Medienpolitik in Parteiprogrammen zur Bundestagswahl
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Foto: Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Derzeit wird in der Republik mal wieder kontrovers über die „richtige“ Medienpolitik diskutiert. Hauptauslöser der Debatte sind seit Anfang Juni zirkulierende Entwürfe eines geänderten Medienstaatsvertrags, der den seit November 2020 gültigen Vertrag ab 2024 ablösen könnte. In dem Regelwerk sollen neue Leitplanken für die Ausrichtung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks (ÖRR) gesetzt werden. Die Debatte kreist um drei Themen: Erstens geht es um die inhaltliche Breite und regionale Tiefe der Rundfunkanstalten bei klassischen linearen TV- und Radioprogrammen sowie bei audiovisuellen und textlichen Online-Angeboten, die wiederum Wettbewerbschancen privater Publikumsmedien stark beeinflussen. Zweitens wird über effizienzsteigernde organisatorische und technische Integrationsoptionen der Sender zu einer „Plattform“, ihrer Verwaltungen und Kontrolleure, die Meinungsvielfalt und Arbeitsplätze nicht unverhältnismäßig gefährdet, gestritten. Drittens wird um den optimalen ÖRR-Finanzierungsumfang aus steuerähnlichen „Bürgerbeiträgen“, Werbung, Sponsoring und anderen Quellen sowie seine zeitliche Dynamisierung gerungen. Angesichts der Brisanz dieser Themen steht es außer Frage, dass die politischen Parteien in ihren Programmen zur Bundestagswahl am 26. September differenziert und transparent aufzeigen sollten, wie sie sich die Zukunft des ÖRR und privater Medienunternehmen vorstellen. Am 21. Juni haben CDU/CSU als letzte Parteien den Entwurf ihres Wahlprogramms veröffentlicht.
Somit ist es nun möglich, die medienpolitischen Positionen sämtlicher aktuell im Bundestag vertretenen sechs Gruppen kritisch zu vergleichen und meine früheren Analysen der Pläne von vier Parteien zu erweitern.
Alternative für Deutschland (AfD)
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Foto: Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Die AfD will den ÖRR auf einen „Grundfunk“ abschmelzen, der „ca. ein Zehntel des bisherigen Umfangs haben“ und lediglich „die Bürger flächendeckend mit neutralen Inhalten aus den Sparten Information, Kultur und Bildung“ sowie „schlankem Heimatfunk“ versorgen
soll. Zur Finanzierung des ÖRR schlägt die Partei eine Abgabe von Betreibern digitaler Plattformen wie Google, Facebook oder Netflix vor, die audiovisueller Inhalte verbreiten.
Mit Niederungen der Medienpolitik (z.B. Zusammenführung ÖRR-Mediatheken, Urheber- und Leistungsschutzrechte) hält sich das Programm nicht auf. Insbesondere der von der AfD geforderte Wechsel von einem föderalen zu einem bundeseinheitlichen ÖRR-Modell ist angesichts der Machtverteilung zwischen Bund und Ländern mehr ein Popanz als ein ernsthafter Politikentwurf mit guten Umsetzungschancen.
Die Linke
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums stuft die Linke den ÖRR „für die mediale Teilhabe und Grundversorgung [als] unerlässlich“ ein. Deshalb sollen Eigenproduktionen des ÖRR „dauerhaft ... in Mediatheken zur Verfügung stehen“. Die Partei will ihn über eine „auskömmliche Finanzierung“ vor allen in Ostdeutschland stärken, seine Programmautonomie bewahren und an eine veränderte Mediennutzung anpassen. Hierzu strebt die Partei „eine breite gesellschaftliche Debatte rund um Reformen und den Auftrag des ÖRR“ an. Um kein Porzellan zu zerschlagen, lässt man sich zu eigenen Reformpositionen gar nicht erst hinreißen. Außerdem möchte die Linke „nachhaltige Finanzierungs- und Förderwege gehen, um Onlinejournalismus und nichtkommerzielle Angebote besser zu unterstützen“. An welche Wege die Partei denkt, bleibt im Dunkeln. Bei privaten Lokalpresseverlagen beklagt man fehlenden Wettbewerb und will durch genossenschaftlich organisierte Verlage die Medienkonzentration senken. Das wirkt mehr sozialromantisch als realistisch. Die Partei verspricht einerseits „eine echte Reform des Urhebervertragsrechts ... insbesondere durch ... flächendeckende verbindliche Vergütungsregeln“ für Medienschaffende, die nicht „vor allem den Interessen der großen Verwerter dienen“. Andererseits schreibt sie sich „eine Stärkung von Nutzer*innenrechten“ auf die Fahne. Eine genaue Verortung im Spannungsfeld der Interessengruppen sieht anders aus. Zusammengefasst zielen die oft in sich widersprüchlichen Vorstellungen der Linken auf eine ÖRR-Expansion im Onlinebereich ohne greifbare Schranken und ohne flankierende Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerbschancen privater Medienunternehmen.
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)
Als zweite mehr linksorientierte Bundestagspartei setzt sich die SPD „gesamtstaatlich für einen starken ÖRR ein“ und will „die Länder darin [unterstützen], den Auftrag in einer digitalen Medienwelt weiter zu entwickeln“, um „eine umfassende und tiefgreifende journalistische Berichterstattung sicher[zu]stellen“. Damit wird verbrämt jegliche Ausweitung von ÖRR-Angeboten im Internet abgesegnet. Dies wird auch dadurch erkennbar, dass die Partei „Qualitätsinhalte der öffentlich-rechtlichen Medien Europas“ Jedem mittels „eine[r] europäische[n] Medienplattform ... grenzüberschreitend zugänglich“ machen möchte. Nichtsdestotrotz verspricht die SPD „Verlagen ... dabei [zu] helfen, die Transformation ins Digitale erfolgreich zu bewältigen“ und hierzu „die Rahmenbedingungen privatwirtschaftlichen Medienschaffens“ auf den Feldern „Wettbewerbs-, Urheber- oder Telekommunikationsrecht“ zu verbessern. Die Sozialdemokraten lassen sich aber nicht dazu aus, inwiefern man die o.a. europäische Medienplattform auch für private Qualitätsanbieter öffnen möchte. Ebenso erfährt der Wähler nichts Konkreteres zu den rechtlichen Maßnahmen. Insgesamt verströmt das SPD-Programm einen altmodischen besserwisserischen Geist, der Massenmedien in erster Linie als staatsnahes pädagogisches Mittel zur Verbreitung von Qualitätsinhalten versteht, ohne zu erklären, wer mit welcher Legitimation über den „Wert“ von Inhalten entscheiden soll.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Als dritter Vertreter des linken politischen Lagers wollen die Bündnis 90/die Grünen, dass die ÖRR-Sender „stark und zukunftsfest“ aufgestellt werden, „alle gesellschaftlichen Bereiche“ abdecken und eine „ausreichende Finanzierung“ erhalten. Deren gegenwärtig fragmentierte Mediatheken will die Partei „zu gemeinsamen Plattformen weiterentwickeln“, die mit einer „werbefreie[n], offen[en] und multilingual[en] ... europäische[n] digitale[n] Plattform in öffentlicher Hand“ verzahnt werden sollen. Auch die Grünen möchten „eine Debatte darüber führen, wie öffentlich-rechtliche Medien im 21. Jahrhundert aussehen sollen“. Dazu, welche ÖRR-Auftrags- und Strukturveränderungen die Ökopartei exakt durchsetzen will, schweigt das Programm. Ebenso widmet es der Frage kein Wort, wie für private Medien gegenüber einem unverändert großzügig alimentierten ÖRR mit ausgeweiteter Netzpräsenz faire Wettbewerbschancen geschaffen werden sollen. Für Medienschaffende wollen die Grünen „bei kulturellen Werken .. für Urheber*innen eine angemessene Vergütung“ über eine „Beteiligung insbesondere an den Gewinnen der Vertriebsplattformen“, also von Digitalkonzernen wie Google und Facebook, sichern. Wo sie Grenzen zwischen kulturellen und anderen Werken ziehen möchten, wird nicht erörtert.
Freie Demokratische Partei (FDP)
Die zuletzt in der Wählergunst erstarkten Liberalen plädieren ebenfalls für eine „Auftrags- und Strukturreform“ des ÖRR, der sich sowohl bei der Verbreitung seiner Programme auf den klassischen Wegen als auch im Internet „primär auf Nachrichten, Kultur, politische Bildung und Dokumentationen konzentrieren“ und deshalb die Zahl seiner TV- sowie Radiosender verringern soll. Mit dieser Ausrichtung will die FDP den Rundfunkbeitrag senken und die Wettbewerbschancen privater Presse- und Medienhäuser verbessern. Deren Stärkung soll durch ein Urheberrecht flankiert werden, das Werkurheber „in ihren oder seinen wirtschaftlichen und ideellen Rechten“ schützt, aber gleichzeitig den „Einsatz von Uploadfiltern ... als immense Gefahr für die Meinungs- und Kunstfreiheit“ vermeidet. Dazu, wie der Schutz von Urhebern ohne automatisierte Systeme zum Management digitaler Rechte auf großen Internetplattformen funktionieren soll, bleibt die FDP stumm. Die Liberalen wollen, in trautem Einvernehmen mit den Randparteien AfD und Linke, Betreiber großer digitaler Plattformen sogar stärker als die Grünen regulieren. Die Ökopartei lehnt nämlich lediglich „eine Verpflichtung zum Einsatz von Uploadfiltern“ ab und lässt mit dieser Formulierung Plattformen die Hintertür offen, freiwillig Urheber durch Softwarelösungen zu schützen. Als einzige Partei nimmt die FDP zum Leistungsschutzrecht für Presseverleger Stellung: Sie will es – ohne jegliche Begründung – wieder abschaffen und zeigt hier viel Herz für Google und Co.
Christlich Demokratische/Soziale Union Deutschlands (CDU/CSU)
CDU/CSU wünschen sich einen „starken, unabhängigen ÖRR“ [Link entfernt] , dessen Auftrag sie jedoch in einer Weise reformieren wollen, die „dem technischen Fortschritt und dem veränderten Nutzungsverhalten Rechnung trägt.“ Ob die Union damit eine Beschränkung oder eine Ausweitung audiovisueller und schriftlicher ÖRR-Angebote im Netz gutheißt, ist nicht zu erkennen. Wenigstens trauen sich CDU/CSU, anzuregen, „dass Rundfunkanstalten stärkere Kooperationen eingehen und weitere Synergien schaffen – auch im Sinne der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler.“ Für die Wirtschaftlichkeit privater Publikumsmedien wichtige Urheber- und Leistungsschutzrechte tauchen im Unionsprogramm nicht auf. Immerhin verspricht es Presseverlagen vor allem für Lokalblätter „zielgerichtete Instrumente zur Förderung des Absatzes, der weiteren Unterstützung und des Vertriebs [zu] entwickeln, die neben finanzieller Unterstützung auch Erleichterungen für die Beschäftigung von Zustellern und Zustellerinnen umfassen.“ Finanzierungsvorschläge für die Presseförderung gibt es nicht, die Union belässt es bei dem Prinzip Hoffnung.
Perspektiven
In einer Gesamtschau sind sich die Programme der Linken, SPD und Grünen medienpolitisch sehr ähnlich. Die drei Parteien stellen das ÖRR-System nicht ernsthaft in Frage und wollen es im Internet ausbauen. Kritische Töne zur Systemeffizienz (Stichworte: Senderzahl/-verbreitungswege, Gehalts- und Rentenniveau) sind bei ihnen nicht zu vernehmen. Privaten Anbietern von Publikumsmedien begegnen sie mit großer Skepsis. Dazu setzen CDU/CSU, FDP und AfD Kontrapunkte. Bei der Union und den Liberalen sind sie durch Vertrauen in marktwirtschaftliche Prozesse und bei den Rechten durch den Wahn, von einem „Meinungskartell“ aus ÖRR und „privaten Mainstream-Medien“ unfair behandelt zu werden, geprägt.
Die politische Bedeutung der sechs Wahlprogramme hängt vom Mandatsanteil der Parteien nach der nächsten Bundestagswahl, ihrer Beteiligung an der Bundesregierung sowie von den Ressorts und sonstigen Spitzenstellen ab, die Parteimitglieder in der Regierung übernehmen werden. Folglich dürfte den Programmen von AfD, Linken und SPD wenig sowie denen von CDU/CSU und Grünen – sowie mit Abstrichen dem der FDP – großes Gewicht zukommen.
Die Union gibt nur sehr schüchtern zu erkennen, dass sie für den ÖRR eine merkliche Konsolidierung anstrebt. Die Grünen bleiben diesbezüglich konturlos. Im Fall einer schwarz-grünen Bundesregierung ist es wahrscheinlich, dass die Beteiligten nicht mit Verve darauf drängen werden, ihre medienpolitische Programmatik durchzusetzen, da sie nicht zum Markenkern der Parteien gehört, und es deshalb zu einem „Weiter wie bisher“ mit allenfalls kosmetischen ÖRR-Reformen kommt. Sollten CDU/CSU, Grüne und FDP die neue Regierung tragen, dann sind die Medienreformer in der Überzahl und die Chancen besser, dass der ÖRR Schritt für Schritt längerfristig zu einem fokussierten „gemeinwohlorientierten Kommunikationsnetzwerk“ (Karola Wille, Intendantin MDR) verändert wird und in der Folge die Zahl der Programme, Verbreitungswege, Online-Plattformen, Mitarbeiter und vielleicht sogar der Anstalten sinkt. Entsprechende Modernisierungskonzepte für den ÖRR sind keineswegs neu. Ihre Umsetzung wird aber seit Jahren – allen Lippenbekenntnissen zur Reformbereitschaft zum Trotz – von etlichen Bundesländern und den Spitzen des ÖRR unterlaufen. Wahlprogramme von Parteien werden diese Beharrungskräfte in der Zukunft nicht schwächen. Ein Fortbestand der Umsetzungslücke bei echten ÖRR-Reformen in der 20. Legislaturperiode ist folglich sehr wahrscheinlich.
Zur Person
Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehrstuhl für Unternehmens- und Technologieplanung an der Mercator School of Management Duisburg der Universität Duisburg-Essen.