Durchbruch

Kommentar zum NRA-Deal: Aufbruch ins Netz Nummer Vier

Heute hat 1&1 Dril­lisch endlich "Ja" gesagt. "Netz 4" wird im Netz von o2 roamen können und kann mit dem Aufbau seines eigenen Netzes beginnen.
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Wie schon berichtet hat 1&1 Dril­lisch heute das National-Roaming-Angebot von Telefónica Deutsch­land vom 5. Februar 2021 verbind­lich ange­nommen. Damit geht eine lang andau­ernde Zitter­partie zu Ende.

Lang­fris­tige Part­ner­schaft

Die betei­ligten Unter­nehmen etablieren damit ihre "lang­fris­tige Part­ner­schaft durch die Umwand­lung des aktu­ellen MBA-MVNO-Vertrags in ein National Roaming Agree­ment (NRA) unter den Auflagen aus dem Zusam­men­schluss von Telefónica Deutsch­land und E-Plus im Jahr 2014." Nun geht es in die Details und Fein­heiten. Ziel ist, diese vertrag­lichen Details des NRA bis Mitte Mai 2021 zu "fina­lisieren", also verbind­lich fest­zulegen.

NRA sorgt für Klar­heit

Der Weg zum vierten Netzbetreiber für 1&1 ist frei. Wann geht es los? Der Weg zum vierten Netzbetreiber für 1&1 ist frei. Wann geht es los?
Bild: 1&1
Mit dem NRA werden die stra­tegi­schen Ziele beider Partner fest­geklopft: Telefónica Deutsch­land erhält mehr Klar­heit für seine Finanz- und Netz­pla­nung, während 1&1Dril­lisch (endlich) mit dem Ausbau des eigenen Netzes anfangen kann. Das NRA hat eine anfäng­liche Vertrags­lauf­zeit von 5 Jahren und startet rück­wir­kend ab dem 1. Juli 2020. Es kann zweimal verlän­gert werden. Das bedeutet: Zunächst hat 1&1 Dril­lisch eine Option zur Verlän­gerung von 2025-2030, muss sich aber bis Mitte 2029 gemeldet haben, ob sie nochmal um weitere 5 Jahre (bis 2035) verlän­gern möchten.

In den kommer­ziellen Bedin­gungen der ersten Vertrags­periode wird ein "signi­fikantes Wachs­tums des Mobil­funk­ver­kehrs im Netz von Telefónica Deutsch­land" fest­gelegt.

National Roaming enthält verfüg­bare 2G/3G/4G-Netz­abde­ckung

Das National-Roaming-Abkommen umfasst die aktuell verfüg­bare 2G/3G/4G-Netz­abde­ckung, während MBA MVNO-Dienste (= Mobiler Breit­band­zugriff als mobiler virtu­eller Netz­betreiber) unver­ändert die verfüg­bare 2G/3G/4G- und 5G-Netz­abde­ckung von Telefónica Deutsch­land beinhalten. (Wobei das für 2021 geplante Ende von 3G auch für 1&1 Dril­lisch gelten wird.) Nach Abschluss einer genau defi­nierten Über­gangs­zeit zur Migra­tion der Bestands­kunden auf das "eigene Netz" ist 1&1 Dril­lisch für 5G dann alleine auf das "eigene 5G Netz" ange­wiesen.

Bis zum Abschluss der Bestands­kun­den­migra­tion von 1&1 Dril­lisch laufen die National Roaming- und MBA MVNO-Dienste parallel. Für beide Dienste gelten die im NRA fest­gelegten kommer­ziellen Bedin­gungen, wie Preise, Bezahl­moda­litäten und so weiter.

Neue Preise aus alten Preisen abge­leitet

Wie in den Fusi­ons­auf­lagen defi­niert, werden die Preis­struk­turen des neuen Roamin­gab­kom­mens (NRA) aus dem bishe­rigen MBA MVNO-Vertrag abge­leitet. Das sind, so teilt es Telefónica mit, im Wesent­lichen eine Kombi­nation aus dem Stück­preisen und vorab fest­gelegten, während der Vertrags­lauf­zeit verän­der­baren Abnah­memengen (Daten­mengen, Sprach­minuten etc.) sein. Damit will sich Telefónica Deutsch­land "lang­fristig wert­hal­tige Umsatz­ströme" sichern, während 1&1 Dril­lisch in der Netz­aus­bau­phase flexi­bler loslegen kann.

Einmal pro Jahr Preis­prü­fung möglich - Details bleiben geheim

Einmal im Jahr können die Preise nach einem genau defi­nierten Verfahren "geprüft" werden. Mehr Details des NRA wollen Telefónica Deutsch­land und 1&1 Dril­lisch nicht verraten. Es wurde, wie es so schön heißt, "Still­schweigen verein­bart".

Aus dem neuen Deal erwartet Telefónica Deutsch­land keine finan­ziell ungüns­tigen (nega­tiven rück­wir­kenden) Auswir­kungen auf die Finanz­ergeb­nisse für das Geschäfts­jahr 2020. Also ändern sich die Finanz­pla­nung und der mittel­fris­tige Ausblick (wohin die finan­zielle Reise geht) der Telefónica Deutsch­land nicht.

Aufatmen bei o2

Jetzt kann "Netz 4" von 1&1-Drillisch mit dem Netzaufbau beginnen. Bis Ende 2022 müssen 1000 Standorte laufen. Jetzt kann "Netz 4" von 1&1-Drillisch mit dem Netzaufbau beginnen. Bis Ende 2022 müssen 1000 Standorte laufen.
Foto: Picture Alliance / dpa
Das Aufatmen in München, Düssel­dorf oder Hamburg, wo Telefónica seine Sitze hat, ist deut­lich spürbar. Man habe sich mit seinem o2-Netz und seinem Angebot an 1&1 Dril­lisch "nach langen, inten­siven Verhand­lungen durch­gesetzt." Für o2 bedeutet das: "Wir sind auf Augen­höhe mit unserer 4G-Netz­qua­lität – insbe­son­dere im länd­lichen Raum." Die Verein­barung mit 1&1 Dril­lisch sorge für lang­fris­tige Planungs­sicher­heit und in den kommenden Jahren für signi­fikante Umsatz- und Ergeb­nis­bei­träge.

Für das Geschäfts­jahr 2021 erwartet man bei United Internet, der Mutter von 1&1 Dril­lisch, ein Umsatz­wachstum auf etwa 5,5 Milli­arden Euro (für 2020 sind es vorläufig 5,36 Milli­arden). Das EBITDA soll "ohne Berück­sich­tigung des peri­oden­fremden Ertrags" von etwa 34 Millionen Euro im Zusam­men­hang mit dem geplanten Abschluss des National-Roaming-Vertrags auf ca. 1,22 Milli­arden Euro (2020 vorläufig: 1,18 Milli­arden Euro) steigen. In dieser Prognose sind nega­tive Umsatz- und Ergeb­nis­effekte aus der Coro­navirus-Pandemie in Höhe von ca. 25 Millionen. Euro (2020 vorläufig: ca. 27 Millionen. Euro) sowie hohe Inves­titionen in Zukunfts­themen enthalten.

So hat 1&1 Dril­lisch für den 5G-Netz­aufbau Start­kosten von etwa 30 Millionen Euro einge­plant. (Für 2020 sind es vorläufig etwa 14 Millionen.) Zusätz­lich sind etwa 40 Millionen Euro für eine "Produkt- und Vertriebs­offen­sive" geplant.

Eine Einschät­zung (von Henning Gajek)

Lange Zeit wusste niemand, ob "Nummer 4" wirk­lich an den Start gehen oder "unter Absingen trot­ziger Lieder" das Feld räumen würde. Die Speku­lationen blühten, weil offi­zielle Infor­mationen nur in homöo­pathi­schen Dosen oder gar nicht ausge­geben wurden. Dabei hatten Insider schon länger signa­lisiert, dass man in Monta­baur "wild entschlossen" sei, zu starten. Alleine es wollte lange keiner so wirk­lich glauben. Nun jetzt, wo die Zusage vorliegt, war im Nach­hinein gesehen eigent­lich klar, dass es auf ein Roaming-Abkommen mit o2 hinaus­laufen wird.

Die beiden ältesten mobilen Netz­betreiber (Telekom und Voda­fone) sehen den neuen vierten Anbieter sehr skep­tisch, insbe­son­dere bei der Telekom. Dort weiß man, dass Netz­qua­lität bis tief in die Fläche richtig Geld kostet. Das Geschäfts­modell des "neuen" Anbie­ters gründet sich auf möglichst nied­rige Endkun­den­preise, denn nur damit lassen sich neue Kunden locken und alte Kunden halten. Diese Kunden sind extrem preis­sen­sitiv und wech­seln sofort, wenn es nur zwei Marken oder Shops weiter ein güns­tigeres Angebot gibt.

Es gibt viel zu tun

1&1 Drilisch hat jetzt einiges zu tun: Der Kunden­bestand muss nun Stück für Stück auf den neuen Netz­betreiber "umge­hängt" werden. Das bedeutet Ände­rungen von Verträgen und AGBs, behut­same Infor­mationen der Kunden, evtl. Ausgabe und Umschal­tung neuer SIM-Karten, evtl. Verhand­lung von inter­natio­nalen Roaming-Abkommen. Und nicht zu vergessen: der Netz­aufbau. Suchen von Stand­orten, Verhand­lungen mit Turm­gesell­schaften oder Haus­eigen­tümern, Ausschreiben und Bestellen und Montieren der Vermitt­lungs-, Server-, Sender- und Anten­nen­technik und das Einrichten und Abglei­chen der Netz­kom­ponenten.

Das muss alles so geräuschlos ablaufen, dass möglichst kein Bestands­kunde Bedenken bekommt und abspringt. Beim Kunden­erlebnis darf nichts schief gehen, die bestehende Netz­ver­sor­gung muss gewahrt bleiben. Wenn neue Stationen und Orte dazu kommen, wo es bisher nicht ging, freut das die Kunden. Wehe aber, wenn die Kunden in neue Funk­löcher tappen, wo das alte Netz nicht mehr und das neue Netz noch nicht verfügbar ist.

Schwer­punkt: Vermark­tung des mobilen Inter­nets

1&1-Dril­lisch könnte bei seiner Vermark­tung einen leicht anderen Ansatz fahren. Der Zugang zum Internet über Mobil­funk statt über teuer zu mietende oder zu verle­gende Leitungen, vorzugs­weise in Ballungs­gebieten, in denen einfach viel mehr Kunden leben, als in der Provinz. Die junge Kund­schaft kann flexibel entscheiden, wo sie den Zugang nutzen will, sei es daheim oder unter­wegs, soweit die Abde­ckung reicht. Sprach-Tele­fonieren ist da viel­leicht Neben­sache, solange der Daten­strom nicht abreißt.

Bleibt die Frage: Wann geht es denn nun richtig los? Wenn die Verträge bis Mai 2021 unter Dach und Fach sein sollen, kann es wohl leicht Ende 2021/Anfang 2022 werden. Die Auflagen der BNetzA sehen vor, dass "Netz 4" in der ersten Etappe 1.000 Basis­sta­tionen bis Ende 2022 aufstellen muss. "Das wollen wir natür­lich klar einhalten", so eine Spre­cherin von 1&1 Dril­lisch auf Anfrage von teltarif.de.

Für Kunden und Fans mit Mut zum Aben­teuer wird das "neue Netz" ein Muss sein. Es kann aber nie schaden, im SIM-Schacht 2 oder dem eSIM-Spei­cher das Handys ein zweites oder drittes Netz auf Reserve zu haben.

Gibt es noch Neukunden?

Wirk­lich neue Kunden (die vorher noch nie einen Vertrag hatten) wird das neue Netz eher weniger bekommen, weil der Markt ohnehin stark gesät­tigt ist. Eher muss "Nummer 4" versu­chen, Kunden der etablierten Anbieter zum Wechsel zu bewegen. Und diese werden sich das sicher­lich nicht kampflos gefallen lassen. Das kann sich in stabilen oder sogar weiter sinkenden Preisen oder auch in Ausbau­kam­pagnen entle­gener Flecken nieder­schlagen: "Bei uns zahlen Sie viel­leicht etwas mehr, dafür haben Sie aber viel mehr Netz"

2024 und 2029 muss Dril­lisch entscheiden, ob man das Abkommen verlän­gern will (vermut­lich ja) und ob sich das "eigene" Netz am Ende wirk­lich irgend­wann mal richtig rechnet. Und bei den kommenden Frequenz­auk­tionen (sofern sie wie bisher statt­finden) muss Netz Nummer 4 auch mit von der Partie sein.

Wenn auch 1&1 mit der Telekom keine Eini­gung beim National Roaming finden konnte, kann 1&1 weiter das Fest­netz der Telekom nutzen. Hier wurde Eini­gung erzielt.

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