BILD live: Nachrichtenfernsehen im Umbruch?
Dass der Start eines neuen Fernsehsenders die öffentliche Debatte polarisiert, kommt selten vor. Doch wenn Axel Springer sein Boulevardblatt BILD auf Sendung schickt, läuft Twitter so richtig heiß. Der Hashtag #HaltDieFresseBild trendete regelmäßig auf den ersten Plätzen in den Statistiken. Nun sollte man solchen eher vulgären Tweets nicht übermäßig viel Beachtung schenken, denn dass auch Twitter gerne als Lautsprecher für politische Demagogen herhält, weiß man nicht erst seit Donald Trump. Und auf dieser Klaviatur spielen alle politischen Lager gleichermaßen. In zahlreichen Äußerungen wird aber auch immer wieder deutlich, dass viele Zuschauer das Konzept des Boulevard-Journalismus im Fernsehen nach wie vor nicht einordnen können, womöglich weil dies hierzulande bislang unbekannt war.
Wahrnehmung von Nachrichten
Der stellvertretende BILD-Chefredakteur Paul Ronzheimer berichtet live vom Kabuler Flughafen
Foto: BILD
Ein Grundproblem ist bereits die Erwartungshaltung. Im Gespräch mit dem Fachmagazin "Meedia" (Paid) hat BILD-TV-Chef Claus Strunz dies auch gleich deutlich gemacht: "Wir sind kein Nachrichtensender, haben keine Chronistenpflicht. Wir erzählen die wichtigsten, berührendsten und schönsten Geschichten des Tages." Boulevard-Journalismus spricht in erster Linie Emotionen an, dabei geht es nicht um eine sachlich-distanzierte Berichterstattung. Vielmehr verstehe man sich als Bürgerfernsehen und Sprachrohr des "kleinen Mannes".
Genau das wird am Ende auch die Erfolgsformel von BILD TV sein, denn hier liegt der große Unterschied zu dem, was in Deutschland bislang als Nachrichtenfernsehen bekannt ist und erwartet wird. Dies basierte nämlich wesentlich auf der Devise, zu beschreiben und (vor allem auch mit eigenen Meinungen) einzuordnen. Allerdings genau das, was nicht etwa die Zuschauer, sondern "die Politik" für berichtenswert erachtet. Speziell aus diesem Grund sitzen in vielen Talkshows immer wieder die gleichen Politiker zu den gleichen Themen.
Keine Wohlfühlatmosphäre
Schon am ersten Sendetag war schnell deutlich, dass Spitzenpolitiker unter anderem von BILD-Chef Julian Reichelt ordentlich "gegrillt" werden, wie man es auch von US-Networks à la Fox News kennt. Das passierte zwar teilweise auch schon auf anderen Sendern, doch zeichnet sich dort ein Ungleichgewicht ab. Viele Zuschauer bemängeln beispielsweise, dass sich ARD und ZDF in ihren Talkshows besonders gerne auf Politiker von CDU und FDP einschießen, wohingegen beispielsweise die Grünen mit "Samthandschuhen" angefasst würden.
Man wird beobachten müssen, welchen konkreten Anteil BILD TV künftig an der öffentlichen Meinungsbildung einnimmt, doch es ist diesbezüglich in jedem Falle mit einer deutlichen Verschiebung zu rechnen, denn nun werden auch weitere Perspektiven stärker abgebildet. Auf diese Entwicklung müssen letztendlich andere Sender reagieren, da sie sonst Zuschauer verlieren. Es ist davon auszugehen, dass eine distanzierte Berichterstattung in Zukunft auf allen Kanälen tendenziell abnimmt, um politische Lager intensiver zu bedienen.
Aktualität als Motor
Es gibt aber noch eine weitaus wichtigere Begründung, warum BILD mit dem eigenen TV-Sender auf Dauer Erfolg haben wird und dies ist das entscheidende Thema Aktualität. Auch online hat die BILD-Redaktion immer wieder bewiesen, sofort am Puls des Geschehens zu sein. In der Regel bekommt man dort Nachrichten per Laufband regelmäßig vor der Konkurrenz, was schon fast als Alleinstellungsmerkmal zu werten ist. In diesem Zusammenhang spielen ebenso die BILD-Leserreporter immer wieder eine wichtige Rolle.
Ganz sicher wird sich BILD auch im TV in Sachen Aktualität und Schnelligkeit nicht die Butter vom Brot nehmen lassen. Besonders hier trifft Springer einen ohnehin wunden Punkt in der deutschen Medienbranche, denn viele Mitbewerber hängen in Sachen Breaking News dermaßen hinterher, dass sich viele Zuschauer mittlerweile ihre Informationen bei CNN & Co. holen. So zum Beispiel beim Thema Afghanistan. Während die öffentlich-rechtlichen Sender hier kompliziert über das ARD-Studio Südasien in Neu-Delhi arbeiten, setzt sich der stellvertretende BILD-Chef Paul Ronzheimer mal eben in eine Maschine nach Kabul und interviewt die Taliban persönlich. Das ist übrigens kein Einzelfall: Auch bei der Flutkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz hinkten die öffentlich-rechtlichen Sender in Sachen Live-Berichterstattung teilweise sogar ausländischen Nachrichtensendern hinterher.
BILD startet auch im Kabelnetz der Deutschen Telekom.