Editorial: Behördlich korrekt daneben
BNetzA startet Breitbandmessung
Bild: Vodafone
Zunächst einmal vorneweg: Es ist gut, dass die Bundesnetzagentur die
Qualität der Breitbandversorgung der Bevölkerung in der Praxis messen
lässt! Denn nur so kann sich die Behörde ein realistisches Bild von
der tatsächlichen Versorgungslage machen. Dazu kann sie sich nicht
auf Industrieangaben verlassen. Im Gegenteil: Auch anderen Behörden
täte es gut, regelmäßig in der Praxis zu messen. So wäre uns der
Abgasskandal zwar sicher nicht erspart geblieben, wenn die zuständigen
Umweltbehörden schon früher die realen Emissionswerte der Fahrzeuge im
Praxisbetrieb gemessen hätten. Aber er wäre wahrscheinlich
früher entdeckt worden, und damit hätten wir heute mehr saubere
Fahrzeuge auf den Straßen und weniger Abgase.
Aber zurück zur Telekommunikation: Leider wird die Form der Breitbandmessung, wie sie die Bundesnetzagentur durchführt, dem Bedarf nicht gerecht. Das beginnt mit technischen Hürden: So läuft die Messung entweder als Java-Applet im Browser oder als iPhone- bzw. Android-App auf Smartphone bzw. Tablet. Windows Phone ist also komplett außen vor, und alle die, die kein Java-Applet haben. Letzteres wird wegen des zurückgehenden Bedarfs und wegen der vielen Java-Sicherheitslücken aus gutem Grund immer seltener. Wer nun denkt, er könnte mangels Java auf seinem Desktop-Rechner beim Test des heimischen DSL-Zugangs auf das ins WLAN eingebuchte Smartphone ausweichen, wird ebenfalls eines besseren belehrt: Die Breitbandmessung-App erwartet stets einen mobilen Internetzugang! Zwar steht am Ende im Protkoll "Technologie: WIFI", doch sämtliche Fragen zuvor werden auf mobile Anbieter, nicht auf Festnetzanbieter gemünzt.
Ebenso ist unklar, was genau gemessen wird. Beim Ping-Test steht zwar, dass die Laufzeit für Hin- und Rückweg zu einem Server in Nürnberg ermittelt wird. Aber um genauere Aussagen treffen zu können, wäre schon wichtig, eine Serie von Testpaketen zu schicken, und dann minimale Laufzeit, durchschnittliche Laufzeit, Standardabweichung und Maximallaufzeit zu ermitteln. Für Onlinespieler oder für Sprach- und Videotelefonie ist beispielsweise die Maximallaufzeit meist viel entscheidender als Durchschnitts- oder gar Minimalwerte. Für Heimarbeiter kommt es hingegen vor allem auf den Durchschnitt an, aber auch darauf, dass es keine zu großen Ausreißer nach oben gibt.
Bei mobiler Nutzung wird es zudem immer Orte geben, an denen man nur ein langsames Netz hat. Nicht jeder abgelegene Volksfestplatz wird von allen drei Netzbetreibern eine eigene LTE-Antenne mit jeweils 100 MBit/s bekommen, nur, weil dort einmal im Jahr ein großer Rummel samt Umzug stattfindet. Und so manches stark frequentierte Kino oder Konzerthaus weigert sich ebenfalls, die Netzbetreiber mit Indoor-Technik ins Haus zu lassen: Der Veranstalter will dort ja gar nicht, dass die Handys dauernd bimmeln und fiepen.
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BNetzA startet Breitbandmessung
Bild: Vodafone
Ebenso wundert mich, dass in der Breitbandmessungs-App zwar nach der
Anschlussgeschwindigkeit gefragt wird, aber nicht danach, welche
Geschwindigkeit der Nutzer gerne hätte. Falls letzterer Wert höher
liegt als die tatsächliche Anschlussgeschwindigkeit, ist ebenso
wichtig, den Nutzer zu fragen, warum er nicht die höhere Geschwindigkeit
benutzt. Mögliche Antworten sind, dass an seinem Standort derzeit keine
höheren Geschwindigkeiten verfügbar sind, dass der Nutzer noch
vertraglich an einen langsameren Anbieter gebunden ist, oder, dass
die höhere Geschwindigkeit ihm doch zu teuer wäre.
So eignet sich die App also nicht einmal, den tatsächlichen Bedarf der Bevölkerung zu erfassen. Angesichts der vollmundigen und entsprechend teuren digitalen Agenda der Bundesregierung ist das schon ein bisschen dürftig.
Statische Auswertbarkeit
Hinzu kommen die üblichen Probleme, die freiwillige Befragungen haben: Über die Breitandmessung werden vor allem IT-Portale berichten, deren Nutzer werden entsprechend in der Stichprobe der Messung überrepräsentiert sein. Das sind aber genau die User, die sich auch in ihrem Häuschen auf dem Land weitab jeder Vermittlungsstelle oder Funkzelle dank eigenes Fachwissens mit einer LTE-Außenantenne stabil 10 MBit/s besorgen, während der Bauer zwei Kilometer weiter, der mit DSL-light und deutlich unter 1 MBit/s auskommen muss, aus der Statistik fällt, weil er nie von der Messung erfährt.
Es kann aber auch passieren, dass es zu erheblicher Lobbyarbeit in den genannten "weißen Flecken" kommt, und dort ebenfalls überproportional viele Nutzer an der Breitbandmessung teilnehmen. Zwar dient die Abfrage der Postleitzahl bzw. die GPS-Ortung in der App wohl dazu, die Daten später nach der tatsächlichen Bevölkerungsdichte zu normieren. Dennoch bleiben Fehlerquellen. Insbesondere sind gerade im ländlichen Gebiet die Postleitzahlenbereiche teils sehr groß, und umfassen oft neben einem (in der Regel bereits gut versorgten) Ortskern auch zahlreiche abgelegene Gebäude und Siedlungsteile.
Alle genannten Probleme und Verzerrungen betreffen natürlich auch unsere eigenen Leserumfragen. Nur macht es eben einen Unterschied, ob man ein Stimmungsbild unter den eigenen Lesern erhebt, oder bundesweit die Weichen für milliardenschwere Investitionen in die Zukunft stellt. Daher ist zu hoffen, dass die Bundesnetzagentur die Daten der freiwilligen Kampagne mit einer Stichprobe von aktiv nach dem Zufallsprinzip kontaktierten Nutzern abgleicht. Sollte es erhebliche Diskrepanzen zwischen beiden Datensätzen geben, wären die Ergebnisse der freiwilligen Breitbandmessung in statistischer Nacharbeit anhand der Ergebnisse der aktiven Stichprobe geeignet zu renormieren oder ggfls. sogar ganz zu verwerfen.
Von daher: Ein dickes "Ja" zur Breitbandmessung, und die Aufforderung, es das nächste Mal von vornherein deutlich besser zu machen.