Überwachungsforschung

Justizministerium entschärft Datenspeicherungs-Studie

AK Vorratsdatenspeicherung beklagt politische Einflussnahme
Von Hans-Georg Kluge

Die Vorratsdatenspeicherung basiert auf einer EU-Richtlinie und sorgt seit langem für Streit. Die Vorratsdatenspeicherung basiert auf einer EU-Richtlinie und sorgt seit langem für Streit.
Bild: http://ec.europa.eu/index_de.htm (Flagge) Montage: teltarif.de
Wie der AK Vorratsdatenspeicherung mitteilt, habe das Bundes­justizministerium im Jahr 2007 erheblichen Einfluss auf eine Studie zum Thema Vorrats­datenspeicherung genommen. Wie der Arbeitskreis unter Berufung auf einen Beitrag im Fernsehmagazin "Frontal 21" [Link entfernt] berichtet, sei der ursprüngliche Bericht des Max-Planck-Institut für internationales und ausländisches Strafrecht vom Justizministerium deutlich revidiert worden. Die Überarbeitungen zeigen dabei eine deutliche Tendenz zur Entschärfung der Aussagen auf.

Die Vorratsdatenspeicherung basiert auf einer EU-Richtlinie und sorgt seit langem für Streit. Die Vorratsdatenspeicherung basiert auf einer EU-Richtlinie und sorgt seit langem für Streit.
Bild: http://ec.europa.eu/index_de.htm (Flagge) Montage: teltarif.de
Laut den Ausführungen des Arbeitskreises habe das Ministerium vielfältige Kritikpunkte aufgeführt, alle mit dem Ziel, problematische und politisch nicht genehme Aspekte zu überdecken. Das Forschungsinstitut musste sich schließlich dem politischen Druck beugen und änderte teilweise seine Einschätzungen. Erreicht wurde dies angeblich auch durch Zurückhalten von Honorarzahlungen.

Entschärfte Passagen des Berichts

Die im Rahmen eines Forschungsprojekts entstandene Studie hatte unter anderem die Menge der betroffenen Personen mit annähernd 300 Millionen in ganz Europa beziffert. Dagegen wandte sich das Ministerium, das im Abschlussbericht nur noch einen allgemeinen Verweis auf die Mitgliedsländer der Europäischen Union stehen ließ. Auch die Tendenz des Satzes wurde umgebogen. Wollte der ursprüngliche Bericht noch darauf hinweisen, dass eine deutliche Ausweitung der Datensammeltätigkeit stattfindet, stellt der veröffentlichte Abschlussbericht die Datenspeicherung in den Zusammenhang der Speicherung für Abrechnungszwecke, so dass die Datenspeicherung "damit beständig und über die bereits heute zu Abrechnungszwecken erfassten Daten hinausgehend" sein werde.

Dass die gespeicherten Daten auch Rückschlüsse auf "persönliche Präferenzen" zu lassen, erscheint dem Ministerium in der in Auftrag gegebenen Studie nicht erwähnenswert, weshalb es die betreffende Passage unter den Tisch fallen lässt. Solche und andere Stellen zeigen deutliche Spuren der Entschärfung des Inhalts. Auch Hinweise auf eine Nähe der Vorratsdatenspeicherung zur Rasterfahndung schien dem Ministerium unzureichend begründet. Verändert wurden auch Aussagen zur Nutzung der Daten. Der ursprüngliche Entwurf sah Zugriffsmöglichkeiten im Rahmen leichter und mittelschwerer Kriminalität gegeben. Übrig blieb in der veröffentlichten Fassung nur die mittelschwere Kriminalität.

Gegenüber Frontal 21 äußert sich auch die damalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries. Es habe sich in vielen Fällen um Anpassungen des Sprachgebrauchs zwischen Deutschland und Europa gehandelt. Der entschärfte Bericht wurde schließlich im März 2008 veröffentlicht.

Unabhängige Grundrechteagentur gefordert

"Ich bin entsetzt darüber, wie politisch gesteuert vermeintlich unabhängige Ergebnisse regierungsfinanzierter Überwachungsforschung in Deutschland sind", kommentiert Kai-Uwe Steffens vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung.

"Eine unabhängige Überprüfung aller bestehenden Überwachungsbefugnisse in Hinblick auf ihre Wirksamkeit, Verhältnismäßigkeit, Kosten, schädliche Nebenwirkungen und Alternativen, wie sie zehntausende von Bürgern auf unseren jährlichen Demonstrationen gegen Überwachungswahn fordern", sei unter den aktuellen Umständen nicht möglich. Der AK Vorratsdatenspeicherung fordert deswegen, eine unabhängige Grundrechteagentur zu gründen, die nur dem Bundestag Rechenschaft schuldig sein soll.

Einschätzung: Ministerien tatsächlich unabhängig?

Ob ein Ministerium tatsächlich unabhängige Ergebnisse und Studien vorlegen muss, bleibt allerdings fraglich, da Ministerien nicht unbedingt eine neutrale Stelle darstellen, sondern den Interessen der Politik dienen. Weiterhin werden Kritiker der Vorratsdatenspeicherung auf eigene Studien angewiesen bleiben. Hier könnte die vorgeschlagene Grundrechteagentur tatsächlich Abhilfe schaffen.

Deutlich kritikwürdig ist die Vorgehensweise des Ministeriums, die Vorratsdatenspeicherung in einen Zusammenhang mit Abrechnungsfragen zu stellen. Dies stellt eine Vermischung von staatlicher und privater Ebene dar. Hier ist der Versuch deutlich zu erkennen, die Auswirkungen der Datenspeicherung zu verschleiern.

Vorratsdatenspeicherung: Stand der Dinge

Der Streit um die Vorratsdatenspeicherung geht unterdessen weiter. Der Bunderegierung droht ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission, da sich die zuständigen Minister nicht über eine Ausgestaltung der Datenspeicherung einigen können. Die Frist zur Einführung der Vorratsdatenspeicherung läuft heute ab. Da die EU-Kommission selbst an der Richtlinie arbeitet, will die Bundesregierung jedoch mit der Umsetzung der aktuellen Richtlinie abwarten. Mehrere Wirtschaftsverbände, darunter BITKOM und eco, empfehlen, eher ein Strafverfahren zu riskieren, als die Vorratsdatenspeicherung überstürzt einzuführen. Die nötige technische Infrastruktur sei aufgrund der Anforderungen des Bundesverfassungsgericht deutlich komplexer und damit teurer. Der erste Versuch der Einführung im Jahr 2008 habe die Provider nach Angaben der Verbände rund 330 Millionen Euro gekostet.

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