Hamburg: Digital gesteuerte fahrerlose S-Bahn
Beim ITS-Mobilitätskongress Oktober 2021 hatte das Projekt für internationales Aufsehen gesorgt. Nun geht das in Hamburg in den regulären Betrieb, zumindest auf einer kleinen Strecke: Eine S-Bahn, die quasi von selbst anfahren, beschleunigen, bremsen und halten kann.
S-Bahn fährt automatisch
Auf der Linie S2 in Hamburg fahren Berliner Tor und Bergedorf/Aumühle automatische Züge mit Network-Slicing
Foto: Vodafone
Quasi eine Deutschlandpremiere im öffentlichen Nahverkehr der Bahn: Seit heute sind in der Hansestadt Hamburg zum ersten Mal vollautomatisch fahrende, digital gesteuerte S-Bahnen im Regelbetrieb mit Fahrgästen unterwegs. Zunächst sind es nur vier dafür umgebaute Züge der Baureihe 474, die auf der Linie S2 unterwegs sind.
Dort fahren sie auf dem eigens für den digitalen Betrieb ausgestatteten Streckenabschnitt zwischen Berliner Tor und Bergedorf quasi vollautomatisch. Aber sicherheitshalber ist immer noch eine Lokführerin oder ein Lokführer an Bord, die notfalls eingreifen können. Bis etwa 2030 soll der komplette S-Bahn-Betrieb in der Hansestadt digitalisiert sein.
Epochenwechsel in Hamburg?
Für den Chef der Hamburger S-Bahn, Kay Arnecke, ist das ein "Epochenwechsel". Mit der neuen Technik könnten bis zu 30 Prozent mehr Züge eingesetzt werden, ohne einen Meter Gleis neu zu bauen. Das freut die Kostenrechner.
Zudem sollen die Züge durch das System pünktlicher sein und auch noch weniger Energie verbrauchen.
Digitale Schiene Deutschland
Das Projekt Digitale S-Bahn Hamburg ist Teil des Vorhabens "Digitale Schiene Deutschland", mit dem die Bahn ihre an vielen Stellen betagte Infrastruktur bis zum kommenden Jahrzehnt generell ins digitale Zeitalter bringen will.
Auch Verkehrssenator Anjes Tjarks sagt: "Die Digitale S-Bahn ist ein wichtiger Baustein für die Mobilitätswende. Als erstes Bundesland setzt Hamburg die neue Technik im Regelbetrieb ein - ein großer Schritt in Richtung Hamburg-Takt sowie einer klimagerechten Mobilität."
Nächste Bus oder Bahn in 5 Minuten
Der "Hamburg-Takt" ist ein Versprechen des Senats für das Jahr 2030. Dann sollen Menschen innerhalb von fünf Minuten Bus, U- und S-Bahn oder andere Mobilitätsangebote in Anspruch nehmen können, sobald sie an einer Haltestelle angekommen sind.
Die Kosten für die komplette Digitalisierung der S-Bahn in der Hansestadt waren in einer ersten Studie mit rund 800 Millionen Euro beziffert worden. Allein die Modernisierung und der Bau neuer Stellwerke erfordern demnach Investitionen von 620 Millionen Euro. 175 Millionen Euro werden für die Umrüstung der aktuellen Flotte veranschlagt.
Neue digitale Züge bestellt
Künftige S-Bahnzüge müssen allerdings nicht mehr für die digitale Steuerung umgerüstet werden. 64 weitere Züge der bereits eingesetzten neuesten Baureihe 490 sind schon beim französischen Bahntechnikhersteller Alstom passend bestellt worden und sollen ab 2025 ausgeliefert werden. Diese Züge werden gleich ab Werk für den automatischen Betrieb ausgerüstet.
Siemens und Alstom liefern Technik
Die Bahn und der Technologiekonzern Siemens hatten die digitale S-Bahn im vergangenen Oktober auf dem internationalen Mobilitätskongress ITS in der Hansestadt als Weltpremiere präsentiert. Neu daran ist das offene System, das mit jeder Bahn kompatibel ist, die die entsprechenden technischen Standards beherrscht. Technische Basis für den digitalen Bahnbetrieb ist der künftige europäische Standard ATO ("Automatic Train Operation"), kombiniert mit dem europäischen Zugsicherungssystem ETCS ("European Train Control System"), das auch "die große Eisenbahn" verwendet. Dann müssen an den Strecken keine Signale mehr stehen.
Network Slicing mit 4G
Der Datenverkehr zwischen Zügen und Gleisen läuft über das 4G-Mobilfunknetz von Vodafone. Dabei setzt Vodafone eine Technologie ein, die eigentlich für 5G angedacht ist: Das Network Slicing. Für jede Anwendung bleibt ein Stück vom Netz reserviert, das sogenannte "Network Slicing" (wörtlich "Netz in Scheiben schneiden".)
"Selbst wenn Konzertbesucher oder Sport-Fans auf ihrem Weg nach Hause nicht nur die Waggons, sondern auch die Netzzellen füllen, stehe für die Züge immer ausreichend Kapazität zur Verfügung, um Bewegungsdaten und Fahrplanänderungen miteinander auszutauschen", erklärt Vodafone das Prinzip.
Der Datenaustausch zwischen den fahrenden oder stehenden Zügen und Gleisen (wo genau ist der Zug, wie schell fährt er gerade, ist das Gleis belegt oder frei) soll für reibungslosere Abläufe und im Endeffekt pünktlichere Züge sorgen.
Die erste Praxis-Probe hat das 4G (LTE)-basierte Network Slicing bereits bei einer mobilfunkbasierten Live-Übertragung der ADAC GT Masters am Nürburgring (in der Eifel) bestanden, betont Vodafone.
Trotz starker Last-Situation im Netz konnten die Kamerabilder des TV-Teams von RTL verlässlich und in hoher Qualität direkt aus der Boxengasse an das Sendezentrum übertragen werden – ohne aufwendige Funktechnik und dafür umso mehr Beinfreiheit durch weniger Verkabelung. Vodafone betont, dass die 'Netz-Versicherung' Network Slicing für Firmen-Kundinnen und -Kunden ab sofort buchbar sei.
Derweilen probt der Sender RTL bereits Network-Slicing mit 5G-Stand-Alone im Netz der Telekom, wie aktuell in Köln vorgeführt wurde.
Für 5G noch zu früh?
Dass bei dem Hamburger Projekt nicht gleich 5G verwendet wurde, könnte damit zusammenhängen, dass die ersten Versuche zu der automatischen S-Bahn schon vor etwa 10 Jahren gestartet wurden. Damals war 5G zwar schon absehbar, es fehlten aber noch viele technische Details.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Wenn ein Zug vollautomatisch fährt, mag das manchem Eisenbahnfreund "komisch" vorkommen. Dabei sind automatische Züge in vielen Ländern und Systemen längst Alltag. Offenbar lässt sich Network-Slicing auch mit 4G realisieren, auch wenn das - nach Ansicht von Fachleuten - nur eingeschränkt möglich und sinnvoll ist. Ganz sicher wird das Bahnsystem früher oder später auf 5G-SA hochgerüstet.
Die Eisenbahnen der Welt tüfteln bereits an einem neuen Kommunikationssystem namens FMRCS, das auf 5G basieren und langfristig das in die Jahre gekommene GSM-R (GSM-Railroad) ablösen soll.
In der Tat war Mannesmann/Vodafone bei bestimmten Technologie-Projekten schon seit Anfang an technisch weit vorne mit dabei. Wenn es dem Unternehmen jetzt noch gelänge, die offensichtlichen Schwächen im Handel und bei der Kundenbetreuung in den Griff zu bekommen. Aktuell warnt die Hamburger Verbraucherzentrale wieder vor untergeschobenen Vodafone-Verträgen, konkret im Tarif "Cable Max".
Ein anderes Thema, aber das gleiche Unternehmen: Vodafone erhält für sein Kabel-TV-Netz Einspeiseentgelte von ARD und ZDF. Die kleineren Kabelnetzbetreiber wollen das auch. Das Bundeskartellamt soll diese Geschichte jetzt prüfen.