Nokia 3310 im Test: Gutes Retro-Telefon - aber wer braucht es?
Rund um die Wiedereinführung des Nokia 3310 durch HMD, den neuen Lizenznehmer der Gerätemarke Nokia, hat sich ein regelrechter Retro-Hype entwickelt. Ohne Frage: Alte Nokia-Handys erfreuen sich bei Wenigtelefonierern nach wie vor einer gewissen Beliebtheit, denn sie sind einfach zu bedienen, haben eine gute Sprachqualität - und der Akku hält meist länger als bei jedem Smartphone.
Nachdem wir nun ein neues Nokia 3310 zum Test erhalten sowie ausgepackt und eingerichtet hatten, stellten wir uns die Frage: Kann HMD mit dem neuen Nokia 3310 wirklich an die Erfolge der alten Nokia-Handys anknüpfen? Und was erhält der Käufer für den Verkaufspreis von rund 60 Euro?
Nokia 3310 im Test
Bild: teltarif.de / Alexander Kuch
Gehäuse, Haptik, Verarbeitung und Display
Bei einem genaueren Blick auf das Nokia 3310 müssen wir feststellen, dass es - wie schon auf dem MWC festgestellt - nicht so gut verarbeitet ist wie die alten Nokia-Handys. Der Deckel lässt sich zwar gut abnehmen und wieder aufsetzen, wirklich perfekt sitzt er aber nicht. Auf allen vier Schmalseiten sind Spaltmaße zu sehen.
Versucht man, das Gehäuse zu drücken oder zu biegen, hört man zwar kein lautes Knacken, aber immerhin ein leises Knistern. Von der Form her ist das Nokia 3310 sehr filigran und liegt eigentlich gut in der Hand. Nicht so gut gefällt uns allerdings die glänzende Oberfläche. Die meisten Nokia-Handys der 3xxx-er und 6xxx-er Serie hatten zwar genau diese Form, aber eine matte und deutlich griffigere Oberfläche.
Tastatur: Guter Druckpunkt, schlechte Beleuchtung
Bild: teltarif.de / Alexander Kuch
Dies hat zwei negative Auswirkungen: Zum einen liegt das Handy nicht ganz rutschsicher in der Hand, für eine weitere Neuauflage würden wir dringend ein mattes, etwas angerautes Gehäuse empfehlen. Und zum anderen ist das Handy schon nach wenigen Minuten Nutzungszeit mit Fingerabdrücken übersät, selbst wenn man keine ausgeprägten Schweißhände hat.
Das Display ist gut lesbar, solange man sich im klassischen Handy-Menü bewegt, auch bei direkter Sonneneinstrahlung hatten wir keine Probleme mit der Lesbarkeit. In den Apps sind die Schriftarten dann allerdings mitunter recht klein und von sehbehinderten Personen nur schwer zu entziffern.
App-Menü des Nokia 3310
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Anschlüsse, Tasten und Bedienung
Das Äußere des Handys bietet ansonsten wenig Spektakuläres: Auf der oberen Schmalseite ist der Micro-USB-Anschluss, auf der unteren Schmalseite der Klinkenanschluss - also genau umgekehrt wie bei den alten Nokias. Auf der Rückseite liegt das Kameramodul mit dem Blitz, darüber die Lautsprecheröffnung.
Gut gefallen hat uns die Tastatur des Nokia 3310 - diese ist qualitativ mit den alten Nokias vergleichbar. Die Tasten haben einen guten Druckpunkt und wirken nicht so, also ob sie bereits nach ein paar Monaten ausgeleiert sein werden. Die Tastenanordnung ist wie früher: Um die Hauptauswahltaste in der Mitte gibt es einen Ring-Button. HMD hat beim neuen Nokia 3310 allerdings die Menütasten nicht sauber von den Hörertasten getrennt. Die beiden Menütasten beziehen sich immer auf die im Menü angezeigte Funktion, allerdings kann es beim ungenauen Drücken vorkommen, dass man stattdessen die Hörertasten-Funktion erwischt und umgekehrt.
Für einen wirklich groben Fehler halten wir die weiße Hintergrundbeleuchtung der weißen Tasten. Ist diese aus, ist die graue Beschriftung auf den weißen Tasten sehr gut lesbar. Leuchtet sie allerdings, sind die Beschriftungen praktisch nicht mehr lesbar. Das hätte HMD besser lösen müssen, beispielsweise mit blauen statt weißen LED.
Auch bei der beiliegenden Kurzanleitung hat HMD die Zielgruppe der Senioren, die vielleicht nur ein Notfallhandy für die Schublade benötigt, sträflich vernachlässigt. Mit Ausnahme der Zwischenüberschriften sind die Texte so klein gedruckt, dass sie selbst für Normalsichtige nur mit einer Lupe wirklich gut zu lesen sind.
Kernkompetenz Telefonieren & entscheidender Schwachpunkt
Smartphone-Nutzer fragen sich seit dem Erscheinen des Nokia 3310: Wofür gibt es dieses Handy? Nach unserem Test können wir dafür eine klare Antwort geben: Zum Telefonieren. Denn das ist die absolute Kernkompetenz des Telefons. Bei unseren Test-Telefonaten im Vodafone-Netz konnten wir den Gesprächspartner stets in einer glasklaren Sprachqualität ganz ohne Stockungen, Aussetzer und Hintergrundrauschen hören. Billige Smartphones müssen sich anstrengen, um eine derartige Sprachqualität zu erreichen, obwohl Smartphones per UMTS oder VoLTE kommunizieren, während das Nokia 3310 nur GSM beherrscht.
Im Menü des Telefons gibt es übrigens die üblichen Anruflisten sowie ein Telefonbuch. In den Einstellungen können auch Telefonnummern gesperrt werden, beispielsweise bei belästigenden Anrufen.
Das Schreiben von SMS funktioniert wie in alten Zeiten über die Zifferntastatur. Ein T9-Wörterbuch, also eine Eingabehilfe, gibt es auch, dieses ist aber standardmäßig ausgeschaltet. Über die Optionen im SMS-Menü lässt es sich aktivieren. Eine Technik zur Sprachsteuerung beherrscht das Nokia 3310 nicht.
Kameramodul mit Blitz und Lautsprecher
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Schwachpunkte: Viel zu kleiner Speicher und Kamera
Eigentlich bietet das Nokia 3310 funktionstechnisch viel mehr als seine Vorgänger - aber leider hat HMD einen entscheidenden Fehler gemacht: Das Nokia 3310 hat einen viel zu kleinen Speicher von nur 16 MB (in Worten: Megabyte). Es gibt zwar einen microSD-Steckkartenplatz mit Unterstützung von Speicherkarten bis zu 32 GB Kapazität, ohne eine derartige Speicherkarte sind allerdings viele Funktionen des Geräts absolut sinnlos.
Beispielsweise konnten wir mit der Kamera exakt drei Fotos aufnehmen, bis das Handy signalisierte: "Speicher voll". Ab diesem Zeitpunkt begann das Telefon dann damit, uns bei vielen Tätigkeiten mit Fehlermeldungen zu terrorisieren. Selbst wenn das Telefon unbenutzt herumlag, kam regelmäßig die sinnfreie Meldung, der SMS-Speicher sei voll. Dabei hatten wir von unserem Provider lediglich drei Kurzmitteilungen erhalten.
Fotografieren mit der Kamera: Ohne Speicherkarte sinnlos
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So kamen wir auf die glorreiche Idee, die Fotos vom Handy herunterzukopieren. Dies scheiterte allerdings, weil unser Windows-Laptop keine Treiber für das Nokia 3310 finden konnte, auch bei einer Suche im Internet nicht. Per Micro-USB-Kabel blieb uns also der Zugriff auf den Speicher verwehrt. Dann versuchten wir, eine Bluetooth-Verbindung zu anderen Smartphones und zum Laptop aufzubauen - doch das war vergebens. Keines der Geräte konnte das direkt daneben liegende Nokia 3310 finden und eine Bluetooth-Verbindung herstellen. Normalerweise ist das mit den von uns genutzten Geräten kein Problem.
Ein mit der Kamera aufgenommenes Foto
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Die von der 2-Megapixel-Kamera aufgenommenen Fotos waren pixelig und zeigten Verzerrungen und Farbveränderungen, sogar bei gutem Wetter. Es gibt also keinen Grund, die Kamera zu benutzen, nicht einmal für Schnappschüsse oder Erinnerungsfotos. Für einen geringen Aufpreis bekommt man bereits ein vollwertiges Smartphone mit einer besseren Ausstattung.
Internet, Apps, Appstore, Akkulaufzeit & Fazit
Das ganze Ausmaß der Speicher-Misere zeigt sich dann, wenn man mit dem Nokia 3310 auf das Internet zugreifen möchte. Dies geht an mehreren Stellen. Zunächst ist da der Opera Mini als Browser. Dieser ist ab Werk aber offenbar nicht vollständig installiert, sondern muss bei der ersten Verwendung nochmals Komponenten oder Updates nachladen. Doch das Handy baute trotz korrektem APN nicht einmal eine Verbindung auf, weil zu wenig Platz für den Download vorhanden war.
Ohne microSD beginnt der Terror mit den Fehlermeldungen
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Also versuchten wir, bereits auf dem Telefon vorinstallierte Apps wie die Wetter-App zu nutzen. Diese begrüßte uns allerdings auch mit dem Hinweis, sie sei nicht aktuell und müsse aktualisiert werden. Die App nahm zwar Verbindung mit dem Internet auf, meldete aber dann ebenfalls, der Speicherplatz wäre für ein Update zu gering. Die vorinstallierte App zeigte darum niemals Wetterdaten an.
Das einzige Mal, dass wir wirklich aktiv auf das Internet zugreifen konnten, war über den Appstore. Hier zeigte uns der Store Übersichten von Spielen an, die man herunterladen könne. An regulären Apps wurden uns Twitter, Facebook Messenger, Yahoo News, Facebook-App und MSN Weather vorgeschlagen - also exakt fünf Apps. Herunterladen und installieren konnten wir davon allerdings keine - aufgrund des fehlenden Speicherplatzes.
Wer die genannten Funktionen also ohne Speicherkarte nutzen will, wird keinen Erfolg haben und stattdessen mit einer Flut von Fehlermeldungen bombardiert werden. In dieser Disziplin ist das Nokia 3310 also eine echte Spaßbremse.
Apps vorhanden, aber kein Speicher dafür auf dem Telefon
Bild: teltarif.de / Alexander Kuch
Akkulaufzeit: Länger als bei einem Smartphone
Der wechselbare 1200-mAh-Akku des Nokia 3310 bietet laut HMD eine maximale Sprechzeit von bis zu 22 Stunden, im Standby soll das Telefon bis zu 31 Tage durchhalten. Das konnten wir natürlich noch nicht testen, weil das Nokia 3310 noch gar keine 31 Tage auf dem Markt ist. Benutzt man es täglich aber mehrmals, hält der Akku maximal eine Woche durch.
Als MP3-Wiedergabezeit gibt Nokia bis zu 51 Stunden und als UKW-Radio-Wiedergabezeit maximal 39 Stunden an. Diese Faustregel können wir bestätigen: Wird das Nokia 3310 viel genutzt, muss es spätestens nach etwa zwei bis drei Tagen wieder ans Ladegerät. Wer es unbenutzt für Notfälle in der Schublade liegen lässt, sollte mindestens zweimal monatlich den Akku laden.
Neuauflage von Snake auf dem Nokia 3310
Bild: teltarif.de / Alexander Kuch
Fazit: Telefonieren kann es - und das war es auch
"Nokia 3310 - das Original": Diesen Werbespruch kann HMD nicht erfüllen. Das Nokia 3310 hat zwar optisch und von der Bedienung her den schon öfters erwähnten Kultfaktor - und telefonieren kann es ganz besonders gut. Wer also wirklich nur ein gutes Mobiltelefon zum Telefonieren sucht, kann beim Nokia 3310 bedenkenlos zugreifen.
Kunden, die allerdings der Meinung sind, sie könnten auch die weiteren Funktionen des Telefons nutzen, werden eines Besseren belehrt: Ohne den Kauf einer separaten Speicherkarte geht so gut wie gar nichts - weder die Kamera noch das Internet oder Apps lassen sich nutzen. Komplett verzichtbar ist übrigens die Kamera, die nicht einmal für Schnappschüsse taugt.
Technisch ausgereiftere Einfach-Telefone gibt es bei anderen Anbietern. In einer großen Übersicht zeigen wir aktuelle Klapphandys diverser Hersteller.