Telekom kauft Glasfaser bei wilhelm.tel
Es gab Zeiten, da wäre diese Meldung "undenkbar" gewesen. Die Telekom kauft Glasfaser bei einem Konkurrenten ein. Die Deutsche Telekom und der örtlich sehr aktive Festnetz-Anbieter wilhelm.tel haben sich auf die Rahmenbedingungen für eine langfristige Kooperation geeinigt und eine Absichtserklärung unterzeichnet.
"Beide Unternehmen bekennen sich zur Netzöffnung, dem Prinzip des sogenannten Open Access", heißt es dazu in einer Pressemitteilung.
"Wholebuy" bei Glasfaser, Kunden haben freie Auswahl
Erstmalig kauft die Telekom Glasfaser-Leitungen als Vorprodukt von Wilhelm.tel ein
Grafik: Deutsche Telekom / wilhelm.tel
Vorgesehen ist, dass die Kunden mit einem Glasfaseranschluss der wilhelm.tel ab Ende 2022 auch die Produkte der Telekom buchen können. Derzeit versorgt die wilhelm.tel in ihrem Glasfasernetz knapp 205.000 Haushalte mit sehr schnellem FTTH (Fiber to the home), bis 2025 sollen rund 350.000 Haushalte angeschlossen sein.
Im nächsten Schritt werden beide Parteien die Vertragsverhandlungen zügig voranbringen und wollen noch im ersten Quartal des Jahres den Kooperationsvertrag unterzeichnen.
Weirich: Ende der Kupferzeit
Theo Weirich, einer der Pioniere des Glasfaser-Ausbaus und Geschäftsführer der wilhelm.tel GmbH, stellt fest: „Dem Ende der Kupferzeit sind wir mit dieser Kooperation ein wesentliches Stück nähergekommen und endlich verschwindet in Zukunft diese uncoole Bezeichnung 'bis zu' in der Bandbreitenangabe. Mit dieser Kooperation schaffen Telekom und wilhelm.tel einen gemeinsamen Standard, der eine breite und freie Auswahl von Festnetzprodukten Haushalten in der Metropolregion zur Verfügung stellt."
"Die Vernetzung mit Glasfaser, die freie Wahl des Providers, hohe und verlässliche Geschwindigkeiten und geringe Latenz", seien die Grundlagen für Innovationen einer freien Gesellschaft. Die "hohe Verfügbarkeit und die umfassenden Services, die alle von wilhelm.tel gewohnt sind", blieben erhalten. Die Metropolregion Hamburg insbesondere mit Norderstedt, dem Sitz von wilhelm.tel, stehe damit bundesweit auf dem ersten Platz.
Weirich geht davon aus, "dass die Telekom hier den Wettbewerb beleben wird."
Blankenburg: Kooperationen sind tragende Säulen des Glasfaserausbaus
Dido Blankenburg, Vorstandsbeauftragter für Breitbandkooperationen und Mitglied der Geschäftsleitung Telekom Deutschland, findet, dass Kooperationen eine tragende Säule des Glasfaserausbaus sind, denn davon profitierten die Beteiligten genauso wie die Bürger, sprich die Kunden.
Blankenburg findet weiter: "Wenn Unternehmen sich auf freiwilliger Basis einigen, hat das Signalwirkung." Die Zusammenarbeit mit wilhelm.tel entspreche dem Kerngedanken des sogenannten Open Access Prinzips und stehe damit für freien Netzzugang zu fairen, marktüblichen, diskriminierungsfreien Konditionen.
Die Beteiligten sind sich sicher, dass langfristige Partnerschaften dieser Art für die erfolgreiche Digitalisierung des Landes unverzichtbar sind. Deshalb freut sich die Telekom, dass mit wilhelm.tel in den Gesprächen eine grundsätzliche Einigung erzielen werden konnte.
Zugriff auf gesamtes Glasfasernetz der wilhelm.tel
Die Telekom wird ihre Produkte voraussichtlich ab Ende 2022 im gesamten Glasfaser-Ausbaugebiet der wilhelm.tel anbieten können. Damit deckt die Telekom dann einen Großteil der Metropolregion im Norden mit ihrer Festnetz-Produktpalette und Geschwindigkeiten von bis zu 1 GBit/s ab.
Im April des Vorjahres hatte das Unternehmen mit Sitz in Bonn bekanntgegeben, ebenfalls bis 2025 rund 540.000 Haushalte in Hamburg mit Glasfaser versorgen zu wollen. Dieser Eigenausbau konzentriert sich jedoch auf Gebiete, die von der wilhelm.tel bislang nicht erschlossen wurden. Damit wird ein Überbau bestehender FTTH-Infrastrukturen vermieden.
Wieviel Glasfaser hat die Telekom?
Das Glasfasernetz der Telekom umfasse heute bereits "mehr als 650.000 Kilometer" (wozu nicht nur die Leitungen bis ins Haus, sondern auch zu den VDSL-Verteilerkästen (FTTC, Vectoring) gerechnet werden. In Deutschland versorgt das Unternehmen über Vectoring mehr als 34,5 Millionen Haushalte und Unternehmen mit Bandbreiten von bis zu 100 MBit/s im Download.
Mehr als drei Millionen Haushalte und Unternehmensstandorte haben bereits Zugang zu einem reinen Glasfaser-Anschluss (FFTB/FTTH) mit Bandbreiten von bis zu 1 GBit/s. Die Telekom will in den kommenden Jahren ihren Beitrag dazu leisten, dass bis 2030 jeder Haushalt und jedes Unternehmen im Bundesgebiet über einen Glasfaser-Anschluss verfügen kann.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Was sich selbstverständlich anhört, ist eine kleine Sensation. Theo Weirich hatte sogar überlegt, sich um eine 5G-Mobilfunklizenz zu bewerben, um den Internetausbau voranzubringen und galt lange als profilierter Kritiker der Telekom.
Dass sich der Marktgigant Telekom und das relativ kleine Unternehmen wilhelm.tel quasi "auf Augenhöhe" begegnen, zeigt, dass das gemeinsame Ziel erkannt wurde: Möglichst vielen Bürgern und damit Kunden möglichst schnell Internet via Glasfaser liefern zu können. Der Kunde hat die Auswahl, seinen gewohnten Vertrag bei der Telekom fortzusetzen oder beim Anbieter wilhelm.tel zu bleiben oder dorthin zu wechseln.
Man würde sich wünschen, wenn auch andere Anbieter wie Deutsche Glasfaser (einschließlich Inexio), BBV und viele andere bislang eher unbekannte Anbieter sich zu diesem Schritt endlich durchringen könnten. Anbieter und Kunden würden gleichermaßen davon profitieren.
Wir berichten, was sich sonst beim Glasfaserausbau im Lande tut.