Netzausbau

Die Herausforderungen des Netzumbaus bei Telefónica/o2

Aus zwei Netzen werden erst drei, dann eins: Die Netzintegration bei Telefónica/o2 erfordert viele, viele Schritte. Lesen Sie zudem, warum bald der nächste große Netzumbau anstehen könnte.
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Wie bereits im empirischen Netztest von Potsdam angedeutet, gibt es im Mobilfunknetz von Telefónica/o2 derzeit eine Menge Licht und Schatten: Bereits weitgehend umgebauten Großstädten wie Hildesheim oder Potsdam, in denen sich die Verfügbar­keit und (von Spitzen­werten in einzelnen Zellen mal abgesehen) auch die Geschwindig­keit des o2-Netzes auf Augenhöhe zur Konkurrenz bewegt, stehen Problem­regionen wie Berlin rund um die Friedrich­straße gegenüber, in denen das Nutzererlebnis leider katastrophal ist. Anzuerkennen ist, dass Telefónica während einer Rundfahrt mit Journalisten durch Potsdam nicht nur ihre Stärken benannt hat, sondern auch die Probleme unumwunden zugegeben hat. Dieser Artikel wird zunächst die Probleme näher beleuchten, und dann ausführen, wie das neue Netz von Telefónica aussieht. Dazu gibt es auch einige Bilder.

Beton-Funkmast von Telefónica/o2 Beton-Funkmast von Telefónica/o2
Foto: teltarif.de
Eines der Probleme ist, dass es derzeit faktisch drei Telefónica-Netze gibt: Das "alte" o2-Netz, das "alte" E-Plus-Netz und das "neue", verein­heitlichte Mobilfunknetz. Für den Kunden sehen diese drei Netze dank National Roaming (Zugang zum jeweils anderen Netz) und Recolouring (Wechsel auf eine einheitliche Netz-ID) zwar heute bereits aus wie ein Netz. In der Realität setzt sich dieses eine Netz aber aus real aus den drei genannten Netzen zusammen, und die Kunden wechseln laufend zwischen diesen. Gerade an den Netzüber­gängen kann es, teils auch wegen Überlastung des Signalisierungs-Layers, auch mal zu Gesprächsabbrüchen und/oder Verzögerungen beim Aufbau neuer Datenver­bindungen nach dem Zellwechsel kommen. Deswegen baut Telefónica ihr Netz komplett zu einem neuen, einheitlichen Netz um. Ziel ist, künftig wieder alle Basis­stationen einer Stadt am selben Controller hängen zu haben.

Beschleunigter Umbau an Hotspots geplant

In den vergangenen Monaten ist bei Telefónica aber auch die Erkenntnis gereift, das man mit dem Netz-Upgrade an Hotspots nicht warten kann, bis die jeweilige Stadt gemäß dem Ausbauplan umgebaut wird. Denn derzeit leiden die Kunden an den Hotspots, wie der öfters genannten Berliner Friedrich­straße, einfach zu sehr, als dass man sie weiter länger warten lassen könnte. So wurde tatsächlich das Problem am Berliner Hauptbahnhof - wo teltarif.de wiederholt schlechte Performance bemängelte - inzwischen entschärft. Nachdem in Kooperation mit den anderen Netzbe­treibern entsprechende Glasfaser­kapazitäten gelegt worden waren, nahm Telefónica eine neue LTE-Basisstation am Hauptbahnhof in Betrieb.

Herkömmliches Server-Kabinett für eine Basisstation. Ein herkömmliches Server-Kabinett, wie es bisher typischerweise für Basisstationen verwendet wurde. Das Gehäuse hier enthält nun aber weniger aktive Technik als früher. Verblieben sind vor allem die Batterien zur Notstromversorgung.
Foto: teltarif.de
Am Montag lieferte diese bei unserem Test tatsächlich gute Datenraten. Dafür ging im 3G-Netz am Berliner Hauptbahnhof im wahrsten Sinne des Wortes nichts mehr: Der Speedtest brach mit einer Fehler­meldung ab, und selbst einfache Anwendungen mit wenig Datenvolumen, wie die Anzeige der Abfahrts­zeiten der Züge in der Öffi-App oder auf der mobil-optimierten Website der Bahn, waren nicht nutzbar, so lange das Smartphone im 3G-Netz von o2 eingebucht war.

Outdoor-Server des Ausrüsters Nokia von vorne Outdoor-Server des Ausrüsters Nokia von vorne. In den Geräten befindet sich die Technik für 3G und 4G.
Foto: teltarif.de
Nach derzeitiger Planung soll die Netzintegration binnen fünf Jahren nach der Fusion von Telefónica und E-Plus abgeschlossen werden. Das ist im Jahr 2019. Letztendlich handelt es sich beim Netzausbau aber sowieso um eine Sisyphos-Arbeit: Spätestens, wenn man fertig ist, muss man sowieso wieder von vorne anfangen. Denn die Datennutzung der User steigt rasant weiter, so dass eine Zelle, die heute über ausreichend Reserven verfügt, schon in zwei oder drei Jahren bereits wieder überlastet sein kann. Ab und zu kündigt auch ein Vermieter einen Standort, dann muss vor Ort ebenfalls umgeplant werden. Dasselbe gilt für Mobilfunk-Auktionen, nach denen neue Frequenzen verteilt und alte möglicher­weise zurück­gegeben werden müssen. Schließlich steht ab 2020 die Einführung des nächsten Mobilfunk­standards an, nämlich 5G.

"Ich hab seit gestern kein LTE mehr"

"Ich hab seit gestern kein LTE mehr" schrieb gestern im Forum ein sichtlich frustrierter o2-Kunde als Reaktion auf unseren Bericht aus Potsdam: "Ich hoffe, die haben nicht die Sendeanlage abgebaut." Nun, nach alledem, was Telefónica während der Rundfahrt am Montag verkündet hatte, blieb uns von teltarif.de nichts anderes, als dem Kunden seine Befürchtung auch noch zu bestätigen: Höchst­wahrscheinlich hat Telefónica die alte Sendeanlage tatsächlich abgebaut. Allerdings mit dem Ziel, eine neue in Betrieb zu nehmen. Der Umbau eines Netzelements, also zum Beispiel GSM, UMTS oder LTE an einem Standort, dauert dabei üblicherweise einen Tag. Und siehe da: Inzwischen hat der User bestätigt, dass er wieder 4G-Versorgung hat - und das mit viel höheren Bitraten als bisher!

Zumindest bei der Basisstation, die Telefónica uns nach dem Umbau gezeigt hat, setzt der Netzbetreiber auch komplett auf neue Technik. Deren auffallendstes Merkmal sind Outdoor-Server: War die aktive Technik von Basis­stationen bisher in Schalt­schränken untergebracht, stehen (oder hängen, dazu später mehr) die Server nun im wahrsten Sinne des Wortes direkt an der frischen Luft. Das vereinfacht die Kühlung - ein (oder vermutlich aus Gründen der Redundanz mehrere) Lüfter pro Gerät reichen. Auch ist die Installation so frei skalierbar: Während in einem Schrank der Platz schonmal knapp werden kann, lassen sich Outdoor-Server bei Bedarf aufeinander stapeln.

Outdoor-Server an einer Basisstation von Telefónica/o2 Outdoor-Server an einer Basisstation von Telefónica/o2. Deutlich sind die zahlreichen Kabel zu sehen, die zu anderen Geräten und zum Funkmasten selber führen.
Foto: teltarif.de
Grundsätzlich sind die Server aber auch sehr kompakt: Für ein Netz - zum Beispiel LTE-800 - reichen grundsätzlich zwei Geräte: Eine Baseband Unit und ein Radio Head. Letzterer wird möglichst nah zu den eigentlichen Antennen angebracht, und deswegen auch schonmal hoch an einem Masten montiert, um die Dämpfung im Kabel bis zu den Antennen möglichst gering zu halten.

Klassische Mobilfunktechnik statt teurer Spitzenleistung

Etwas überrascht hat uns, dass Telefónica noch klassisches "Radio Access Network" (RAN) verwendet, bei dem getrennte Geräte für GSM, UMTS und LTE zum Einsatz kommen. Denn auf Messe­auftritten und Presse­konferenzen promoten die Ausrüster immer häufiger Software Defined Radio (kurz SDR) und das darauf basierende Single RAN. Letzteres ermöglicht, mit einem Gerät alle bekannten Mobilfunk­dienste (2G, 3G, 4G und künftig auch 5G) gleichzeitig und flexibel nach Bedarf anzubieten. Mit Single-RAN wäre Telefónica beispielsweise in der Lage, ihre üppigen Frequenz­ressourcen von insgesamt 35 MHz gepaart bei 2100 MHz optimal zu nutzen, und jeden einzelnen der 5 MHz breiten Subcarrier je nach Bandbreiten­bedarf in der jeweiligen Region zwischen 3G und 4G umzuschalten, ohne, dass dazu erneut Techniker alle Basis­stationen abklappern müssen. Theoretisch ist sogar ein Mischbetrieb von zwei Standards auf einer Frequenz möglich: Beispielsweise bandbreiten- und bitraten­reduziertes UMTS in der Mitte eines 5-MHz-Bandes und LTE auf dessen Außen­bereichen.

Die Spitze des Funkmasten. Die Spitze des Funkmasten. Deutlich sind die Antennen zu sehen. Unter den Antennen an der Spitze befinden sich mehrere direkt am Masten montierte Server-Einheiten - die Radio Heads.
Foto: teltarif.de
Noch eine Stufe weiter geht Cloud RAN, bei dem die RAN-Server in ein Rechenzentrum verlagert werden. Bei diesem lässt sich die Netzkapazität dynamisch gemäß dem Bedarf der Nutzer innerhalb der Stadt verschieben: Bei Großver­anstaltungen bekommen die Basis­stationen an den zentralen Knotenpunkten und dem jeweiligen Stadion mehr Kapazität zugewiesen, tagsüber an normalen Werktagen die Basis­stationen in der Nähe der großen Bürogebäude, abends hingegen die Basis­stationen in den Wohn­gegenden. Nachts werden schließlich die Server­kapazitäten herunter­gefahren, um Strom zu sparen.

Andererseits ist Single RAN bei weitem nicht so flexibel, wie es auf den ersten Blick erscheint. So führt es zu einer starken Zunahme der wechselseitigen Störungen zwischen benachbarten Basis­stationen, wenn ein Frequenzband dort parallel mit unter­schiedlicher Technologie (z.B. 3G vs. 4G) betrieben wird. Im Zweifelsfall muss also doch eine ganze Stadt auf einmal umschalten, nicht nur einzelne Blöcke an einzelnen Stationen. Und wenn ein Netz generell überlastet ist, dann nutzt es auch wenig, wenn man per Cloud RAN den Mangel optimal verwaltet, dann hilft letztendlich nur der weitere Netzausbau.

Server der Basisstation von der Seite. Server der Basisstation von der Seite.
Foto: teltarif.de
Der Flexibilität von Single RAN und Cloud RAN steht zudem als Nachteil der höhere Preis gegenüber. Ob sich dieser künftig beispielsweise durch schnellere Einführung von 5G wieder amortisiert, ist fraglich. Insbesondere für die neu für 5G vorge­sehenen Frequenzen bei 3,6 GHz und 26 GHz werden sowieso neue Antennen montiert werden müssen. Da gerade die 3,6-GHz-Antennen dank "massive MIMO" deutlich größer als herkömmliche Antennen ausfallen, werden an vielen Standorten zudem bauliche Änderungen notwendig sein, um die zusätzlichen statischen und bei starkem Wind auch dynamischen Lasten sicher tragen zu können. Ob man dann jeweils noch eine 5G-Baseband-Unit mit montiert oder nicht, dürfte die Ausbau­geschwindig­keit nicht allzu stark verändern.

Cloud RAN verlangt zudem eine breitbandige Anbindung zwischen der Basisstation und dem jeweiligen Rechenzentrum, da nicht nur die Nutzdaten, sondern die von der jeweiligen Antenne empfangenen Rohdaten übertragen werden. Telefónica betreibt jedoch keine eigenen Glasfaser­netze, sondern mietet Glasfaser­leitungen ("dark fiber") nach Bedarf an. Entsprechend hat Telefónica das Interesse, möglichst wenige Daten quer durch die halbe Stadt zu schicken.

Fazit: Es gibt noch viel zu tun

Während der Rundfahrt durch Potsdam wiederholte Telefónica, dass ihr vorrangiges Ziel nicht ist, die allerhöchsten Peak-Bitraten zum allerhöchsten Preis anzubieten, sondern einen soliden Basisdienst. Es kommt Telefónica also darauf an, auch in einer Erdgeschoss­wohnung stabil 10 MBit/s im Downstream anzubieten, nicht aber, ob man direkt neben der Basisstation nun 100, 200 oder gar 500 MBit/s messen kann. In Potsdam hat Telefónica dieses Ziel durch konsequenten Ausbau von LTE-800 und LTE-1800 auch erreicht. Jetzt liegt es an Telefónica, ihr Netz zügig zu konsolidieren, und nicht nur einzelne Städte optimal auszubauen, sondern das gesamte Bundesgebiet!

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