Gastbeitrag

Auftrags- und Strukturreform des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks

Die Bundes­länder wollen ihren Medi­enstaats­ver­trag möglichst bis 2023 weiter entwi­ckeln. Ein Diskus­sions­ent­wurf zu Auftrag und Struk­tur­opti­mie­rung des ÖRR wurde von ihnen veröf­fent­licht. Wie ernst ist es den Ländern?
Von Torsten J. Gerpott

Die Bundes­länder beab­sich­tigen ihren Medi­enstaats­ver­trag (MStV), dessen aktu­elle Fassung erst am 7.11.2020 in Kraft getreten ist, zu novel­lieren. Hierzu hat die Rund­funk­kom­mis­sion der Länder am 20.10.2021 einen „Diskus­sions­ent­wurf zu Auftrag und Struk­tur­opti­mie­rung des öffent­lich-recht­lichen Rund­funks“ (MStV-E) verab­schiedet. Eine gering­fügige geän­derte Fassung dieses Entwurfs wurde am 19.11.2021 öffent­lich zur Diskus­sion [Link entfernt] gestellt. Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott
Foto: Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott

Auftrag des öffent­lich-recht­lichen Rund­funks

Der MStV-E sieht vor, den Auftrag des Öffent­lich-Recht­lichen Rund­funks (ÖRR) zu modi­fizieren. Er soll nun „den gesamt­gesell­schaft­lichen Diskurs in Bund und Ländern fördern“ (§ 26 Abs. 1 S. 3) und „ein Gesamt­angebot für alle .. unter­breiten“ (§ 26 Abs. 1 S. 4). Bei der Auftrags­erfül­lung soll der ÖRR „die Möglich­keiten nutzen, die .. aus der Beitrags­finan­zie­rung erwachsen“ (§ 26 Abs. 1 S. 5). Diese Auflagen lassen sich kaum als Start für Schritte zur Senkung des ÖRR-Programm­umfangs sowie der Rund­funk­gebühren deuten.

ÖRR-Ange­bote haben „im Schwer­punkt der Kultur, Bildung, Infor­mation und Bera­tung zu dienen. Unter­hal­tung, die einem öffent­lich-recht­lichen Ange­bots­profil entspricht, ist Teil des Auftrags“ (§ 26 Abs. 1 S. 8 u. 9). Die Ange­bote sind „hohen jour­nalis­tischen Stan­dards, insbe­son­dere zur Gewähr­leis­tung einer unab­hän­gigen, sach­lichen, wahr­heits­gemäßen und umfas­senden Infor­mation und Bericht­erstat­tung wie auch zum Schutz von Persön­lich­keits­rechten verpflichtet“ (§ 26 Abs. 2 S. 1). Ferner soll der ÖRR „die einem öffent­lich-recht­lichen Ange­bots­profil entspre­chenden Grund­sätze der Objek­tivität und Unpar­tei­lich­keit achten und eine möglichst breite Themen- und Meinungs­viel­falt ausge­wogen darstellen“ (§ 26 Abs. 2 S. 2). Um eine verbes­serte Über­prü­fung der Umset­zung dieser Ansprüche in die Wege zu leiten, „sollen die zustän­digen Gremien den Rund­funk­anstalten Ziel­vor­gaben setzen. Hierzu gehören die Fest­set­zung inhalt­licher und formaler Quali­täts­stan­dards sowie stan­dar­disierter Prozesse zu deren Über­prü­fung“ (§ 31 Abs. 2b S. 1 u. 2).

Diese neuen Vertrags­pas­sagen sind zwar schön, aber z.T. selbst­ver­ständ­liche Gemein­plätze und so abstrakt formu­liert, dass sie keine nennens­werten prak­tischen Effekte haben werden. Es sind also große Zweifel ange­sagt, dass die Anpas­sungen zur ange­strebten Verbes­serung der ÖRR- Akzep­tanz unter durch­schnitt­lichen Bürgern und der ÖRR-Zukunfts­fes­tig­keit einen wesent­lichen Beitrag leisten können.

Beach­tens­wert ist insbe­son­dere, dass Unter­hal­tungs­sen­dungen ohne Abstriche wieder als Teil des ÖRR-Auftrags defi­niert werden. Damit bleibt etwa der mit hohen Kosten verbun­dene Erwerb von Über­tra­gungs­rechten für Fußball­spiele oder andere Sport­ereig­nisse, die sich im Zwei­fels­fall als Teil der deut­schen Kultur oder Infor­mation inter­pre­tieren lassen, unein­geschränkt möglich. Trag­fähige empi­rische Belege dafür, dass diese Praxis von den „ÖRR-Kunden“ auch dann als ange­messen einge­stuft wird, wenn man sie über die bei einem Verzicht mögliche Gebüh­ren­reduk­tion infor­miert, präsen­tiert die Rund­funk­kom­mis­sion in Form von aktu­ellen Begleit­unter­suchungen nicht.

Zwin­gend von den Ländern beauf­tragt werden sollen zukünftig gemäß § 28 Abs. 1 - 4 noch das Erste, das ZDF, ARTE und 3sat als Voll­pro­gramme sowie die Dritten einschließ­lich regio­naler Fenster. Die übrigen sieben bisher herkömm­lich linear verbrei­teten ÖRR-Programme (tages­schau24, EinsFestival, ARD-alpha, ZDFinfo, ZDFneo, PHOENIX, KI.KA) sind solange weiter beauf­tragt bis sie gemäß § 28 Abs. 5 unter Einhal­tung von in § 32a genannten anspruchs­vollen Voraus­set­zungen (u.a. Zustim­mung des zustän­digen Gremiums der Rund­funk­anstalt, weit­gehende Beibe­hal­tung der bishe­rigen inhalt­lichen Ausrich­tung) nur noch über das Internet linear oder auf Abruf verbreitet, ausge­tauscht oder einge­stellt werden. Auch hier macht sich die Rund­funk­kom­mis­sion nicht die Arbeit, empi­rische Evidenz als Hinter­grund­mate­rial bereit­zustellen, um zu belegen, dass bei den Bürgern der Wunsch besteht, das derzei­tige ÖRR-Angebot mit einem Rund­funk­bei­trag von aktuell 18,36 Euro pro Monat und Privat­haus­halt in der skiz­zierten Weise fort­zuschreiben.

Die beschrie­benen Rege­lungen bewirken keine tief­grei­fende Struk­tur­reform des ÖRR. De facto wird die Zahl der Programme nicht redu­ziert werden; allen­falls wird es zu einer Verla­gerung ihrer Verbrei­tung in das Internet kommen – eine Ände­rung, die gerade im Inter­esse des ÖRR ist, um gewan­delten Sehge­wohn­heiten Rech­nung zu tragen. Das Ausmaß der regio­nalen Diffe­ren­zie­rung der dritten Programme und damit die Zahl der Anstalten bleiben unan­getastet. Die teil­weise ÖRR-Finan­zie­rung durch Werbung wird nicht geän­dert. Optionen zur voll­stän­digen Verla­gerung von Radio­pro­grammen in das Internet werden nicht eröffnet. Konkrete Vorgaben zur Erhö­hung der ÖRR-Wirt­schaft­lich­keit (z.B. Reduk­tion Entgelt­niveau von Inten­danten) sucht man vergeb­lich. Die dezen­tra­lisierte Kontrolle privater Rund­funk­ver­anstalter durch 14 Landes­medi­enan­stalten ist für die Bundes­länder kein Gegen­stand, bei dem man Ände­rungen des Medi­enstaats­ver­trags für geboten hält – fürwahr keine Über­raschung, da sie bei einer Umge­stal­tung von Über­wachungs­kom­petenzen in Rich­tung auf eine effi­zien­tere Zentra­lisie­rung nur an Einfluss und Finanz­mit­teln verlieren können.

ÖRR-Tele­medi­enan­gebote im Internet

Für ÖRR-Tele­medi­enan­gebote im Internet ist vorge­sehen, dass sie „unter Einbe­zie­hung einer gemein­samen Platt­form­stra­tegie“ (§ 30 Abs. 1) erfolgen sollen. Diese zeit­lich unbe­stimmte Formu­lie­rung legt den ÖRR-Veran­stal­tern nicht auf, kosten­spa­rend ihre Media­theken rasch in einem Portal zu bündeln.

Unge­klärt bleibt zudem, inwie­fern die ÖRR-Anstalten als Teil der Platt­form­stra­tegie ihre Media­theken für Beiträge Dritter zu öffnen haben.

Fazit

Die Rund­funk­kom­mis­sion hat bei ihren MStV-Ände­rungen Fragen der ÖRR-Finan­zie­rung explizit ausge­spart. Dies hat zur Folge, dass bei einer Eini­gung der Länder auf die umris­sene MStV-Novelle mit nur kosme­tisch geän­dertem ÖRR-Auftrag und ohne verbind­liche opera­tio­nale Vorgaben zur Wirt­schaft­lich­keits­ver­bes­serung keines­falls mit einer Senkung des vom ÖRR-System geltend gemachten Finanz­bedarfs zu rechnen ist.

Alles in allem ist somit der MStV-E für dieje­nigen eine große Enttäu­schung, die eine stär­kere Konzen­tra­tion des ÖRR auf einen Kern­auf­trag verbunden mit einer Verrin­gerung des Einsatzes finan­zieller und perso­neller Ressourcen zur Entlas­tung der Bürger und Stär­kung privat­wirt­schaft­lich finan­zierter Medi­enan­gebote für sinn­voll halten.

Zur Person

Univ.-Prof. Dr. Torsten J. Gerpott leitet den Lehr­stuhl für Unter­neh­mens- und Tech­nolo­gie­pla­nung an der Mercator School of Manage­ment Duis­burg der Univer­sität Duis­burg-Essen.

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