Purpose

Nachhaltigkeit sichern: WEtell ändert Geschäftsmodell

Viele Unter­nehmen werden gekauft oder verkauft, es werden Gelder abge­zogen, ohne die Mitar­beiter zu fragen. Der Service-Provider WEtell hat seine Satzung gemäß der Purpose-Economy geän­dert.
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Themen wie Nach­hal­tig­keit und Umwelt sind schwierig. Was kann der Einzelne tun, wenn drum­herum alle anderen genau das nicht oder eher das Gegen­teil tun? Gleich­wohl haben viele Entwick­lungen "klein" ange­fangen.

Nicht der güns­tigste Anbieter: WEtell

Wir haben schon öfter über den Mobil­funk­anbieter "WEtell" berichtet, der seinen Schwer­punkt auf Nach­hal­tig­keit, Umwelt und Ökologie setzt. Dessen Tarife sind logi­scher­weise nicht die güns­tigsten am Markt, weil ein Teil des Gewinns in nach­hal­tige Projekte gesteckt werden soll.

Das Konzept von WEtell soll "fair" und "transparent" sein. Das Konzept von WEtell soll "fair" und "transparent" sein.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Beson­ders der Einsteiger-Tarif "Ultra­kurz" ist mit 15 Euro pro Monat für 100 Minuten, 100 SMS und 2000 MB Daten eindeutig gar nicht "günstig", seine Folge­minuten mit 19 Cent schon etwas aus der Zeit gefallen. Die nächste Stufe "Mittel­welle" mit 7 GB Daten und Telefon/SMS-Flat für 20 Euro kann aber von anderen Anbie­tern genauso leicht um die Hälfte "unter­boten" werden.

Der größte Tarif "Megafon" liefert 25 GB für 30 Euro (plus Sprache/SMS flat), was einem grob kalku­lierten GB-Preis von etwa 1,20 Euro entspricht und bei entspre­chender Nutzung ein schon inter­essan­teres Angebot darstellen kann, zum Vergleich Cong­star bietet aktuell 25 GB für 25 Euro.

Alle Tarife werden ausschließ­lich im Netz von Voda­fone reali­siert, die Tech­nologie ist GSM(2G) oder LTE/4G einschließ­lich VoLTE. 5G gibts bei WEtell aktuell noch nicht.

Neues Unter­neh­mens­modell: Die Purpose Economy

Die Büroräume von WEtell im Gründerzentrum "Grünhof" in Freiburg im Breisgau. Die Büroräume von WEtell im Gründerzentrum "Grünhof" in Freiburg im Breisgau.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Norma­ler­weise werden Firmen so gegründet: Inves­toren geben Geld und wünschen sich dafür Rendite, d.h. es soll am Ende "mehr" heraus­kommen als am Anfang hinein­gegeben wurde. Die Inves­toren inter­essiert dabei eher weniger, was das Unter­nehmen genau macht, solange die Rendite stimmt. Das führt mitunter zu unschönen Effekten. Unter­nehmen werden gekauft, über­schuldet und weiter­ver­kauft oder auch zerschlagen.

Auch viele Startup-Gründer träumen davon, ein Unter­nehmen aufzu­bauen, um es dann später möglichst teuer zu verkaufen. Die Mitar­beiter des Unter­neh­mens werden dazu übli­cher­weise gar nicht gefragt, die Unzu­frie­den­heit in den Unter­nehmen steigt, die Fluk­tua­tion ist hoch, die Service-Qualität leidet, weil Service kostet ja erst einmal nur Geld.

Als Gegen­modell wurde die "Purpose Economy" entwi­ckelt. Hier sollen die Unter­nehmen lang­fristig ihren Zweck und ihre Werte verfolgen, ohne zum Spiel­ball rein gewinn­ori­entierter Inter­essen zu werden.

Feier­stunde zur neuen Satzung

Von links: Daria Urmann (Stiftung), Alma Spribille, Nico Tucher, Andreas Schmucker (Gründer), Dr. Johannes Weber (Notar) Von links: Daria Urmann (Stiftung), Alma Spribille, Nico Tucher, Andreas Schmucker (Gründer), Dr. Johannes Weber (Notar)
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
teltarif.de besuchte am Freitag die "Hoch­zeits­party", die unter dem Motto „New Economy is calling – die WEtell Werte-Hoch­zeit“ in der ehema­ligen Lokhalle, einem Grün­der­zen­trum unweit des Frei­burger Güter­bahn­hofes, statt­fand. Die WEtell-Gründer Alma Spri­bille (38, Geschäfts­füh­rung, Finanzen, Personal), Andreas Schmu­cker (38, Geschäfts­füh­rung, Marke­ting, Vertrieb) und Nico Tucher (36, Geschäfts­füh­rung, IT, Prozesse) unter­zeich­neten in Anwe­sen­heit von Daria Urman (von der Stif­tung Purpose-Netz­werk Europe) feier­lich die über­arbei­tete Unter­neh­mens-Satzung der WEtell GmbH unter Aufsicht des Notars Dr. Johannes Weber. Sie wird mit Eintra­gung beim Handels­register in den nächsten Tagen in Kraft treten. Das Unter­nehmen geht damit in Verant­wor­tungs­eigentum über.

Verant­wor­tungs­eigentum

Das Funktionsprinzip eines Purpose-Unternehmens. Mit einer Sperrminorität kann die Stiftung verhindern, dass das Unternehmen gegen seine Ziele verstößt. Das Funktionsprinzip eines Purpose-Unternehmens. Mit einer Sperrminorität kann die Stiftung verhindern, dass das Unternehmen gegen seine Ziele verstößt.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Dahinter steht die Idee, Bestän­dig­keit und gesundes Wachstum von Unter­nehmen zu fördern und zu verhin­dern, dass diese zu reinen Speku­lati­ons­objekten werden können. Durch Über­füh­rung in die neue Eigen­tums­struktur soll sicher­gestellt werden, dass ein Unter­nehmen dauer­haft unab­hängig und "sinn­ori­entiert" wirt­schaften kann. Da die zuge­hörige Rechts­form einer „Gesell­schaft mit gebun­denem Vermögen“ bislang nur als Gesetz­ent­wurf vorliegt, unter­stützt das Purpose-Netz­werk Unter­nehmen bei der Trans­for­mation in Verant­wor­tungs­eigentum.

Zu diesen so genannten „Purpose-Unter­nehmen“ zählen unter anderem der Umwelt­ver­sand­handel "Waschbär", der Kondom­her­steller "Einhorn", der Bäume pflan­zende Inter­net­such­dienst Ecosia und seit neustem der nach eigenen Angaben "daten­sichere und Gemein­wohl-bilan­zierte" Mobil­funk­anbieter WEtell.

Verant­wor­tungs­eigentum als alter­native Eigen­tums­struktur

Das Verant­wor­tungs­eigentum gründet auf den Prin­zipien: Selbst­bestim­mung und Vermö­gens­bin­dung. Selbst­bestim­mung bedeutet in diesem Zusam­men­hang, dass die Entschei­dungs­macht komplett bei den Menschen liegt, die im Unter­nehmen aktiv sind und die Werte des Unter­neh­mens vertreten. Durch die Vermö­gens­bin­dung soll sicher­gestellt werden, dass Gewinne ins Unter­nehmen zurück­fließen, um dessen Fort­bestehen zu sichern. Sie können nicht für persön­liche Zwecke entnommen werden.

Ein Unter­nehmen, in dem die Mitar­beiter das Sagen haben und "Fremd­bestim­mung von externen Inves­toren" nicht mehr möglich ist, soll erfolg­rei­cher wirt­schaften, da die Mitar­beiter moti­vierter sind, so die Idee. Die auto­mati­sche Verer­bung oder der Verkauf des Unter­neh­mens sind nach erfolg­rei­cher Wand­lung ausge­schlossen.

Purpose Pionier im Mobil­funk

Mit der Satzungsänderung gehört das Unternehmen künftig sich selbst. Mit der Satzungsänderung gehört das Unternehmen künftig sich selbst.
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Die WEtell GmbH war im September 2020 am Markt gestartet und möchte "klima­neu­tralen Mobil­funk in D-Netz-Qualität" in Verbin­dung mit hohen Daten­schutz­stan­dards und fairen, monat­lich künd­baren Tarifen anbieten. Zum Ziel des Unter­neh­mens gehören Werte "Klima­schutz, Daten­schutz, Fair­ness und Trans­parenz" in der Branche. Das ist ein hoher Anspruch, der nur bedingt erfüllbar ist, da das Unter­nehmen keine durch­gehende Kontrolle über die gesamte Kette zwischen Kunden, Mobil­funk­netz, Mobil­funk-Dienst­leister und WEtell verfügt.

Die Umwand­lung zum Purpose-Unter­nehmen bedeutet das Abtreten eines Unter­neh­mens­anteils an die Purpose-Stif­tung, die damit über eine "Golden Share" ein Veto­recht bekommt. Dadurch ist diese Stif­tung fortan verpflichtet, Veräu­ßerungen der WEtell GmbH zu unter­binden. Die Gründer und Geschäfts­führer des Unter­neh­mens möchten damit "Teil einer neuen, zukunfts­wei­senden Wirt­schaft werden" und sich deut­lich vom "Turbo­kapi­talismus" und seinen "unge­sunden Auswüchsen" abwenden. Die Umwand­lung in eine Purpose-Gesell­schaft, so wurde beteuert, könne nicht mehr rück­gängig gemacht werden.

Was bedeutet das für den Kunden?

Der Service-Provider WEtell arbeitet seit seiner Grün­dung mit der Stroth Telecom (bekannt unter der Marke "Tele2") zusammen, welche den Mobil­funk­anbieter WEtell mit SIM-Karten im Voda­fone-Netz versorgen und nach den Vorgaben von WEtell die Abrech­nungen sowie die Akti­vie­rung oder Deak­tivie­rung der SIM-Karten orga­nisiert.

Anfangs hatte WEtell mit dem White-Label-Provider NewSIM im Telekom-Netz zusam­men­gear­beitet. Wie teltarif.de aus infor­mierten Kreisen erfuhr, hat die Deut­sche Telekom sehr klare Vorstel­lungen bei den Kunden­zahlen, die sich gerade bei einem neuen Unter­nehmen nicht sogleich verwirk­lichen lassen. Der Dienst­leister Stroth/tele2 hat neben Voda­fone auch o2, jedoch bislang noch keine Verträge mit der Telekom im Angebot. Ergo können WEtell-Kunden derzeit nur im Netz von Voda­fone funken.

Kunde - Anbieter - Netz­ausbau?

Zufäl­lige Mess­fahrten von teltarif.de im Umkreis von Frei­burg/Breisgau speziell im Hoch­schwarz­wald zeigen, dass es hier bei allen drei Netz­betrei­bern noch gewal­tiger Anstren­gungen bedarf, um eine Mobil­funk­ver­sor­gung wenigs­tens entlang der Durch­gangs­straßen zu gewähr­leisten. Darauf hat WEtell prin­zip­bedingt leider wenig Einfluss.

Eine Einschät­zung (von Henning Gajek)

Wenn wir ganz ehrlich sind, würden wir uns für alle Mobil­funk­anbieter eine Purpose-Gesell­schaft wünschen, weil dann mehr Geld in Netz­ausbau und Kunden­zufrie­den­heit gesteckt werden könnte. Im Gegenzug könnte es aber auch sein, dass viele eigent­lich sinn­volle Projekte gar nicht erst reali­siert würden, weil sich keine Inves­toren finden lassen, die "Sinn" darin sehen.

Kosten­bewusste Nutzer werden sich lieber die aller­güns­tigste SIM-Karte im Super­markt oder im Internet besorgen und dann viel­leicht im Gegenzug öfters das Auto stehen lassen und mit dem Rad fahren oder zu Fuß gehen oder mit einer Spende ein örtli­ches Umwelt­schutz­pro­jekt unter­stützen.

Und inter­essierte Kunden, die mit der örtli­chen Netz­qua­lität von Voda­fone wenig anfangen können, müssten warten, bis auch andere Netz­betreiber ins Programm aufge­nommen werden oder andere Anbieter nach ähnli­chen Prin­zipien verfahren.

So oder so: Umwelt­themen sind wichtig. Es ist gut, wenn es Unter­nehmen gibt, die sich mit diesen Themen beschäf­tigen. Die Kunst besteht aber nun darin, dieses Umwelt­enga­gement glaub­würdig rüber­zubringen. Nicht jeder Unter­nehmer, der sich hier umwelt­bewusst gibt, kann (oder will) diesen Anspruch durch­halten und schadet damit am Ende mehr, als er oder sie nutzt.

Ein idealer dem Gemein­wohl verpflich­teter Mobil­funk­anbieter würde viel­leicht nur eine bestimmte Region mit seinen eigenen Sende­sta­tionen versorgen, die genau da aufge­baut würden, wo sie gebraucht werden, wo Menschen wohnen und arbeiten oder sich regel­mäßig bewegen. Das wird aber auf abseh­bare Zeit ein frommer Wunsch bleiben.

Für seine eigenen Original-Kunden bietet Voda­fone versuchs­weise ein Spam-Call-Filter an.

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