Lieber im Funkloch: Gemeinde lehnt Telekom-Sender ab
Kennen Sie den Ort 06268 Nemsdorf-Göhrendorf? Er hat 800 Einwohner und die Vorwahl 034771 und liegt im Saalekreis (bei Halle/Saale im Bundesland Sachsen-Anhalt). Am 5. Juni war er - genauer seine Mobilfunkversorgung - ein Thema beim Frühstücksfernsehen von "RTL-Guten-Morgen-Deutschland".
Kostenlosen Mobilfunksender gewonnen. Jetzt will sie ihn nicht mehr?
Im Youtube-Video stellen die Telekom Pressesprecher Sandra Rohrbach und Georg von Wagner die Gemeinde Nehmsdorf-Göhrendorf vor.
Quelle: Telekom auf Youtube / Screenshot: Henning Gajek / teltarif.de
Nemsdorf-Göhrendorf bewarb sich bei der Telekom-Aktion "Wir jagen Funklöcher" - und gewann. Einen kostenlosen LTE-Sender auf dem Kulturhaus in der Ortsmitte (Wert ca. 100.000 Euro) hätte den Ort Mobilfunk-technisch in die Neuzeit befördern können. Doch kurz vor dem Aufbau bekamen der Orts-Bürgermeister und Teile des Gemeinderates "kalte Füße" und sagten den Aufbau wieder ab. Die Öffentlichkeit erfuhr dadurch aus der Mitteldeutschen Zeitung".
Dann griff ausgerechnet das österreichische Pendant der "Bild"-Zeitung, die "Kronenzeitung" aus Wien, den Fall auf und auch das Online-Magazin SPIEGEL beschäftigte sich mit der Geschichte. Mit der Beschaulichkeit des Ortes ist es damit wohl vorbei, denn die gesamte digitale Welt schüttelt ungläubig den Kopf.
Lieber im Funkloch bleiben?
Warum die Gemeinde keinen Sender mehr will, ist diffus. Für eine Stellungnahme sei der Bürgermeister "nicht erreichbar" gewesen, stellt der Spiegel fest. Aus dem Ort hört man, dass die Telekom im Nachbarort 2.000 Euro Miete pro Jahr für den Sender zahlen wollte, in Nemsdorf-Göhrendorf wären es "nur ein Euro gewesen" und einen anderen Standort am Ortsrand hätte die Telekom nicht nehmen wollen. Also wolle man lieber im Funkloch bleiben.
Neben dem Argument der niedrigen Miete scheint bei der Gemeindeverwaltung wohl die diffuse Angst vor der "Strahlung" eine Rolle gespielt zu haben. Doch dazu hört man offiziell nichts.
Telekom dreht Video
Die Telekom, ziemlich verblüfft, griff zur Videokamera und drehte vor Ort ein kleines Video, das auf dem Youtube-Kanal Telekomnetz zu sehen ist.
Denn: Nicht alle im Ort sind vom Verbleib in der Mobilfunk-Steinzeit begeistert, wie dem Video zu entnehmen ist. Internet-affine Menschen haben schon den Ort verlassen. Ein örtlicher Schreinermeister ist auf gute Verbindung bei seinen Kunden angewiesen, ohne mobiles Internet geht da nichts mehr.Wie gut ist der Ort aktuell versorgt?
So fand der Spiegel heraus, dass der Ort wohl "irgendwie" von Vodafone versorgt wird, wenn auch nicht in so guter Qualität, wie Vodafone-Vertreter das gegenüber dem Spiegel dargestellt hätten, berichten Anwohner.
Wir von teltarif.de haben uns ebenfalls umgehört und dabei erfahren, dass Telefónica (o2) im Ort schon länger mit 2G (= GSM) funkt. Dabei handelt es sich um einen ehemaligen E-Plus-Sender, welcher die Fusion mit o2 "überlebt" hat. Wer das Video der Telekom ganz genau analysiert, kann bei Minute 2:34 an der Wand des Schreiner-Werkzeug-Regals sogar noch einen "historischen" Aufkleber von E-Plus finden.
Viele Fans trauern der kultigen E-Plus-Werbung nach. Auch bei der Telekom? (Gefunden im Telekomnetz Video)
Quelle: Telekomnetz-Video / Screenshot: Henning Gajek / teltarif.de
Ja, das stimmt, bestätigte uns die o2-Pressestelle: "Wir versorgen Nemsdorf-Göhrendorf über einen Mobilfunkstandort südlich des Ortes mit Mobilfunk. Im Laufe der kommenden Wochen planen wir die Erweiterung des Standortes um den schnellen LTE-Standard, damit unsere Kunden in der Umgebung von einem deutlich besseren o2-Mobilfunknetz profitieren und alle mobilen Anwendungen wie Social Media und Videostreaming nutzen können. Zudem profitieren sie dank Voice over LTE von einer verbesserten Sprachqualität bei Telefonaten über das LTE-Netz."
Argumente für die Bedenkenträger?
Das könnte natürlich die Bedenkenträger im Ort in ihren Ängsten bestärken. Ist aber zu kurz gedacht. Es gibt in Deutschland derzeit drei (künftig vier) Mobilfunkanbieter, die im Wettbewerb versorgen sollen. Antennenmasten weit draußen vor einem Ort helfen nicht oder müssen dann richtig hoch gebaut werden, was auch keine Augenweide wäre.
Eine Mobilfunkversorgung ist umso unbedenklicher, je näher sich die Mobilfunk-Sendestation am Kunden befindet. Das mag zunächst unlogisch klingen, hat aber einen einfachen technischen Hintergrund: Wenn der Mobilfunksender zu weit weg ist, muss das Handy mit viel mehr Leistung senden und könnte (wenn man Bedenken hat, dass die Strahlung "schädlich" wäre) dem Nutzer weniger gut tun, als wenn der Sender mitten Ort und damit Nahe an den Nutzern montiert wird. Eine niedrigere Sendeleistung schont aber auch den Handyakku, man kann länger - ohne Nachladen - auf Empfang bleiben. Bei GSM (2G) kennt man das "Tuckel-Tuck", was ältere Radios und PC-Lautsprecher stören kann, weil GSM mit Pulsen (TDMA) sendet. LTE (4. Generation) sendet hingegen gleichmäßig, die Radios und PC-Lautsprecher werden nicht mehr gestört.
Digitalen Mobilfunk gibt es in Deutschland seit 1991 also gut 30 Jahre. Die neue Station der Telekom wird auf Frequenzen unterhalb von 4 GHz senden, was wissenschaftlich längst gut erforscht ist. Und jede Gemeinde sollte daran interessiert sein, dass auch junge, internet-affine Leute im Ort wohnen bleiben, vielleicht sogar dort arbeiten und Gewerbesteuern (wie der im Film vorkommende Schreiner) zahlen.
Übrigens: Die Telekom ist weiter bereit, den Ort zu versorgen, vielleicht bildet sich im Ort eine Mehrheit, welche die "Bedenkenträger" überzeugen kann. Wir werden weiter berichten.