Gebremst

Keine Gigabit-Förderung: Scheuer in Brüssel gescheitert?

Minister Scheuer wollte endlich Schwung in den bundes­weiten Gigabit-Netz­ausbau bringen. Kompli­zierte EU-Vorschriften zur Aufgreif­schwelle und Angst von Markt­teil­neh­mern verhin­dern das wohl.
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Dass die Netze in Deutsch­land ausge­baut werden sollen, ist längst poli­ti­scher Konsens. Dass man dafür ordent­lich Geld in die Hand nehmen muss, eigent­lich auch. Doch jetzt, wo Digital-Minister Scheuer endlich Bewe­gung in die Sache bringen wollte, kommen die EU-Kommis­sion in Brüssel und die Dach­ver­bände der privaten Netz­aus­bauer und Netz­be­treiber dem Minister in die Quere und blockieren seine ambi­tio­nierten Pläne.

Darüber berichtet heute die in Berlin erschei­nende Tages­zei­tung Tages­spiegel in ihrem Back­ground News­letter.

Streit um "graue Flecken"

EU-Kommission und Interessenverbände behindern Andreas Scheuers Gigabit-Ausbaupläne EU-Kommission und Interessenverbände behindern Andreas Scheuers Gigabit-Ausbaupläne
Foto: Picture Alliance / dpa
Es geht um die Förde­rung von "grauen Flecken", wo es heute schon "schnel­leres" Internet gibt, das aber eine gewisse Höchst­ge­schwin­dig­keit nicht über­schreitet. Diesen Wert nennt man "Aufgreif­schwelle", die aktuell bei 30 MBit/s liegt. Das bedeutet: Wer nur lang­samer als 30 MBit/s surfen kann, bekommt jetzt einen geför­derten Ausbau für Glas­faser bis ins Haus (FTTH). Wer aber schon z.B. VDSL 50 hat oder tech­nisch haben könnte, bekommt das nicht. Teil­weise sogar dann nicht, wenn der betrof­fene Kunde bereit wäre, den Aufpreis für den Anschluss selbst zu bezahlen. Das führt im Einzel­fall vor Ort zu Verwir­rung und Frust.

Denn bei dem zentralen Knack­punkt – der "Aufgreif­schwelle" – will sich die EU absolut nicht bewegen, fand der Tages­spiegel heraus. Die Folge: Minister Scheuer muss jetzt sein Förder­pro­gramm über­ar­beiten. Offi­ziell wollte man sich im Minis­te­rium nicht äußern, es würden weiterhin Gespräche mit allen Betei­ligten laufen.

Scheuers Gigabit-Pläne

Scheuer wollte den Ausbau von Gigabit-Leitungen fördern. Statt - wie bisher - in einem unend­lich kompli­zierten büro­kra­ti­schen Verfahren für jeden Stra­ßenzug und jeden Haus­an­schluss einer Region einzeln die Förder­fä­hig­keit zu prüfen, wollte der Minister eine einfache klare Logik: Dort, wo noch keine Gigabit-Leitung liegt, kann "grund­sätz­lich" geför­dert werden, wenn noch einige andere Punkte passen.

Damit hätte man in Deutsch­land zügig ein Upgrade für die bitter notwen­dige digi­tale Infra­struktur hinbe­kommen. Bisher gilt folgendes Prinzip: Bietet ein privater Anbieter vor Ort bereits eine Versor­gung mit mindes­tens 30 MBit/s, ist ein geför­derter Ausbau ausge­schlossen. Damit soll verhin­dert werden, dass die privat­wirt­schaft­liche Inves­ti­tionen dieses Anbie­ters über Nacht "wertlos" werden, wenn ein schnel­leres Netz "dazu" gebaut wird.

Wider­stand von Inter­es­sen­ver­bänden

Folg­lich gab es Wider­stand gegen den richtig schnellen Ausbau­plan vom Verband der Anbieter von Tele­kom­mu­ni­ka­tions- und Mehr­wert­diensten (VATM) und dem Bundes­ver­band Breit­band­kom­mu­ni­ka­tion (BREKO). Sie sehen die "Gefahr, dass der Glas­faser-Markt durch die Förder­mil­li­arden vom Staat nicht nur neue Konkur­renz bekommt, sondern auch die begrenzten Kapa­zi­täten von Tief­bau­un­ter­neh­mern durch einen zusätz­li­chen Ausbau in "unwirt­schaft­li­chen Gebieten" weiter verknappt würden.

Die Kritik der Verbands­ver­treter gipfelte in der Aussage, dass die Förde­rung die Planungs- und Bauka­pa­zi­täten von Gemeinden und Kommunen blockieren könnte, dass der eigen­wirt­schaft­liche Ausbau durch subven­tio­nierten Ausbau erheb­lich einge­schränkt werde.

Neben dem Wider­stand aus dem eigenen Land bekam Scheuer Wider­spruch durch die EU-Kommis­sion. Die EU habe erheb­liche Zweifel, ob die Förder­pläne nicht doch zu einer Markt­ver­zer­rung führen könnten. Das hatte 2019 schon die Mono­pol­kom­mis­sion befürchtet. Offi­ziell sagt die EU-Kommis­sion gegen­über anfra­genden Pres­se­ver­tre­tern nichts.

Die EU-Breit­band­richt­linie sieht eine Aufgreif­schwelle von 30 MBit/s vor. Bei der Geneh­mi­gung der baye­ri­schen Förder­richt­linie Anfang des Jahres sprang die EU über ihren Schatten und erhöhte die Schwelle auf 100 MBit/s. Dort können also auch Anschlüsse geför­dert werden, die "nur" 50 MBit/s schaffen. Offenbar fürchtet die EU, das Scheuer damit poli­tisch zwar zunächst Erfolg hätte ("Endlich wird richtig ausge­baut") und danach eine Welle von Prozessen auf die Gerichte und die Politik zurollen würden, ange­zet­telt von Mitbe­wer­bern, die beim Ausbau nicht zum Zuge kamen oder sich "über­gangen" fühlen.

Scheuer hatte sich im Tages­spiegel Back­ground über eine „Blocka­de­hal­tung der EU“ beschwert, die Unions­frak­tion sich direkt an Kommis­si­ons­prä­si­dentin Ursula von der Leyen gewandt, VATM und BREKO beschwerten sich im Gegenzug bei der Kommis­sion und dem Verkehrs­mi­nister. Dass die Verbände für den Fall einer Zustim­mung aus Brüssel vor Gericht gezogen wären, sei aber gegen­über dem Tages­spiegel zurück­ge­wiesen worden.

Neue Neure­ge­lung kostet wert­volle Zeit

Die Nieder­lage von Minister Scheuers ist tragisch, weil dem Entwurf des Förder­pro­gramms insge­samt gute Noten ausge­stellt worden waren – sowohl die kommu­nalen Spit­zen­ver­bände als auch die Länder hatten sich nach einigen Verhand­lungs­runden hinter das Bundes­för­der­pro­gramm gestellt, berichtet der Tages­spiegel. Nun muss alles wieder neu aufge­drö­selt werden.

Damit lässt sich, so folgert der Tages­spiegel, das im Koali­ti­ons­ver­trag verein­barte Ziel eines flächen­de­ckenden Gigabit-Netzes in Deutsch­land bis zum Jahr 2025 kaum halten. Das Graue-Flecken-Förder­pro­gramm könnte nun auch "kaum vor 2021" in Kraft treten.

Eine Einschät­zung von Henning Gajek

Anstatt gemeinsam das Ziel des schnellst­mög­li­chen und flächen­de­ckendes Ausbaus des Landes zu verfolgen, heulen die Betei­ligten ein Klage­lied in der pani­schen Angst, den Kürzeren zu ziehen. Es ist klar, wenn Anbieter A vor Ort schon konven­tio­nelle Technik mit 30 MBit/s aufge­baut hat, würde dieses Netz über Nacht "wertlos", wenn - vom Staat geför­dert - neue moder­nere Technik "daneben" gebaut würde. Man könnte aber die bestehende Infra­struktur von Anbieter A auch fördern, damit dort aufge­rüstet werden kann. Doch davon hätte ja die Konkur­renz nichts. Und: Die bestehende Infra­struktur gehört oft der Telekom. Da befürchten die "privaten" Konkur­renten, ganz außen vor zu bleiben.

Nun gibt es private Anbieter, die schaffen es, nagel­neue Glas­faser-Netze bis ins Haus "eigen­wirt­schaft­lich" , d.h. ohne staat­liche Förde­rung, aufzu­bauen, was lange Zeit als "wirt­schaft­lich unmög­lich" galt. Bei Lichte betrachtet, werden diese "eigen­wirt­schaft­li­chen" Netze gerne ziem­lich "holte­di­polter" ausge­rollt, teil­weise mit billigsten Sub-Sub-Unter­neh­mern und teil­weise in tech­nisch wenig opti­maler Ausfüh­rungs­qua­lität, weil es sich sonst viel­leicht doch nicht so wirk­lich rechnet.

Wenn die Telekom eine bestimmte Region ausbaut (oder ausge­baut hat), jammern die privaten Anbieter, dass sie nicht zum Zuge kämen und wie "teuer" doch die Vorleis­tungs­preise der Telekom seien, um deren Infra­struktur mitzu­nutzen. Bauen die privaten Anbieter eine Region selbst aus und möchte die Telekom später deren Leitungen nutzen, werden teil­weise so absurd hohe Preise aufge­rufen, weil in diesem Markt nichts gere­gelt ist, dass die Geschichte am Ende vor der Spruch­kammer der Bundes­netz­agentur landet. Und das kostet wieder viel Zeit.

Und dann gibt es einen Effekt, den man auch nicht über­sehen sollte: Es ist eine "Sätti­gung" bei verschie­denen Ziel­gruppen erreicht, die viel­leicht mit 50 oder 100 MBit/s bestens zufrieden sind, weil sie den späteren Bedarf für höhere Daten­raten noch nicht sehen. Wenn jetzt ganz Deutsch­land mit Gigabit-Glas­faser bis ins Haus ausge­baut würde, weiß niemand, wie viel Prozent der erreich­baren Kunden auch wirk­lich Gigabit bestellen würden. Sicher, es ist oft eine Preis­frage: Für 20 Euro im Monat würden viele Kunden das sofort buchen. Aber so rechnet sich das vermut­lich nie.

Eine gute Tele­kom­mu­ni­ka­tion-Infra­struktur gehört zur Daseins­vor­sorge. Wett­be­werb ist da gut und wichtig, damit die Preise nicht übers Ziel hinaus schießen oder ein "Monopol" nach Guts­her­renart schaltet und waltet. Nur: Die Versor­gung muss aber auch ausge­wogen sein und auch die Regionen errei­chen, wo der Ausbau unver­hält­nis­mäßig teuer ist, weil dort nur wenige Menschen leben oder arbeiten.

Nun rächt es sich, dass das Land nicht schon lange in Parzellen aufge­teilt und der bundes­weite Voll­ausbau ausge­schrieben wurde, wie man beispiels­weise bei Bundes­straßen oder dem Auto­bahnbau macht. Da könnten wir schon viel weiter sein.

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