Regiocast: "UKW spielt noch zentrale Rolle"
Kommt schon bald das Ende für den analogen UKW-Standard? Diese Frage muss man natürlich zunächst den privaten Radiosendern stellen, denn sie sind bislang wirtschaftlich besonders von den Hörern auf UKW abhängig. Dirk van Loh, Geschäftsführer der privaten Sendergruppe Regiocast, glaubt zumindest nicht an ein schnelles Ende des analogen Radioempfangs. Unter anderem darüber haben wir mit ihm in einem teltarif.de-Exklusivinterview gesprochen.
Dirk van Loh ist Geschäftsführer des Radionetzwerks REGIOCAST
Foto: REGIOCAST GmbH
teltarif.de: Herr van Loh, der Digitalradiostandard DAB+ konnte bislang in Deutschland nicht richtig zünden. Nun gewinnt das Thema mit dem zweiten Bundesmux noch einmal an Fahrt. Ist das aus Ihrer Perspektive nun womöglich doch endlich der erwartete Sargnagel für das analoge UKW?
Dirk van Loh: Meine Wahrnehmung ist, dass DAB+ in den vergangenen Jahren in Deutschland bereits gezündet hat. Das belegen diverse Zahlen, wie zuletzt der diesjährige Digitalisierungsbericht Audio der Landesmedienanstalten, sowie die gute Performance vieler Programmangebote, die seit einigen Jahren über den MUX 1 bundesweit zu empfangen sind. Die fortlaufende Nutzung des DAB+-Verbreitungswegs durch regional bestehende und auch neue Programme, führt zu einer stetigen Verbesserung der Angebotsvielfalt und damit wachsenden Motivation der Menschen, sich ein DAB+-fähiges Gerät zu kaufen. Zusätzliche Argumente dafür liefert der nun startende bundesweite MUX 2 mit neu hinzukommenden Programmangeboten. Dass das analoge UKW als Übertragungsweg seine bislang dominierende Rolle täglich ein wenig mehr verliert, ist ein Fakt. Im Sarg sehe ich UKW aber noch lange nicht liegen. Nach wie vor spielt UKW die zentrale Rolle, wenn es darum geht, eine entsprechende Reichweite bei den Menschen und damit eine Relevanz im Werbemarkt aufzubauen.
teltarif.de: Das Herz von Regiocast sind regionale Radiostationen wie R.SH in Schleswig-Holstein und Radio PSR in Sachsen. Allerdings setzt Ihr Unternehmen zunehmend auf bundesweite Spartenprogramme, wie beispielsweise 80s80s, RADIO BOB! oder Schlager Planet Radio. Diese Programme werden teilweise über DAB+ oder auch primär im Web gestreamt. Welcher Verbreitungsweg ist für Sie die Zukunft?
Dirk van Loh: Wir setzen in der Tat auf starke, in der Region verwurzelte Marken, die unseres Erachtens auch in der digitalen Angebotswelt regional eine Zukunft haben. National konzentrieren wir uns hingegen auf Formate für spitzere Zielgruppen. Die "Zukunft" ist für uns nicht maßgeblich verbreitungsspezifisch bestimmt. Die aktuell genutzten Verbreitungswege haben alle ihre Vor- und Nachteile und wir entscheiden markenspezifisch, welche Verbreitungswege wir für welches Angebot nutzen. Zudem ergeben sich bei DAB+ und vor allem UKW lizenzrechtliche Fragen. Hinzu kommt, dass die UKW-Ressourcen nahezu vollständig vergeben sind. Wenn wir "Zukunft" über fünf Jahre hinaus begreifen, werden IP-gestützte Geschäftsmodelle an Bedeutung gewinnen. Dafür sorgen allein die sich digitalisierenden Haushalte sowie der Werbemarkt.
teltarif.de: Egal ob UKW oder DAB+: Rundfunkfrequenzen werden auf Landesebene für eine begrenzte Zeit ausgeschrieben. Hier ist natürlich nie garantiert, dass Sie bei einer Bewerbung auch den Zuschlag bekommen. Diesem Prozedere kann man doch als Webradio bequem aus dem Weg gehen. Von daher wäre es für Sie doch sicher wünschenswert, wenn noch mehr Hörer Internetradio-Angebote nutzen.
Dirk van Loh: Wir freuen uns über jeden Hörer, der eines unserer Angebote nutzt - egal über welchen Weg er zu uns kommt. Die Transformation der Audionutzung ist im vollen Gange und jeden Tag nutzen mehr Menschen IP-Geräte, um Hörangebote zu konsumieren. Diese gesamte Entwicklung begrüßen wir außerordentlich. Für Regiocast ist jeder digitale Hörer, im Sinne von IP, mehr "wert", als ein analoger, da wir im Rahmen der digitalen Nutzung unserer Angebote mehr über den Hörer erfahren. Digitale Hörer können wir zielgruppenspezifischer ansprechen und besser auf ihre Wünsche eingehen. Vermarktungsseitig betrachtet sind wir somit in der Lage mit digitalen Hörern am Werbemarkt höhere Preise zu erwirtschaften. Dies gilt für neue, wie auch für unsere traditionellen Audioangebote.
teltarif.de: Auffällig ist, dass Regiocast eher "kleinere" Märkte im Nordosten bedient. Im Fokus stehen dabei Länder wie Schleswig-Holstein, Hessen oder Sachsen. Die beiden "großen" Bundesländer NRW und Bayern sind für Sie keine attraktiven Standorte? Zumal ja gerade in NRW auch eine landesweite DAB+-Kette ausgeschrieben wird.
Dirk van Loh: Das hat ausschließlich historische Gründe. Die Regiocast entstand aus dem Zusammenschluss von R.SH und RADIO PSR. So sehr ich die Bundesländer mag, in denen wir agieren, so wäre es wirtschaftlich für uns natürlich deutlich lukrativer in Märkten wie NRW, Baden-Württemberg oder Bayern ähnlich erfolgreiche Marken zu haben, wie bspw. R.SH in Schleswig-Holstein. Mit unseren wachsenden digitalen Angeboten richten wir uns aber völlig Bundesland unabhängig an die entsprechenden Zielgruppen. RADIO BOB! ist beispielsweise ein Format für Fans von Rockmusik und wird bereits auch nennenswert in NRW und Bayern gehört. Digital erzielt RADIO BOB! mit seinen vielgenutzten Streamingangeboten die mit Abstand höchsten Zahlen in NRW. Unseren erfolgreichen Podcast "Mit den Waffeln einer Frau" mit Barbara Schöneberger nutzen vor allem Frauen in Großstädten – unabhängig vom Bundesland. Die IP-Nutzung sorgt dafür, dass Ländergrenzen für spitze Zielgruppenangebote keine Rolle mehr spielen. Das ist ein großer Gewinn für das Medium, da es für mehr Angebotsvielfalt sorgt. Nicht ohne Grunde ist das "Hören" als Nutzungsart der Gewinner der Digitalisierung.
teltarif.de: Planen Sie derzeit weitere nationale Hörfunkmarken? Es gibt ja durchaus noch die eine oder andere Marktlücke, welche aktuell noch gar nicht bedient wird. Interessant wäre vielleicht ein privates Nachrichten- bzw. Kulturradio oder eine bundesweite Jazzwelle.
Dirk van Loh: Aktuell planen wir weitere Marken. Jedoch liegt der Fokus bei uns darauf, Regiocast zu einem digital denkenden und agierenden Unternehmen zu entwickeln. Da ergeben sich u.a. viele prozessuale Herausforderungen. Wir wollen neben der Neuentwicklung von Marken auch die bestehenden Programme durch die digitalen Möglichkeiten attraktiv halten und von Radioangeboten zu Audioangeboten entwickeln. Wenn UKW denn wirklich einmal im Sarg landet, soll eine Marke wie R.SH ja nicht gleichzeitig auch auf dem Friedhof landen. Solche regionalen Hör-Marken erneut aufzubauen, ist unmöglich. In der Entwicklung der Radioangebote zu Audioangeboten steckt noch sehr viel Potential, welches die digitale Transformation in allen Lebensbereichen der Gesellschaft und Wirtschaft erst ermöglicht. An dieser Transformation für unsere Audiowelt arbeiten wir.
teltarif.de: Zum Thema Smart Speaker: Wie intensiv werden die Programme von Regiocast auf Alexa und Google Home genutzt?
Dirk van Loh: Das ist natürlich von Marke zu Marke und von Markt zu Markt sehr unterschiedlich. In Mecklenburg-Vorpommern bspw. stehen in den Haushalten weniger Smart Speaker, als in Frankfurt am Main. Dennoch zeigt sich: Je bekannter die Marke, desto höher ist der Anteil der IP-Nutzung über Smart Speaker. Einige unserer Marken kommen bereits auf einen Anteil von rund 25 Prozent der IP-Nutzung über Smart Speaker, andere erreichen nicht einmal fünf Prozent. Insgesamt sehen wir zudem, dass die Nutzungsdauer auf Smart Speakern dabei länger ist, als beispielsweise am PC.
teltarif.de: Sehen Sie die Gefahr, dass Amazon und Google künftig als "Gatekeeper" die Radionutzung kontrollieren und Ihnen den Exklusivzugang zum Hörer nehmen?
Dirk van Loh: Diese Möglichkeit besteht selbstverständlich. Alle Plattformmodelle agieren nach diesem Dominanzgedanken. Und die großen amerikanischen Player agieren hier ja auch durchaus selbstbewusst. Das ist mittlerweile zu einer gesellschaftspolitischen Thematik geworden, die bis in das Fundament unseres demokratischen Gemeinwesens reicht: Private Unternehmen, häufig nicht aus Deutschland, als Gatekeeper, nicht nur für Individualkommunikation, sondern auch für jegliche Form der Meinungsbildung und das ohne jegliche demokratische Legitimation, wie wir sie bspw. im Bereich des Lizenzrechts, der Landesmedienanstalten oder dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk kennen. Ich habe den Eindruck, dass viele demokratisch legitimierte Institutionen in Deutschland und Europa mittlerweile erkannt haben, welche Bedeutung dieses Thema hat. Nur auf dieser Ebene können Fragen, wie die von Ihnen genannte, geklärt werden.
teltarif.de: Als Radiomanager haben Sie selbst einige unterschiedliche Märkte kennengelernt: Neben der Zeit bei Regiocast waren Sie unter anderem bei Radio NRW in Oberhausen und als Vorstandsvorsitzender von Radio Wawa in Polen. Von daher drängt sich eine Frage auf: Lässt sich Radio im digitalen Zeitalter auf lokaler oder regionaler Ebene nicht schwieriger als auf nationaler Ebene ökonomisch realisieren?
Dirk van Loh: Wie schon gesagt, hängt dies von der jeweiligen Marke ab sowie vor allem vom unternehmerischen Willen, diese Marken zu entwickeln. Bekannte regionale Marken haben auch in der digitalen Welt große Potentiale, die über das heutige Wirken hinausgehen. Da gilt es zu investieren, was unternehmerisch auch mal bedeuten kann, Investitionen nicht nur aus dem Cashflow zu finanzieren. Das gilt für nationale Marken sogar noch mehr, weil sie diese aus einer Bekanntheit von null heraus aufbauen müssen. Als Geschäftsführung der Regiocast begrüßen wir es sehr, dass unsere Gesellschafter das auch so sehen. Wir glauben an eine größere Zukunft von Radio und sind bereit, dafür Investitionen zu tätigen und somit die Unternehmensentwicklung voranzutreiben.
teltarif.de: Welche Sender der Regiocast-Gruppe sind aktuell auf welchen Verbreitungswegen besonders stark gehört?
Dirk van Loh: Diese Frage kann man im nicht wirklich sauber beantworten, da die MA Audio, als nach wie vor wichtigste Grundlage für Erfolg und Misserfolg, eine Erinnerungsabfrage ist und die befragten Personen aus der Erinnerung heraus sagen müssen, über welche Verbreitungswege sie ein Programm am Vortag gehört haben. Digital können wir das tatsächliche Nutzungsverhalten natürlich sehr gut beobachten. Hier erzielt RADIO BOB! die mit Abstand höchste Nutzung in unserem Portfolio.
teltarif.de: Einige Formate im Regiocast-Netzwerk hatten keine Zukunft. Dies betraf beispielsweise Radio NORA, das heute nur noch als Webstream existiert. Auch Sky Radio Hessen musste schließlich dem Rocksender RADIO BOB! weichen. Könnte dies auch noch andere Programme treffen oder bleibt ihr aktuelles Portfolio bestehen?
Dirk van Loh: Wir sehen uns mit unserem aktuellen Portfolio gut aufgestellt, auch wenn es immer bei dem einen oder anderen Angebot etwas zu optimieren gibt. Aber natürlich muss ein Unternehmen stets flexibel sein und auf Entwicklungen reagieren können. Neue Angebote sowie durch die digitalen Möglichkeiten verbesserte Bestandsangebote wird es durch Regiocast stets geben.
teltarif.de: Ihr Mitbewerber RTL Radio Deutschland hat in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Content Alliance die Podcast-App "AUDIO NOW" gestartet. Gestreamt werden dort neben Podcasts auch lineare Radiosender bzw. Webradios der RTL Mediengruppe. RTL Radio Deutschland CEO Stephan Schmitter sagte im Gespräch mit teltarif.de, dass die App auch für Radiosender außerhalb von RTL geöffnet ist. Planen Sie sich dort mit den Regiocast-Sendern zu beteiligen bzw. ist das Thema Podcast für Sie so relevant, dass Sie sich auch eine eigene Podcast-App vorstellen könnten?
Dirk van Loh: Die Streams der Regiocast-Angebote finden sie bei den marktführenden Aggregatoren wie TuneIn oder radio.de als auch bei vielen weiteren dieser Angebote wie den Radioplayer. Den Kollegen von AUDIO NOW steht es natürlich frei, unsere Streaming-Angebote auch auf dieser Plattform anzubieten. Eigenproduzierte Podcasts sind für uns vor allem Instrumente, die Nutzer auf die eigenen Plattformen wie beispielsweise die barba-radio-App zu bekommen. Diese Strategie funktioniert auch sehr gut. Von daher sind wir mit der Einbindung solcher Angebote bei Podcast- Aggregatoren eher defensiv unterwegs. Einen eigenen, neuen Aggregator für Streaming- und/oder Podcasts zu launchen, sehen wir für uns nicht, da diese Märkte bereits gut besetzt sind und sie nur mit hohem Druck geringe Marktanteile erarbeiten können.
teltarif.de: Herr van Loh, vielen Dank für das Gespräch.
Zur Person: Dirk van Loh
Dirk van Loh ist Geschäftsführer des privaten Radionetzwerks Regiocast. Der Diplom-Sozialwirt wechselte 1997 nach Station bei Radio NRW in Oberhausen zu RADIO PSR, dem ersten privaten Radiosender der neuen Bundesländer. Ab 1999 übernahm er die Leitung der Marktforschung und Produktentwicklung des Senders, bevor er in Polen den Vorstandsvorsitz von Radio Wawa und die Geschäftsführung der Agencja Reklamowa übernahm. Ab 2002 war Dirk van Loh Geschäftsführer der MACH 3 Marketing GmbH & Co. KG, Tochterunternehmen der Regiocast und Vermarkter der norddeutschen Privatsender R.SH, delta radio und Radio NORA. Seit 2010 ist er Geschäftsführer der Regiocast, welche den operativen Radiobetrieb diverser Stationen in Deutschland verantwortet.
In einem weiteren Interview haben wir mit Vodafone-Privatkundenchef Andreas Laukenmann über Giga TV gesprochen.