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Signal2X-App im Test: Fließender Verkehr mit grüner Welle?

Eine App, die dem Auto­fahrer zeigt, wie schnell er durch die Stadt fahren muss, damit er möglichst bei allen Ampeln grün hat: Die Grüne-Welle-App Signal2X verspricht viel - kann im Test aber nicht alles halten.
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Die Signal2X-App im Test Die Signal2X-App im Test
Bild: Yunex GmbH
Im Juni 2017 ist die Wissen­schafts­stadt Darm­stadt als Sieger aus dem Wett­bewerb des IT-Bran­chen­ver­bandes Bitkom in Zusam­men­arbeit mit dem Deut­schen Städte- und Gemein­debund (DStGB) hervor­gegangen und hat den Titel "Digi­tal­stadt" erhalten. Im Anschluss daran blieb es um konkrete Projekte aber zunächst recht ruhig. Immerhin wurde ein stadt­weites LoRaWAN-Funk­netz für IoT-Anwen­dungen aufge­baut.

Viele Projekte waren eher für die Stadt als direkt für die Bürger erfolg­reich. Ein Beispiel aus dem Verkehrs­sektor waren vernetzte Stra­ßen­laternen. Inzwi­schen ist aber ein weiteres Projekt hinzu­gekommen, das nach einer Test­phase nun von allen Bürgern nutzbar ist. Die Signal2X-App im Test Die Signal2X-App im Test
Bild: Yunex GmbH

Das System der Grüne-Welle-App

In den vergan­genen Jahren hat Darm­stadt in Verbin­dung mit der Firma Yunex Traffic (eine ehema­lige Siemens-Tochter) ein System für vernetzte Verkehrs­ampeln aufge­baut. Das Ziel: Wer mit dem Auto oder Fahrrad durch die Stadt fährt, soll über eine App so gelenkt werden, dass er mit einer möglichst "grünen Welle" durch die Stadt gelangt. Damit soll der übliche Stop-and-Go-Verkehr in den Innen­städten mit all seinen Begleit­erschei­nungen (Lärm, Abgase, Stick­oxid-Ausstoß...) redu­ziert werden.

Hierfür wurde in der Zwischen­zeit in Darm­stadt ein stadt­eigenes Licht­wel­len­lei­ter­system instal­liert, das die Daten von 190 Knoten­punkten über 3500 Induk­tions­schleifen und 440 opti­sche und ther­mische Kameras in Echt­zeit an einen Verkehrs­rechner sendet.

Die hierfür notwen­dige App Signal2X wurde von der VMZ Berlin Betrei­ber­gesell­schaft mbH program­miert, es gibt sie bereits seit dem vergan­genen Jahr. Das ganze System war aber nur für ausge­wählte Tester verwendbar. In diesem Sommer wurde die Signal2X-App in der zweiten August-Hälfte nun in den Appstores für Android und iOS einer brei­teren Öffent­lich­keit zum Down­load bereit­gestellt. Der Service ist kostenlos und wie gesagt nur im Stadt­gebiet von Darm­stadt verwendbar.

Instal­lation der App

Im Test entschieden wir uns für die Instal­lation der Android-App, was reibungslos vonstatten ging. Als wich­tigste Berech­tigung benö­tigt die App natür­lich zwin­gend Zugriff auf das GPS-Modul, um den Fahrer inner­halb der Stadt orten und ihm die aktu­elle Verkehrs­situa­tion anzeigen zu können.

Hinweise und Verkehrsmittelwahl vor Benutzung der App Hinweise und Verkehrsmittelwahl vor Benutzung der App
Screenshots/Montage: teltarif.de
Nach der Instal­lation zeigt Signal2X zunächst verschie­dene Hinweise und Einfüh­rungen an. In einem ersten Sicher­heits­hin­weis schreiben die Macher der App, dass gene­rell das tatsäch­liche Verkehrs­geschehen und die tatsäch­liche Ampel­anzeige immer Vorrang hätten. Bei der Anzeige der App handele es sich ledig­lich um "Empfeh­lungen", die Stra­ßen­ver­kehrs­ord­nung müsse immer beachtet werden. Für even­tuelle Schäden über­nehme man selbst­ver­ständ­lich keine Haftung.

Als Karten­dienst verwendet die App übri­gens Mapbox, das auf dem Mate­rial von OpenStreetMap basiert. Vor jeder Nutzung der App muss der Fahrer angeben, ob er mit dem Auto oder mit dem Fahrrad unter­wegs ist.

So funk­tio­niert Signal2X

Gene­rell muss gleich vorweg gesagt werden, dass Signal2X keine Verkehrs­len­kung im Sinne einer Navi­gation vornimmt. Fahrer werden also nicht dazu ermun­tert, eine andere Strecke zu fahren, um dort gege­benen­falls eine bessere grüne Welle zu erwi­schen. Die App gibt ledig­lich die Daten der vernetzten Ampel­instal­lation wieder und spricht eine Empfeh­lung zum Fahr­ver­halten aus. Gleich­zeitig warnt die App, falls man zu schnell fahren sollte und empfiehlt die Einhal­tung der Geschwin­dig­keits­begren­zungen.

Eine Anleitung erklärt die Symbole der App Eine Anleitung erklärt die Symbole der App
Screenshots/Montage: teltarif.de
Der Start­bild­schirm ist quasi eine Karte der Innen­stadt von Darm­stadt, auf der mit kleinen Ampel­sym­bolen alle Ampel­anlagen einge­zeichnet sind. Dieses Bild bleibt so lange stehen, bis man sich mit dem Auto oder Fahrrad in Bewe­gung setzt. Nähert man sich einer Ampel­anlage, verwan­delt sich das Bild in eine Art Spur­assis­tent. Die App zeigt nun an, ob es realis­tisch ist, die Ampel im Status "grün" zu errei­chen bezie­hungs­weise wie man sein Fahr­ver­halten dafür ändern sollte (schneller oder lang­samer fahren).

Da Ampeln für verschie­dene Spuren natür­lich auch abwei­chend geschaltet werden können, zeigt Signal2X für jede Spur eine Prognose an - oder eben auch, dass es nicht möglich sein wird, die Ampel bei "grün" zu errei­chen. Steht man an einer roten Ampel, blendet Signal2X für jede Spur einen Count­down ein, damit der Fahrer abschätzen kann, wie lange er an der Ampel noch warten muss.

Die App im Praxis­test

Wir instal­lierten die App schon wenige Tage nach ihrer breiten Veröf­fent­lichung. Bei der ersten Fahrt gabs auch gleich die erste Enttäu­schung: Offenbar war Signal2X noch nicht komplett mit dem Leit­system verbunden, und so sahen wir nur den Hinweis "aktuell keine Live-Info verfügbar". Einige Tage später klappte es aber dann und wir erhielten Live-Infos aus dem System auf die App.

Bei der Zuver­läs­sig­keit erlebten wir aller­dings starke Schwan­kungen: Es gab Fahrten durch die Stadt, bei der wir eine recht hohe Genau­igkeit hatten und die ange­zeigten Infos fast immer stimmten. Dann erlebten wir Fahrten, bei denen fast gar nichts stimmte: Ampeln waren nicht bei "grün" erreichbar, obwohl die App das verspro­chen hatte, Ampeln wurden als "rot" signa­lisiert, obwohl sie grün waren oder umge­kehrt. Für eine wirk­lich zuver­läs­sige Vorher­sage war die App damit noch zu unzu­ver­lässig.

Homescreen, erste Panne und Beispiel einer Live-Anzeige Homescreen, erste Panne und Beispiel einer Live-Anzeige
Screenshots/Montage: teltarif.de
Zwei weitere schwer­wie­gende Kritik­punkte müssen wir an dieser Stelle anbringen: Die Anzeige der Prognose erfolgte oft sehr spät, also erst zehn Meter vor der Ampel, was keine wirk­liche Ände­rung des Fahr­ver­hal­tens mehr zulässt - man kann ja nicht so kurz vor der Ampel auf die Bremse treten, wenn andere Autos hinter einem fahren. Und oft erschien die Anzeige auch nur für den Bruch­teil einer Sekunde. Das ist viel zu kurz, da man sich ja insbe­son­dere im Umfeld einer Kreu­zung auf das Verkehrs­geschehen konzen­trieren muss. Die Anzeige sollte also besser schon 30 bis 50 Meter vor der Ampel erfolgen und mindes­tens fünf Sekunden sichtbar bleiben.

Als recht irra­tional nahmen wir auch die Count­down-Anzeige an roten Ampeln wahr. Bewegte sich manchmal sekun­den­lang gar nichts, gab es dann Sprünge um mehrere Sekunden. Manchmal dauerte eine ange­zeigte Sekunde auch deut­lich länger oder kürzer als eine tatsäch­liche Sekunde. Obwohl das mit den über­tra­genen Daten zusam­men­hängen dürfte, ist das sehr verwir­rend.

Signal2X-App versus Verkehrs­politik und Fahr­ver­halten?

Wer die vergan­genen Jahre der über­wie­gend grün geprägten Stadt­politik in Darm­stadt mitver­folgt hat, kennt die Bemü­hungen, auf die zum Teil auch von uns in einem IoT-Test gemes­senen hohen Fein­staub­werte und die daraus resul­tie­renden bzw. zu erwar­tenden Klagen der Deut­schen Umwelt­hilfe zu reagieren. Das Ergebnis: Zahl­reiche mehr­spu­rige Haupt­durch­gangs­straßen sind ganz­tags oder zeit­weilig von Tempo 50 auf Tempo 30 "abge­rüstet" worden.

Als Nutzer der Signal2X-App gerät man damit aller­dings in ein mehr­faches Dilemma, denn offenbar wurden die Ampel­schal­tungen nicht auf die Verkehrs­pla­nung der Stadt abge­stimmt: Wenn man bereits vorschrifts­mäßig mit Tempo 30 durch die Stadt schleicht und die App "ermu­tigt" einen plötz­lich dazu, etwas schneller zu fahren, um die nächste Ampel noch bei "grün" zu errei­chen, begeht man nicht nur einen Regel­ver­stoß, sondern läuft auch noch Gefahr, geblitzt zu werden.

Weitere Impressionen von der Nutzung der App Weitere Impressionen von der Nutzung der App
Screenshots/Montage: teltarif.de
Außerdem ist man als Nutzer der Signal2X-App aktuell vermut­lich in Darm­stadt noch in der Minder­heit. Gene­rell gibt es im Stadt­ver­kehr die "Schlei­cher" und die "Raser", was in Verbin­dung mit der App in unserem Test teils zu skur­rilen Situa­tionen führte. Fährt man selbst hinter einem "Schlei­cher" her und die App ermu­tigt einen dazu, etwas mehr Gas zu geben, damit man die Ampel noch bei "grün" erreicht, wird der Zweck der App durch andere Verkehrs­teil­nehmer ohne App zunichte gemacht.

Betä­tigt man sich aller­dings selbst als "Schlei­cher" und fährt viel­leicht 40 statt der erlaubten 50, um nach der Empfeh­lung der Signal2X-App flie­ßend und ohne abzu­bremsen über die nächste Kreu­zung zu gelangen, kann man ziem­lich sicher sein, von einem genervten Mitfahrer mit aufheu­lendem Motor über­holt zu werden (der dann aller­dings vor der noch roten Ampel garan­tiert wieder abbremsen muss, aber immerhin die "Potenz" seines Wagens eindrück­lich vorge­führt hat).

Ein erstes Fazit

Nach dem ersten Test der Signal2X-App müssen wir konsta­tieren, dass es sich um ein geniales Konzept handelt, das aber in der Realität noch an vielen Dingen schei­tert. Das Problem der nicht verfüg­baren Live-Infos aus der Anfangs­phase dürfte bald der Vergan­gen­heit ange­hören. Ein Kritik­punkt ist aber die zum Teil viel zu kurze Anzeige der Prognose.

Am besten funk­tio­niert die App, wenn man quasi durch eine menschen­leere Stadt fährt und sein eigenes Fahr­ver­halten exakt auf die Prognose anpassen kann. Das entspricht aber nicht der Realität des zum Teil recht dichten Verkehrs und auch nicht der Erwar­tung anderer Teil­nehmer an das eigene Fahr­ver­halten.

Wirk­lich dauer­haft Sinn ergibt ein System wie Signal2X aus unserer Sicht nur, wenn alle Verkehrs­teil­nehmer quasi dazu gezwungen werden, es zu benutzen, was unrea­lis­tisch erscheint. In Zukunft sollten derar­tige Systeme unserer Meinung nach aber in allen selbst­fah­renden Autos vorhanden sein, da sich bei einer flächen­deckenden Nutzung bestimmt ein mess­barer Effekt beim Sprit­sparen sowie bei der Reduk­tion von Lärm- und Schad­stoff­emis­sionen ergibt.

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