memento mori

Die Sehnsucht nach der virtuellen Grabesruhe

Trauerrituale im Internet
Von dpa / Marie-Anne Winter

In den Pausen zwischen Trauergespräch und Bestattung surft die freiberufliche Bestatterin Cordula Caspary durch Internetfriedhöfe. Die Bremer Kulturwissenschaftlerin erforscht Trauerrituale im Netz. Sie untersucht all die Websites, die Familienfotos von Menschen kurz vor ihrem Tod zeigen oder an den tödlichen Verkehrsunfall eines jungen Mannes erinnern. Besonders berührt sie die Liebeserklärung an eine Frau, die sich das Leben genommen hat. Auf der Gedenkseite präsentiert ein ehemaliger Freund den Lebenslauf der Verstorbenen, ihre Kette, Fotos und Plüschtiere. Sogar ihr Lachen ist per Mausklick abzuhören - die neue Art des Trauerns.

Auffallend oft werde in diesem modernen Medium an Menschen erinnert, die durch Selbstmord oder Unfälle ums Leben gekommen sind und die Freunde und Angehörige dadurch gefühlsmäßig überfordern, sagt Caspary. Einen Boom der Web-Memorials wie in den USA gebe es aber in Deutschland noch nicht. Unter Adressen wie www.memoriam.de, www.ewigesleben.de und www.hall-of-memory.de [Link entfernt] hat die Bremerin gerade mal 73 individuelle Einträge entdeckt.

Gerade der Trend zur anonymen Bestattung fördert ihrer Meinung nach die Hinwendung zum Netz. In ihrem Beruf beobachtet Caspary eine große Sehnsucht nach einer konkreten Anlaufstelle für die Trauerarbeit, und sei es nur auf dem Internetfriedhof. Dabei lassen sich vor allem Männer, darunter viele Singles und Computerfreaks, auf die virtuellen, in der Regel kostenpflichtigen Friedhöfe ein. Caspary: "Frauen neigen eher zu sinnlicher Trauer. Sie gehen zum Friedhof, pflanzen Blumen, weinen bei der Trauerfeier. Männern fällt es oft sehr viel schwerer, Gefühle zu zeigen."

Caspary verweist zudem auf Spaßseiten, die sich kaum für Trauerarbeit eignen. Auf dem Internetfriedhof mit der Adresse www.derfriedhof.de erinnern Grabsteine an einen verschrotteten Fiesta und an die Katze Moppi. Auf einer Internetseite aus Regensburg hat sich ein Student mit Foto und eingescannter Locke zu Lebzeiten einen Nachruf gegönnt. Bei www.cemetery.de [Link entfernt] werden Kugelschreiber und Playstation zu Grabe getragen.

Dass ernsthafte Anbieter Trost durch "ewiges Leben im göttlichen Netz" anbieten, beobachtet Caspary skeptisch. Internetfriedhöfe sind der 35-Jährigen, die seit ihrer Jugend mit dem Tod konfrontiert wird, fremd. Caspary: "Als Bestatterin habe ich einen ganz anderen Ansatz. Ich will, dass die Angehörigen den Toten waschen, berühren, Kerzen anzünden, Blumen stecken. Im Internet fehlt all das Sinnliche, all das Körperliche."

Mehr zum Thema Digitaler Nachlass