Standpunkt

Gigabit: Ist Breitbandförderung gar nicht (mehr) notwendig?

Dass Minister Scheuer in Brüssel "geschei­tert" ist, war für den VATM klar. Die EU habe kein Konzept und im Übrigen wäre ein eigen­wirt­schaft­li­cher Ausbau im Wett­be­werb möglich. Buglas und BREKO sind prag­ma­ti­scher
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Jürgen Grützner, Geschäftsführer des VATM, wundert das Scheitern von Minister Scheuer nicht. Jürgen Grützner, Geschäftsführer des VATM, wundert das Scheitern von Minister Scheuer nicht.
Foto: vatm.de
Bekannt­lich konnte Minister Andreas Scheuer in Brüssel mit seinen Plänen zur Gigabit-Förde­rung nicht über­zeugen. Der Tages­spiegel zog verklau­su­liert und indi­rekt auch die Kritik der Verbände VATM und des BREKO als mögliche Gründe für den Miss­erfolg heran.

VATM sieht es diffe­ren­ziert

Jürgen Grützner, Geschäftsführer des VATM, wundert das Scheitern von Minister Scheuer nicht. Jürgen Grützner, Geschäftsführer des VATM, wundert das Scheitern von Minister Scheuer nicht.
Foto: vatm.de
VATM-Geschäfts­führer Jürgen Grützner sieht es diffe­ren­zierter: „Wer Gigabit-Ziele wie die EU und die Bundes­re­gie­rung ausgibt, sollte auch in der Lage sein, diese zu errei­chen. Sich derart inein­ander zu verkeilen und als EU auf Jahre alten Förder­grund­sätzen zu beharren, ist genauso schlimm für die Bürger, wie die zu kompro­miss­lose Forde­rung nach einer voll­stän­digen Aufgabe der bislang nun mal bestehenden Aufgreif­schwelle für eine Förde­rung. Allen musste klar sein, dass wir Gigabit im länd­li­chen Raum, wo eigen­wirt­schaft­li­cher Ausbau unmög­lich ist, nicht errei­chen können, wenn Förde­rung ober­halb bestehender 100-MBit/s-Versor­gung kate­go­risch ausge­schlossen wird."

Alles oder nichts?

Die „Alles-oder-nichts“-Haltung der Länder habe zum Schei­tern der Bundes­re­gie­rung beigetragen, findet er. Das Minis­te­rium habe auf drin­gend erfor­der­li­chen Einschrän­kungen und Prio­ri­sie­rungen verzichtet, um überall dort geför­dert bauen zu können, wo sie es für richtig hielten. Der VATM hatte auf die große Wahr­schein­lich­keit eines Schei­terns oder erheb­li­chen Zeit­verzug und die unbe­dingte Notwen­dig­keit einer klaren und harten Prio­ri­sie­rung von Anfang an hinge­wiesen.

Beson­ders, dass gerade Bayern seinen eigenen CSU-Minister mit einem eigenen Bayern-Förder­pro­gramm (mit 100-MBit/s-Grenze) noch schnell im vergan­genen Jahr über­holte, habe die Chancen auf erfolg­reiche Gespräche in Brüssel noch weiter sinken lassen.

Konzept­lo­sig­keit in Brüssel

Der VATM wirft der EU-Kommis­sion Konzept­lo­sig­keit vor, auf die man Ursula von der Leyen direkt zu ihrem Amts­an­tritt hinge­wiesen habe. Statt einer neuen echten Gigabit-Stra­tegie bleibe die EU-Kommis­sion stur bei einer "veral­teten Aufgreif­schwelle", was bedeute, dass besser versorgte Gebiete ober­halb von 100 MBit/s bis auf weiteres keine Förde­rung erhalten können.

Wird Vecto­ring geschützt?

Wer Vecto­ring gebaut habe, bleibe vor weiteren staat­li­chen Eingriffen geschützt. Brüssel habe sein Gigabit-Ziel nicht flächen­de­ckend formu­liert, sondern nur für 50 Prozent seiner Bürger – die „Anderen“ können ja ruhig warten. An der absurden Situa­tion wolle auch Ursula von der Leyen kurz­fristig nichts ändern.

Digi­ta­li­sie­rung und Gigabit auf dem Land, dort wo "eigen­wirt­schaft­li­cher" Ausbau nicht möglich sei, falle nun der Vecto­ring-Politik der Bundes­re­gie­rung zum Opfer. Was nach einem späten Sieg der Telekom ausschaue, entpuppe sich bei genauerem Hinsehen auch für sie als schwierig, da selbst die Telekom endlich von Vecto­ring auf echte Glas­fa­ser­an­schlüsse schwenken wollte. Die Telekom wäre ohnehin der "Haupt­pro­fi­teur einer fetten Förde­rung" geworden.

Förder­schwelle und Flicken­tep­pich bleiben

Der VATM vermutet, dass wohl erst einmal die alte Förder­schwelle bleibt, was noch mehr Flicken­tep­pich bedeutet – mit Förde­rung und Ausbau auf einer Stra­ßen­seite oder nur in einem Dorf­teil, wo weniger als 100 MBit/s verfügbar sind. "Glas­fa­ser­netze werden nun aber mal nicht punk­tuell für schlechter versorgte Einzel­adressen gebaut und das sollte endlich auch Brüssel verstanden haben", stellt der VATM zutref­fend fest. Es ist klar: "Solch eine Politik geht nun zu Lasten vieler Bürger – insbe­son­dere auf dem Land." In der Tat.

Sinn­volle Migra­tion

Der VATM findet, dass eine sinn­volle Migra­tion über­fällig sei, wenn es die Politik mit den Gigabit-Zielen auch dort ernst meine, wo eigen­wirt­schaft­li­cher Ausbau schei­tert und Förde­rung notwendig ist.

Die Politik solle solche Reglungen drin­gend mit den Unter­nehmen bespreche, denn diese "müssen letzt­lich den gigan­ti­schen Ausbau stemmen." Grützner beklagte weiter, die kompro­miss­lose Unfä­hig­keit, "eine Rege­lung zu finden, die den eigen­wirt­schaft­li­chen Ausbau schützt und Förde­rung entspre­chend beschränkt."

Wirt­schaft baut einfach so weiter?

Auf der anderen Seite ist sich Grützner sicher, dass die Wirt­schaft unver­drossen weiter bauen werde - auch ohne Förde­rung und gerade auf dem Land, weiter an ihrer Auslas­tungs­grenze. Das mache deut­lich, dass nicht mehr Staat gebraucht werde, sondern Inves­ti­tions- und Inno­va­ti­ons­wett­be­werb. "Dann baut auch die Telekom echte Glas­fa­ser­netze – irgend­wann.“

BREKO: Blick nach vorne richten

Außerdem erreichte uns ein State­ment des BREKO-Verbandes: "Nachdem offen­sicht­lich keine Eini­gung mit der EU-Kommis­sion erzielt werden konnte, gilt es jetzt den Blick nach vorne zu richten. Der BREKO steht auch zukünftig für einen konstruk­tiven Austausch zur Verfü­gung. Wir haben erst vor wenigen Wochen einen eigenen Vorschlag in die Diskus­sion einge­bracht, der auch darauf abzielt, dass staat­liche Förder­mittel zuerst dorthin gelenkt werden, wo die Inter­net­ver­sor­gung der Bürge­rinnen und Bürger aktuell und auch zukünftig beson­ders schlecht ist.“

Buglas: Brüssel und Berlin sollen sich einigen

Der Bundes­ver­band Glas­faser sieht die Schul­digen eher in Berlin und Brüssel: "Für einen flächen­de­ckenden Glas­fa­ser­ausbau ist es wünschens­wert, dass sich die Entscheider in Brüssel und Berlin einig werden. Vor allem ange­sichts der Ziele, die sich die deut­sche EU-Rats­prä­si­dent­schaft gesetzt hat, wäre eine Moder­ni­sie­rung der Förder­maß­gaben sinn­voll. Die vergan­genen Wochen der Corona-Pandemie haben gezeigt, wie wichtig eine hoch­leis­tungs­fä­hige digi­tale Infra­struktur ist, die idea­ler­weise die Glas­faser direkt ins Gebäude bringt."

Eine Kurz­kritik von Henning Gajek

Während der BREKO zu gewohntem Prag­ma­tismus zurück­kehrt, verblüfft das State­ment des VATM: Wäre ein bundes­weiter Ausbau "im Wett­be­werb" auch "eigen­wirt­schaft­lich", also ohne Förde­rung möglich? Ist das wirk­lich nur noch von Personal- und Maschi­nen­ka­pa­zi­täten bei den Tief­bau­firmen abhängig? Dann fragt sich der Betrachter aller­dings, warum nicht schon viel früher viel mehr gebaut wurde.

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