Schockrechnung

BGH-Urteil: Internet-Anbieter muss bei Kostenexplosion warnen

Kunden haben aber die Pflicht, ihre Rechnungen zeitnah zu prüfen
Von Marc Kessler

BGH Der BGH definiert in einem aktuellen Urteil
Pflichten für Anbieter und Nutzer
Foto: BGH, Montage: teltarif.de
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in einem aktuellen Urteil (Az.: III ZR 71/12, Urteil vom 19.07.2012) zu den Sorgfalts­pflichten von Nutzern eines Internet-Anschlusses, aber auch den Verpflichtungen von Telekom­munikations­anbietern geäußert. Während Internet-Anbieter die Pflicht trifft, ihren Kunden bei "ungewöhnlichem Nutzungsverhalten" rechtzeitig zu warnen und den Anschluss im Notfall vorsorglich zu sperren, müssen auch Kunden zeitnah reagieren, wenn sie Hinweise auf den Missbrauch ihres Anschlusses oder eine (kostenträchtige) Fehlfunktion ihrer Hardware haben.

Rechnungen explodierten von knapp 20 Euro auf bis zu 650 Euro

BGH Der BGH definiert in einem aktuellen Urteil
Pflichten für Anbieter und Nutzer
Foto: BGH, Montage: teltarif.de
Im konkreten Fall hatte ein Kunde einen Internet-Anschluss mit einem auf 40 Stunden pro Monat begrenzten Zugangstarif zum Monatspreis von 19,79 Euro genutzt. Nachdem die Abwicklung des Vertrages jahrelang problemlos funktioniert hatte, erhielt der Nutzer im Dezember 2009 plötzlich eine Rechnung über mehr als 290 Euro. In den Folgemonaten - Januar 2010 bis Juli 2010 - beliefen sich die Rechnungsbeträge sogar stets auf Beträge zwischen rund 545 und 654 Euro. Sie wurden per Lastschrift vom Konto des Nutzers eingezogen.

Der Kunde bemerkte das Problem aber erst mehr als ein halbes Jahr später

Der Kunde bemerkte die Problematik erst im Juli 2010 und reklamierte die zu hohen Rechnungsbeträge. Daraufhin stellte der Anbieter den - offensichtlich veralteten - Tarif auf eine echte Flatrate um. Vor Gericht verwies der Telekom­munikations­anbieter darauf, dass der (falsch konfigurierte) Router des Kunden, der zudem nicht von ihm zur Verfügung gestellt worden sei, ständig Verbindungen ins Internet aufgebaut habe. Der Kunde verlangte von seinem Anbieter hingegen die Rückzahlung der aus seiner Sicht zu viel abgebuchten Beträge. Er machte geltend, ein Dritter könne sich des Internetzugangs bemächtigt haben oder ein Fehler des Routers habe für die dauerhafte Internet-Verbindung gesorgt.

BGH: Anschlussinhaber muss (nur) das Zumutbare unternehmen

Der Fall landete schließlich vor dem Bundesgerichtshof. Dieser entschied nun: "Zwar bleibt der Anschlussinhaber (...) grundsätzlich auch dann vergütungspflichtig, wenn Verbindungen ohne seine Billigung hergestellt werden, soweit die Ursachen in seiner technischen Sphäre liegen. (...) Der Anschlussinhaber muss (...) alle ihm zumutbaren geeigneten Vorkehrungen treffen, um eine von ihm nicht gebilligte Nutzung zu unterbinden." Aber: "Trifft er jedoch diese Maßnahmen und kommt es gleichwohl zu einer von ihm nicht gebilligten Inanspruchnahme der Leistungen des Anbieters, hat dieser (...) keinen Vergütungsanspruch, auch wenn die Ursache für die Nutzung des Anschlusses in der technischen Sphäre des Inhabers liegt."

Anbieter hat Pflicht zur Warnung und notfalls Sperrung des Anschlusses

Kurzum: Sofern der Kunde alles ihm Zumutbare unternommen hat, haftet er auch dann nicht für die Kosten, wenn die Schuld nicht (direkt) beim Anbieter liegt. Zudem sah der BGH auch den TK-Anbieter in der Pflicht; dieser hätte den Kunden aktiv warnen müssen: "Vielmehr schließt sich der Senat (...) der in der instanzgerichtlichen Rechtsprechung vertretenen Gegenauffassung an, nach der der Telekommunikationsanbieter bei ungewöhnlichem Nutzungsverhalten (wie hier: ständige Verbindung eines Routers mit dem Internet bei zeitabhängigem Tarif), das zu einer Kostenexplosion führt, zur Schadensbegrenzung verpflichtet ist, den Kunden zu warnen und den Internetzugang gegebenenfalls kurzfristig zu sperren."

Und weiter: "Kann der Anbieter einen möglichen Missbrauch seiner Leistungen oder eine Fehlfunktion der der Sphäre seines Kunden zuzuordnenden Technik mit zumutbarem Aufwand leicht erkennen, während dem Durchschnittskunden das Aufdecken solcher Vorgänge und die Vorsorge hiergegen mit den üblichen Mitteln nur schwer möglich ist, gebietet die Rücksichtsnahme des Anbieters auf die Interessen seines Vertragspartners, diesen rechtzeitig zu unterrichten und zu warnen (...)."

Späte Reaktion des Kunden beschneidet dessen Anspruch auf Rückerstattung

Diese grundsätzlichen Feststellungen des Bundesgerichtshofs halfen dem Kunden im konkreten Fall jedoch nur teilweise, hatte er doch monatelang versäumt, seine (explodierten) Rechnungen zu prüfen. So schrieb ihm der BGH dann auch ins Stammbuch: "Hiernach war der Kläger gehalten, nach Zugang der Rechnung vom 17. Dezember 2009 (...) unverzüglich zu reagieren und entweder die dauerhafte Verbindung seines Routers mit dem Internet zu unterbinden oder sogleich in den reinen Pauschaltarif der Beklagten zu wechseln."

Daher habe der Kunde gegenüber seinem Anbieter nur einen Erstattungsanspruch bis zum Zeitpunkt des Erhalts der ersten Schockrechnung, befanden die Richter. "Sein Versäumnis, dies vor Juli 2010 zu tun, führt ab dem Zeitpunkt, von dem ab die übermäßige Kostenbelastung hätte abgestellt werden können, (...) zum Verlust des Schadenersatzanspruchs des Klägers."

Weitere Urteile des Bundesgerichtshofs