeit sein: Einen PC oder ein Notebook muss man zunächst hochfahren, und auf einem Smartphone oder Tablet muss man erst die entsprechende App starten. Wer morgens vor dem Weg auf die Arbeit noch schnell bei einer Tasse Kaffee die Nachrichten hören will hat auch keine Zeit eine Bluetooth-Verbindung mit einem Drahtloslautsprecher einzurichten. Ein Kofferradio muss man dagegen nur einschalten und es läuft sofort. Zumeist erfolgt das noch klassisch übers analoge UKW, wer bereits ein Radio mit DAB+ besitzt, nutzt vorrangig diesen Verbreitungsweg.

Fehlende echte Flatrates beim Mobilfunk als großes Manko

Laut Funkanalyse Bayern wird Internetradio in erster Linie auf Smartphones gehört, aber nur 31 Prozent geben an es unterwegs zu nutzen. Die User verwenden die Mobilgeräte öfter für Musikstreaming von Anbietern wie Spotify als zum Hören von linearen Radiostationen. Hieraus resultiert ein weiterer Grund, warum sich Internetradio in der täglichen Nutzung nicht durchsetzt: Die neue Konkurrenz durch Streaming. Es fehlen zudem "echte" Flatrates beim Mobilfunk. Wer nur 200 MB Highspeed-Volumen pro Monat besitzt, wird im Schnitt spätestens nach einer Stunde in der Geschwindigkeit gedrosselt. Die meisten Internetstreams laufen anschließend nicht mehr. Typisch deutsche Geschäftsmodelle sorgen also für Restriktionen bei der Webradio-Nutzung. In vielen anderen Ländern ist das anders: In den USA gibt es etwa so genanntes "Zero-Rating": Alle beliebten Video- und Audio-Portale, etwa der führende Webradio-Aggregator TuneIn, stehen unbegrenzt ohne Mehrkosten in Highspeed mobil zur Verfügung. In Deutschland ist das nicht zu erwarten, da die Kundschaft die Datendrossel akzeptiert hat und die Mobilfunkunternehmen mit diesem Geschäftsmodell satte Gewinne einfahren. Änderungsbedarf bei der Geschäftspolitik besteht also nicht.

Am Ende kann man konstatieren: Zwar werden Internetstreams heute öfter eingeschaltet, die tägliche Nutzung ist aber angesichts der potenziellen Reichweite extrem gering. Smartphones, Notebooks, Tablets oder PCs sind potenzielle Internetradios, zum Radiohören werden sie aber tatsächlich nur eher selten genutzt.

Internetradio wegen personalisierter Werbung wichtiger

Florian Ruckert vom Vermarkter RMS lässt aber auch durchblicken, worum es bei der Befürwortung des Internetradios gegenüber DAB+ tatsächlich geht. Aus Vermarktungsperspektive sei Internetradio-Streaming viel wichtiger, weil Hörer individuell mit Werbung ausgestattet werden können. "Das ist eine tolle Innovation des Audiowerbeproduktes und von der Wertschöpfung her interessanter, da Werbungtreibende und Sender alle Vorteile von IP/onlinebasierter Werbung genießen. Sie können über Rückkoppelung feststellen, wer ihre Nutzer sind. Dies ist bei DAB+ nicht möglich."

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