Gedrehte Wellen

Funkwellen mit Drehimpuls: Frequenzknappheit zu Ende?

Neues Verfahren erlaubt mehrere Signale auf derselben Frequenz
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Die Forscher um Tamburini nutzen nun nicht ein mathematisches Verfahren, sondern eine weitere physikalische Eigenschaft von Radiowellen, um ebenfalls die Kanalkapazität zu vervielfachen: Neben der Polarisation können Radio- und Lichtwellen auch einen sogenannten Bahndrehimpuls (englisch: "orbital angular momentum") aufweisen. Dieser bewirkt, dass sich die Radiowelle nicht mehr gradlinig ausbreitet, sondern als Spirale rund um ihr Zentrum kreist. Im Detail beschreibt eine solche Welle eine ähnliche Schraubenlinie wie ein Korkenzieher oder Fusilli-Nudeln.

Auch, wenn die Unterscheidung schwer fällt, gibt es einen wesentlichen Unterschied zu zirkular polarisierten Wellen: Bei zirkularer Polarisation läuft die Welle weiterhin geradeaus, nur dreht sich die Welle in sich und die Richtung, in die die Felder zeigen. Mit Bahndrehimpuls hingegen wird die Welle selber auf die genannte Schraubenlinie gezwungen. Je größer der Bahndrehimpuls, desto größer ist auch der Durchmesser der Schrauben, währen die Drehgeschwindigkeit gleich bleibt, so dass sich die Laufweite der Spiralen erhöht.

zirkulare Polarisation zirkulare Polarisation
Grafik: teltarif.de
Wer jetzt vielleicht sagt: "Bahndrehimpuls, das Wort kenne ich aus der Chemie: Es gibt an, wie 'schnell' die Elektronen um den Atomkern 'kreisen', während der Spin oder 'Drall' aussagt, wie herum die Elektronen sich um die eigene Achse drehen", der hat recht! Der Spin des Elektrons entspricht beim Photon, dem Teilchen des Lichts, der Polarisation, und der Bahndrehimpuls des Elektrons entspricht dem Bahndrehimpuls des Photons. Nur, dass eine Lichtwelle nicht um einen Atomkern kreist, sondern um die gedachte Mittellinie in Ausbreitungsrichtung.

Radiowelle mit Bahndrehimpuls 1 Radiowelle mit Bahndrehimpuls 1
Grafik: teltarif.de
Vor dem genannten physikalischen Hintergrund erscheint es sehr plausibel, dass Tamburini & Co. tatsächlich die Übertragung zweier getrennter Signale auf derselben Frequenz durch Nutzung unterschiedlicher Bahndrehimpulse gelungen ist. Man muss nur Sende- und Empfangsantenne geeignet gestalten, damit diese nicht nur Radiowellen mit Bahndrehimpuls 0 (wie gewöhnliche Antennen), sondern eben auch mit Bahndrehimpuls 1 oder -1, 2 oder -2 usw. erzeugen.

Die Kombinationsfrage

Dürfen wir uns also demnächst auf ein Mobilfunksystem freuen, das per Kombination der ganzen Technologien die Kanalkapazität quasi ins Unendliche steigert? Das zum Beispiel mit Polarisation (Faktor 2), 4-fach-MIMO (Faktor 4), Bahndrehimpuls von -2 bis 2 (Faktor 5) und 64-QAM-Modulation (Faktor 6) aus einem nur 5 MHz breiten Funkband (wie bei UMTS üblich) eine Brutto-Bitrate von über 1 000 MBit/s (1 GBit/s) herausholt? Nun, wahrscheinlich leider nein.

Eine nähere Analyse zeigt leider: MIMO und Bahndrehimpuls sind wahrscheinlich nur unterschiedliche Beschreibungen desselben Effekts: Das Signal zwei normaler Antennen, die um eine Wellenlänge versetzt hintereinander stehen, kann man sich auch aus einer Welle mit Bahndrehimpuls 0 (dem "Gleichklang" der beiden Antennen) und zweier weiterer Wellen mit Bahndrehimpuls +1 und -1 (der "Dissonanz" zwischen den beiden Antennen) vorstellen.

Aber selbst, wenn die Forscher um Tamburini nichts weiter getan haben, als MIMO neu zu erfinden, sind deren Arbeiten wahrscheinlich hilfreich: Indem sie die physikalischen Hintergründe klären, tragen sie künftig wahrscheinlich zur Optimierung von MIMO bei. Insbesondere führt die Helix-Struktur der Radiowellen mit Drehimpuls dazu, dass im Zentrum einer Welle kein Signal zu finden ist. Diese physikalische Eigenschaft dürfte bei MIMO zu merkwürdigen Funklöchern führen, wobei der Begriff hier durchaus wörtlich zu nehmen ist. Das genaue physikalische Verständnis der Wellen mit Drehimpuls sollte helfen, diese MIMO-Funklöcher in Bereiche zu verschieben, wo sie weniger stören.

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