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Retro statt digital: "Die drei ???"-Kassetten, Polaroid und Schreibmaschinen

Schreibmaschinen, hand­ge­schriebene Briefe, Polaroid-Kameras - Technik von gestern? Auch im digitalen Zeitalter gibt es nicht wenige, die an alten Dingen hängen. Ein Berliner Unternehmen schreibt gegen Geld Briefe wie früher. Und ein junger Fotograf hat eine Nische entdeckt.
Von dpa / Jennifer Buchholz

Kassettten liegen wieder im Trend Kassettten liegen wieder im Trend
Bild: dpa
Deutschland ist im Netz, gerade wächst die auf das Smartphone starrende Generation "Kopf unten" heran. Aber auch in der digitalen Welt hängen Menschen an alten Dingen, an Schreib­maschinen, Briefen, Polaroid-Kameras. "Jeder Trend hat eine Gegenbewegung", sagt die Trend­forscherin Karin Frick (52) aus Zürich. "Das ist wie die Globalisierung, bei der die Lust am Regionalen entstand." Dazu passt, dass der moderne Stadtmensch längst das Gärtnern, Kochen und Basteln für sich neu entdeckt hat.

Wer lebt heute noch analog?

Kassettten liegen wieder im Trend Kassettten liegen wieder im Trend
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Aber auch mobile Endgeräte sind noch nicht in jedem Haushalt vorhanden. So haben etwa nur 13 Prozent der Deutschen [Link entfernt] über 14 Jahre kein Mobiltelefon. Die deutliche Mehrheit ist im Netz unterwegs. Wer lebt heute noch analog? Da gibt es aus Sicht der Zürcher Trendforscherin Karin Frick zwei Gruppen: einerseits arme oder alte Menschen, andererseits die Privilegierten, die Aufgaben delegieren können. Dann ist es ein Statussymbol, das Ausklinken wird teilweise zelebriert: "Ich bin dann mal weg." Total analog zu leben, sei ein Luxus.

"Wenn die Welt immateriell wird, entsteht eine Lust am Materiellen", sagt Frick. Ihr fällt auch Apple-Gründer Steve Jobs ein: Der Computerpionier hatte eine Leidenschaft für Kalligrafie - die Kunst des schönen Schreibens mit der Hand.

Wer schreibt, der bleibt

Es gibt Leute, die mit Retro-Charme Geld verdienen. Das geht sogar mit hand­geschriebenen Briefen. So macht es Thorsten Petzold (46). Er selbst ist kein Schön­schreiber. Seine Handschrift? "Kategorie Arzt", sagt der Berliner Unternehmer. Das ist bei den 61 Schönschreiber­Innen, die für seine Schreibstatt arbeiten, anders.

Ihre Schrift muss gut aussehen, etwas hermachen. Bei dem noch jungen Unternehmen können Firmen und Privatleute mit Füller und Tinte verfasste Briefe, Einladungen, Tischkärtchen oder Dankes­schreiben in Auftrag geben. Ein Brief auf Fein-Papier kostet etwa 17 Euro, eine Einladung vier Euro. Zur Kundschaft gehören auch Hochzeits­planer.

Die meisten Schönschreiber sind Frauen und arbeiten in Heimarbeit. Das Schreiben braucht Ruhe, besonders, wenn es um die Kunst der Kalligrafie geht. Petzold erklärt das Prinzip so: Früher war eine E-Mail etwas Besonderes, heute ist es ein Brief. Jedes Schreiben ist ein Original. Auf Wunsch auch in der alten Sütterlin-Schrift, so wie bei der Glückwunschkarte für einen 100-Jährigen.

Johnny Depp reist mit Schreibmaschine

Auch Schreibmaschinen sind wieder beliebt Auch Schreibmaschinen sind wieder beliebt
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Die Online-Plattform Dawanda verweist auf ganze 800 Produkt­vorschläge unter dem Suchbegriff Schreibmaschine. Alte Geräte werden in der Rubrik "Vintage" gehandelt, das ist Hipster-Deutsch für "Trödel". Dort oder in Schreib­maschinen-Läden werden Leute fündig, die ihre Romane lieber in eine Hermes Baby oder eine Gabriele tippen wollen als in den Laptop. Der Vorteil: An der Schreib­maschine wird man nicht vom Internet abgelenkt. Schauspieler Johnny Depp besitzt ein 70 Jahre altes Exemplar, erzählte er kürzlich in einem Cinema-Interview. "Wenn ich unterwegs bin, habe ich stets meine akustische Gitarre und eine Schreibmaschine aus den 1940er-Jahren im Gepäck. Mit der erledige ich alle meine Schreibarbeiten."

Retro-Charme haben auch Kassetten: Beim Dawanda-Angebot zum Beispiel als Motive für Ohrstecker, Ketten, Broschen, Manschettenknöpfe oder Kissen. Im Alltag ist die Kassetten-Technik aber vermutlich bald ausgestorben. Selbst die Krimi-Hörspiele "Die drei ???" werden heute nur noch wenig auf Kassette produziert.

Polaroid ist etwas einzigartiges

Polaroids? Ja, die gibt es noch, nicht nur in der Kunst. Enthusiasten retteten 2008 nahe der deutsch-niederländischen Grenze die weltweit letzte Polaroid-Filmfabrik (The Impossible Project). Heute werden die Filme für die Sofort­bild­kameras mit anderen Chemikalien als früher hergestellt und entwickeln sich langsamer, erklärt Fotograf Oliver Blohm (26) in einem Berliner Laden, der die analogen Filme und Kameras verkauft.

Blohm gibt Kurse im Foto­grafieren und Experimentieren mit der Polaroid-Technik. "Farben sind bei Polaroid etwas Einzig­artiges", sagt er. Er mag das Unkalkulierbare an der Technik, den "Raum des Unerwarteten". Manchmal kann eine Ecke fehlen oder die Farbe ist verschoben. Viele seien gelangweilt von der digitalen Technik, sagt Blohm. Ihm liegt sie nicht. "Man muss sich damit wohlfühlen, was man macht."

Acht Polaroid-Fotos kosten 20 Euro: Wer das im Kopf hat, fotografiert anders und überlegt sich das Motiv genauer. Manchmal verschmelzen die Technik von heute und gestern. Blohm hat eine App auf dem Smartphone, das er auf ein kleines tragbares Polaroid-Labor stecken kann. Vom Telefon wird das Bild einer Rose auf den Film übertragen, unten rutscht das Foto heraus. Man könnte auch sagen: Polaroid 2.0.

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