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Bundes­tag: VDS beschlossen, SMS-Inhalte werden gespeichert

Der Bundestag hat die umstrittene Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Die große Koalition peitschte das Projekt trotz erheblicher Bedenken durch das Parlament.
Von Hans-Georg Kluge mit Material von dpa

Der Bundestag hat mit den Stimmen der großen Koalition die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Der Bundestag hat mit den Stimmen der großen Koalition die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung beschlossen.
Bild: dpa
Trotz scharfer Kritik von Opposition und Datenschützern hat der Bundestag eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Tele­kommuni­kationsanbieter sollen die IP-Adressen von Computern und Verbindungsdaten zu Telefongesprächen künftig zehn Wochen aufbewahren, damit Ermittler bei der Bekämpfung von Terror und schweren Verbrechen darauf zugreifen können. Standortdaten bei Handy-Gesprächen sollen vier Wochen gespeichert werden, Daten zum E-Mail-Verkehr gar nicht. Auch Kommuni­kations­inhalte sollen nicht erfasst werden. Die Vorratsdaten­speicherung sorgt seit Jahren für Streit in Deutschland und der EU.

Justizminister Maas verteidigt Regierungspläne

Der Bundestag hat mit den Stimmen der großen Koalition die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung beschlossen. Der Bundestag hat mit den Stimmen der großen Koalition die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung beschlossen.
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Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) hat die Wiedereinführung der umstrittenen Vor­rats­daten­speicher­ung verteidigt. Es handele sich zwar um einen Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung, aber in verhältnismäßigem Maße, sagte Maas bei der abschließenden Beratung der Gesetzespläne im Bundestag. Im Gegensatz zu der früheren Regelung würden nun weniger Daten gespeichert, sie würden kürzer aufbewahrt, und es gebe hohe Hürden für den Zugriff. "Damit werden wir der höchstrichterlichen Rechtsprechung vollumfänglich gerecht", sagte der Minister.

Das sind die konkreten Regelungen

Zehn Wochen lang soll gespeichert werden, wer wann mit wem wie lange telefoniert, simst und wie sich jemand im Internet bewegt. Vier Wochen sollen die Standortdaten von Handy-Gesprächen aufbewahrt werden. Daten zum E-Mail-Verkehr werden nicht erfasst, auch nicht Kommunikationsinhalte. Die Sicherheits­behörden bekommen nur in bestimmten Fällen Zugriff auf die Daten. Doch die Erfassung trifft nicht nur verdächtige Schwerverbrecher, sondern sämtliche Bürger. Künftig sollen also nach dem Willen der Regierung Daten verdacht- und anlasslos gespeichert werden.

Medienberichten zufolge läuft das Gesetz aber darauf hinaus, dass Inhalte von SMS-Konversationen gespeichert werden. Dies berichtet die Süddeutsche Zeitung unter Berufung auf Aussagen der Netzbetreiber. Demnach sei es technisch nicht möglich, die Transportdaten einer SMS von den Inhalten zu trennen.

Von der Vorratsdaten­speicherung erhofft sich die Regierung eine effizientere Bekämpfung von Terror und schweren Verbrechen. Behörden dürfen die Daten laut Gesetzentwurf auch nur zur Verfolgung bestimmter schwerer Straftaten nutzen - etwa bei der Bildung terroristischer Vereinigungen, Mord, Totschlag oder sexuellem Missbrauch. Einen Abruf der Informationen muss jeweils vorher ein Richter erlauben.

Es gibt jedoch Ausnahmen. Anrufe bei Seelsorge-Hotlines werden grundsätzlich nicht erfasst. Die Daten von Berufsgeheimnisträgern - etwa Rechtsanwälten, Ärzten, Abgeordneten oder Journalisten - werden zwar mitgespeichert, dürfen aber nicht verwertet werden. Allerdings gibt es ein Problem: Die Daten lassen sich nicht vorab herausfiltern. Es zeigt sich erst beim Zugriff, ob jemand Informant oder Lehrer, Tatverdächtiger oder Anwalt ist. Journalisten sehen den Informantenschutz in Gefahr: "Sollte das Gesetz Realität werden, können Journalisten ihren Quellen keinen Schutz vor Aufdeckung mehr bieten", warnten Medienorganisationen und die ARD.

Überhaupt dürften Kriminelle schnell Lücken in der Überwachung finden und Schlupflöcher ausnutzen. Den Straftätern werde bereits im Vorfeld aufgezeigt, dass ihre Telefongespräche in Call-Shops oder die Internetnutzung in Internet-Cafés nicht in die Vorratsdaten­speicherung einfließe, bemängelte unlängst die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff. Und es gibt noch mehr Möglichkeiten - etwa beim Telefonieren mit freigeschalteten Prepaid-Handys, die keiner bestimmten Person mehr zuzuordnen sind, oder mit Krypto-Telefonen, die Kommunikation sicher verschlüsseln und auch die Verbindungsdaten verschleiern.

Mehrkosten in dreistelliger Millionenhöhe

Auf die Industrie kommen Mehrkosten zu. Die Telekommunikationsfirmen sollen verpflichtet werden, bei der Speicherung Sicherheits­vorkehrungen einzuhalten, dafür einen Server im Inland zu benutzen und die Daten nach Ablauf der vier oder zehn Wochen unverzüglich zu löschen. Sonst droht ein Bußgeld. Der Verband der Internetwirtschaft eco übt scharfe Kritik: "Die betroffenen Unternehmen bleiben auf Kosten von geschätzt 600 Millionen Euro sitzen, die sie für die Einrichtung entsprechender Speicherinfrastruktur ausgeben werden." Andere Schätzungen gehen von niedrigeren Summen aus - die BNetzA beispielsweise rechnet mit rund 260 Millionen Mehrkosten. Wer auch immer Recht behält: Über kurz oder lang werden die überwachten Kunden für Ihre Überwachung bezahlen - in Form teurer Tarife.

Wer will die Vorratsdatenspeicherung?

Sigmar Gabriel und Heiko Maas machten den Weg frei für die Vorratsdatenspeicherung. Sigmar Gabriel und Heiko Maas machten den Weg frei für die Vorratsdatenspeicherung.
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Als politisch verantwortlich für die Vorratsdaten­speicherung gilt der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel. Justizminister Heiko Maas (SPD), der sich lange gegen diese Form der Massenüberwachung einsetzte und den Forderungen aus der Union Widerstand entgegensetzte, musste gegenüber dem Parteivorsitzenden einknicken und an einem Gesetzentwurf mitarbeiten. Politiker aus CDU/CSU fordern seit je her die Vorratsdatenspeicherung.

Eine europäische Vorgabe für eine Vorratsdaten­speicherung gibt es nicht. Der EuGH hatte im Jahr 2014 entsprechende Richtlinien gekippt. Der Alleingang Deutschlands wird einer gerichtlichen Prüfung noch standhalten müssen: Datenschützer und Parteien haben bereits Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht angekündigt.

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