Ablehnung

Minister Wissing: Gegen komplizierte "Fair-Share"-Abgabe

Die EU-Kommis­sion über­legt, wie Google & Co. den euro­päi­schen Breit­band­ausbau mitfi­nan­zieren können. Verbrau­cher­schützer und jetzt auch der deut­sche Digi­tal­minister Wissing lehnen die Pläne ab.
Von mit Material von dpa

Der deut­sche Digi­tal­minister Volker Wissing will große Tech-Konzerne wie Google, Amazon, Apple, Netflix oder Meta nicht direkt an den Ausbau­kosten für Telekom-Netze in Europa betei­ligen. "Das freie und offene Internet ist ein hohes Gut, das es zu schützen gilt", sagte der FDP-Poli­tiker der "Welt am Sonntag". Man sei daher "gegen Markt­ein­griffe und kompli­zierte Betei­ligungs­modelle".

EU konsul­tiert die Branche

EU Kommissar Thiery Breton war früher Chef von France Télécom (heute Orange) und kann den Fair Share Ideen einiges abgewinnen. EU Kommissar Thiery Breton war früher Chef von France Télécom (heute Orange) und kann den Fair Share Ideen einiges abgewinnen.
Foto: Picture Alliance/dpa/European Commission
Netz­betreiber in Europa wie die Deut­sche Telekom, Telefónica oder Voda­fone fordern seit Jahren, die Internet-Platt­formen mit hohem Daten­durch­satz geson­dert zur Kasse zu bitten. Die derzeit laufenden EU-Konsul­tationen zu dem Thema geben der Telekom-Branche Hoff­nung, ans Ziel zu kommen.

55 Prozent des Daten­ver­kehrs

Die Netz­betreiber rechnen vor, dass die fünf größten Online-Dienste rund 55 Prozent des Daten­ver­kehrs verur­sachen. Das koste euro­päi­sche Netz­betreiber etwa 15 Milli­arden Dollar jähr­lich, hieß es im Februar auf dem Mobile World Congress (MWC) in Barce­lona.

Markt­anhö­rung

Die Kommis­sion muss nach der Markt­anhö­rung entscheiden, ob sie eine Gesetz­gebung dazu anstößt, an deren Ende eine EU-Verord­nung stehen könnte. Kritiker einer "Fair Share"-Rege­lung führen an, dass Nutzer bereits für den Daten­trans­port über ihre Gebühren für den Internet-Anschluss bezahlen.

Gefahr, dem Wirt­schafts­standort zu schaden

Der Deutsche Digital-Minister Volker Wissing lehnt die Fair-Share- Ideen der großen Netzbetreiber ab. Der Deutsche Digital-Minister Volker Wissing lehnt die Fair-Share- Ideen der großen Netzbetreiber ab.
Foto: Picture Alliance/dpa
In dem Inter­view sagte Wissing, die Gefahr sei groß, dem Wirt­schafts­standort zu schaden, kleine Unter­nehmen zu benach­tei­ligen und am Ende höheren Kosten für die Kunden zu schaffen. "Zudem bedarf jeder Markt­ein­griff einer Recht­fer­tigung - eine solche sehe ich aktuell nicht." Daher gebe es auch keinen Rege­lungs­bedarf.

Verbrau­cher­ver­bände eindeutig dagegen

Anfang Mai hatten bereits Verbrau­cher­ver­bände die Forde­rung nach einer Abgabe für große Online-Dienste zurück­gewiesen. Ein Mecha­nismus direkter Zahlungen an die Tele­kom­muni­kati­ons­pro­vider hätte "unmit­tel­bare und weit­rei­chende nega­tive Folgen, nicht nur für die euro­päi­schen Unter­nehmen, sondern auch für die Verbrau­cher", hieß es in einer Erklä­rung, die unter anderen vom deut­schen Verbrau­cher­zen­trale Bundes­ver­band (vzbv) unter­zeichnet wurde.

Zu den Unter­zeich­nern des Appells gehören unter anderen der deut­sche Verbrau­cher­zen­trale Bundes­ver­band, die euro­päi­sche Verbrau­cher­schutz­orga­nisa­tion BEUC (The European Consumer Orga­nisa­tion), die US-Bürger­rechts­grup­pie­rung EFF (Elec­tronic Fron­tier Founda­tion), die Digi­tale Gesell­schaft, der Wiki­pedia-Verein Wiki­media Europe sowie verschie­dene Internet- und Tele­kom­muni­kati­ons­dienst­leister.

Auch Prof. Barbara van Sche­wick, Rechts­pro­fes­sorin an der renom­mierten US-ameri­kani­schen Univer­sität von Stan­ford, lässt in einem Blog-Post und einem Zehn-Punkte-Papier kein gutes Haar an den Fair-Share Ideen.

Eine Einschät­zung von Henning Gajek

Die Argu­mente der Netz­betreiber sind durchaus plau­sibel: Sie pumpen nur noch Daten durch die Netze und verdienen daran wenig oder viel­leicht auch nichts. Aber: Die großen Inhalte-Anbieter haben längst eigene Leitungen über den Atlantik gelegt, um bei den euro­päi­schen Netz­betrei­bern direkt einzu­lie­fern. Über diese Leitungen werden natür­lich nur die Inhalte der großen Anbieter verteilt.

Klei­nere Anbieter müssen sich weiter über die konven­tio­nellen, teil­weise stark über­las­teten Wege behelfen. Deren Daten-Austausch-Punkte waren bisher gegen­seitig kostenlos, doch große Anbieter wie die Telekom weigern sich, ihre Zugänge aufzu­rüsten bzw. wollen dafür Geld haben. Es gibt nun mal eine Schief­lage, d.h. deut­lich mehr Daten fließen von USA nach Europa als umge­kehrt.

Wenn nun die EU Kommis­sion ein "Fair Share"-Regel­werk basteln würde, wäre das unend­lich kompli­ziert bis unmög­lich, wenn es wirk­lich gerecht sein soll. Klei­nere Tele­kom­muni­kati­ons­netz­anbieter bekämen wohl wenig oder nichts und die klei­neren Inhal­tean­bieter gingen genauso leer aus.

Es wird also wohl darauf hinaus­laufen, dass die großen Inhal­tean­bieter an den Über­gabe­punkten ihrer Leitungen zu den jewei­ligen Netz­betrei­bern künftig mehr bezahlen "dürfen". Die Inhal­tean­bieter werden versu­chen, diese Mehr­kosten wiederum ihren Kunden in irgend­einer Form zu berechnen. Bisher sind die meisten Ange­bote von Google, Meta/Face­book etc. komplett "kostenlos" oder kosten relativ wenig. Wenn das künftig teurer oder erst­malig berechnet wird, hängt es an den Endkunden, ob sie das in der großen Masse mitma­chen wollen. Alter­nativ könnten die Inhalts­anbieter die Werbe­schal­tungs-Preise erhöhen, in der Hoff­nung, dass die Marken­artikler das zahlen. Die werden es am Ende ihren Endkunden berechnen.

Aber: Wenn die Netz­betreiber kein Geld (und keine Lust) mehr haben, um ihre Netze ausrei­chend auszu­bauen, wird der Nutzer­frust weiter steigen. Es muss also eine für alle auskömm­liche Lösung geben.

Stei­gende Nutzungs­preise könnten dazu führen, dass Nutzer künftig wieder genauer über­legen, was für sie wichtig ist und wofür sie etwas bezahlen können (oder wollen) und was nicht. Wobei bezahlen nicht unbe­dingt ein Betrag in Euro oder Dollar bedeuten muss, sondern mehr oder neue Werbe­formen oder das (un)frei­wil­lige Bereit­stellen von persön­lichen Daten, die für die Werbe­branche einen "Wert" haben.

Auch das inter­natio­nale Einkaufen übers Netz könnte in der EU künftig teurer werden.

Mehr zum Thema Europaweite TK-Regulierung