Gastbeitrag

Wie hoch ist in Deutschland die Versorgung mit FTTB/H?

Zur Versor­gung Deutsch­lands mit Glas­faser­anschlüssen [FTTB/H]) gibt es eine Viel­zahl nicht durchweg stimmig aufein­ander aufbau­ende Statis­tiken.
Von Torsten J. Gerpott

Zur Versor­gung Deutsch­lands mit Glas­faser­anschlüssen bis zum Gebäude oder in die Wohnung (Fiber-To-The-Buil­ding/-Home [FTTB/H]) gibt es eine Viel­zahl nicht durchweg stimmig aufein­ander aufbau­ende Statis­tiken. Der folgende Beitrag erklärt Hinter­gründe der Diver­genzen.

Die Versor­gung der Privat­haus­halte und Unter­nehmen sowie staat­lichen Insti­tutionen in Deutsch­land mit Glas­faser­anschlüssen bis zum Gebäude oder in die Wohnung (Fiber-To-The-Buil­ding/-Home [FTTB/H]) hat hohe poli­tische Bedeu­tung, weil man sich von diesen Zugängen zu digi­talen Welten mehr Lebens­qua­lität und höhere Produk­tivität verspricht. Deshalb ist es nicht über­raschend, dass insbe­son­dere die Bundes­minis­terien für Digi­tales und Verkehr (BMDV) sowie Wirt­schaft und Klima­schutz (BMWK) sowie Indus­trie­ver­bände wie der vatm, BREKO oder FTTH Council Europe wieder­holt Indi­katoren zum Stand des Breit­band­aus­baus und insbe­son­dere zum FTTB/H-Ausbau als Teil­bereich von Breit­band publi­zieren.

Diver­gie­rende FTTB-/H-Zahlen?

Wie viele Glasfaser-Anschlüsse wurden denn nun wirklich verlegt? Wie viele Glasfaser-Anschlüsse wurden denn nun wirklich verlegt?
Bild: picture alliance/dpa
Einschlä­gige Zahlen fallen für Deutsch­land nicht nur aufgrund unter­schied­licher Bezugs­zeit­punkte/Stich­tage ausein­ander. So führt die Bundes­netz­agentur für Ende 2021 aus: „Auf … FttH/B .. beruhten etwa 2,6 Millionen Anschlüsse“ [siehe Seite 51]. Hingegen weist das BMDV für Mitte 2022 eine FTTB/H-Versor­gung von 8,32 Millionen Privat­haus­halten und Unter­nehmen bzw. eine Quote von 18,5 Prozent aus. Der vatm bezif­fert die mit FTTB/H anschließ­baren Haus­halte für Ende 2022 auf 12,3 Millionen. [Seite 14]. Der BREKO quan­tifi­ziert für Mitte 2022 die Zahl der mit FTTB/H versorgten Privat­haus­halte mit 12,7 Millionen [Seite 12]. Der FTTH Council Europe hält Mitte 2022 etwa 10 Millionen Haus­halte für an FTTB/H-Netze anschließbar und nennt als Quote ca. 9 Prozent [Seiten 8 und 10].

Abwei­chungs­hin­ter­gründe

Wider­spre­chen sich die Zahlen? Die Antwort lautet: Tenden­ziell sind sie nicht funda­mental, sondern eher in Nuancen unstimmig. Wenn man die Statis­tiken korrekt inter­pre­tieren will, ist ein genaues Hinschauen dahin­gehend erfor­der­lich, dass neben dem Zeit­bezug stets auch der inhalt­liche Bereich zur Kenntnis genommen wird, der mit einem Indi­kator abge­bildet wird. Deshalb geht es im Weiteren nicht um die nume­rischen Ausprä­gungen von FTTB/H-Daten in einzelnen Quellen, weil sie jeder selbst leicht nach­lesen kann. Ange­strebt wird viel­mehr eine erklä­rende Anlei­tung zum Verständnis der Indi­katoren ("Tuto­rial").

Kurz­fristig mögliche FTTB/H-Versor­gung

Auf der Ange­bots­seite ist ein erster Indi­kator für die mittel- und kurz­fristig mögliche FTTB/H-Versor­gung die Zahl der bis auf wenige Meter vor dem Gebäu­dekeller mit mindes­tens einem Glas­faser­kabel ange­bun­denen bzw. passierten Häuser. Diese Variable hebt man hervor, wenn es darum geht, die FTTB/H-Situa­tion in einem vorteil­haften Licht erscheinen zu lassen. Eine Teil­menge dieser Liegen­schaften wird durch einen zweiten Indi­kator abge­bildet, der darauf abhebt, ob ein zumeist im Keller befind­licher Glas­faser­über­gabe­punkt erreicht wird oder nicht.

Eine dritte Variable bezieht die Nach­fra­geseite mit ein, indem sie die Zahl der Haus­halte oder anderen (Wirt­schafts-)Einheiten erfasst, die einen Vertrag über einen Glas­faser­anschluss bis zum o.g. Über­gabe­punkt oder darüber hinaus recht­lich wirksam abge­schlossen haben und als ange­bunden bzw. "connected" charak­teri­siert werden. Ein solcher Vertrags­abschluss kann zwar impli­zieren, dass der Kunde auch sehr hohe Empfangs- oder Sende­geschwin­dig­keiten z.B. von mindes­tens einem Gigabit pro Sekunde gebucht hat, muss es aber nicht. In jedem Fall setzt eine wirk­same FTTB/H-Nach­frage voraus, dass ein tech­nisch funk­tions­bereiter Glas­faser­anschluss im Sinn des eben genannten zweiten "Homes Passed"-Indi­kators sofort verfügbar ist. Damit kann die dritte Variable nur abso­lute Werte annehmen, die nicht größer sind als der zweite Indi­kator.

Take Up Rate

Das Verhältnis vom dritten zum ersten oder zweiten Indi­kator bezeichnet man als Aufgreif­quote (take-up rate). Diese Quote kann dabei helfen zu erkennen, inwie­fern Anbieter ihre Anstren­gungen zur Nach­fra­gesti­mulie­rung (z.B. über nied­rigere Preise oder Bünde­lung eines Glas­faser­anschlusses mit Video­anwen­dungen) auszu­bauen haben. Bei der Zahl der ange­bun­denen Nach­frager wird übli­cher­weise noch weiter danach diffe­ren­ziert, ob Licht­wel­len­leiter nur bis zum o.g. Glas­faser­über­gabe­punkt reichen. Ist das der Fall, so spricht man von der FTTB-Nach­frage im engeren Sinn. Erfolgt hingegen auch inner­halb einer Immo­bilie die Signal­wei­ter­lei­tung über Glas­faser als Über­tra­gungs­medium bis in die Wohnung bzw. Büro­arbeits­platz, dann bezeichnet man diese Konstel­lation als FTTH bzw. Fiber-To-The-Office (FTTO).

Die Unter­schei­dung zwischen FTTB und FTTH/FTTO ist zwar in den Medien weit verbreitet. Sie ist tech­nisch aber inso­weit proble­matisch, als dass Giga­bit­geschwin­dig­keiten keine haus­internen Glas­faser­lei­tungen notwendig voraus­setzen, sondern auch über verdrillte Metall­kabel der Kate­gorien 6 und höher der Telecom­muni­cations Industry Alli­ance (TIA) Stan­dards möglich sind.

Perspek­tiven

Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Foto: Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Wenn sich der Fach­experte oder Laie das nächste Mal die Augen reiben, weil in verschie­denen Quellen benannte FTTB/H-Statis­tiken auch für den glei­chen Stichtag ausein­ander­fallen, so ist zu hoffen, dass das hier darge­legte Tuto­rial, das die in Wissen­schaft und Praxis derzeit domi­nie­rende Sicht wieder­gibt, die Verwun­derung verrin­gert.

Daten zum FTTB/H-Angebot und zur -Nach­frage in Deutsch­land werden nicht maschi­nell auto­mati­siert erhoben. Sie beruhen primär bislang auf Befra­gungen von privat­wirt­schaft­lichen Unter­nehmen und anderen Orga­nisa­tionen. Die Gültig­keit der Daten wird somit dadurch beein­flusst, wer bei einer Erhe­bung mit welchem Enga­gement sowie Objek­tivi­täts­willen antwortet und wie groß der sich daraus erge­bende Stich­pro­ben­fehler ist. Poli­tisch geboten sind deshalb über die Vorschriften des Tele­kom­muni­kati­ons­gesetzes (insbe­son­dere §175, § 176 und § 196) und andere Normen hinaus Maßnahmen, die eine auto­mati­sierte, anonyme sowie tages­aktu­elle Erfas­sung von FTTB/H-Angebot und -Nach­frage in Deutsch­land sicher­stellen. Das mag zwar nicht liberal wirken, ist aber aufgrund der gesell­schaft­lichen Rele­vanz von Glas­faser­anschlüssen gut vertretbar.

Zur Person:

Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehr­stuhl für Unter­neh­mens- und Tech­nolo­gie­pla­nung an der Mercator School of Manage­ment Duis­burg der Univer­sität Duis­burg-Essen.

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