Vier Netze in Deutschland: Wie lange wird das so bleiben?
Mit dem Start des digitalen Mobilfunks in Deutschland im Jahre 1992 sollte es nicht nur zum ersten Mal einen privaten Mobilfunknetzbetreiber in Konkurrenz zur staatlichen Deutschen Bundespost Telekom geben, sondern auch sogenannte "Service-Provider". Das sind Unternehmen, die Mobilfunkverträge verkaufen und ihre Kunden selbst betreuen. Deren Kunden nutzen dann ein bereits bestehendes Netz, wofür die Service-Provider spezielle Verträge mit dem jeweiligen Netzbetreiber abgeschlossen haben und ihren End-Kunden auch völlig eigenständige Tarife anbieten können.
Lange Zeit hieß es, dass Service-Provider rentabler seien als echte Netzbetreiber. Netzbetreiber müssen pausenlos neue Technik aufbauen oder alte austauschen oder aufrüsten und sollen möglichst schnell viele neue zusätzliche Sende-Stationen in die Fläche bringen.
Erst zwei, dann drei, dann vier, dann drei, dann vier
Im römischen Mons Tabur (heute Montabaur) könnte der erste 5G-Sender des 1&1-Netzes stehen
Foto: Picture Alliance/dpa
Deutschland startete mit zwei Netzen (T-D1, Mannesmann-D2), erhöhte dann auf drei (E-Plus). Die anfangs hohen Preise begannen zu bröckeln. Weil das Bundesland Bayern keinen "eigenen" Mobilfunkanbieter im Land hatte, wurde eine vierte Lizenz vergeben an die VIAG Interkom, heute bekannt als "o2".
Vier Spieler liefern sich Preiskampf
Die Preise gingen wie gewünscht in den Keller, doch mit dem notwendigen Netzausbau kamen die Spätstarter kaum hinterher. Netzausbau ist ein teures Unterfangen. Man erlaubte den später gekommenen Anbietern (E-Plus und VIAG), am Anfang einen höheren Interconnect-Preis für Anrufe in ihre Mobilfunknetze zu verlangen, als für die vorher gestarteten Telekom und Mannesmann/Vodafone. Das ist inzwischen vorbei.
Völlig überteuerte Frequenzauktionen und ein ständiger Preiskrieg sorgten für eine Konsolidierung im Markt. Mobilcom-Multimedia startete nie, Quam warf schnell das Handtuch. Und auch die Netzbetreiber E-Plus und o2 waren am Ende zu einer Fusion gezwungen, um ihre hohen Ausbaukosten, Lizenzaltlasten einerseits und die Renditevorstellungen ihrer Anteilseigner auffangen zu können. Da waren es nur noch drei Netze.
Virtuelle Netzbetreiber
Um diese Fusion durchzubekommen, musste o2 einen virtuellen Netzbetreiber zu Sonderkonditionen aufs eigene Netz lassen, nämlich 1&1-Drillisch mit seinen vielen Untermarken.
Der 1&1-Chef fand Gefallen an der Geschichte und beschloss, zu einem echten Netzbetreiber aufzusteigen. Er nahm an der Versteigerung 2019 teil und zahlte am Schluss 1,1 Milliarden Euro für "eigene" Frequenzen.
Lange blieb unklar, ob er wirklich starten oder doch noch einen Rückzieher machen würde. Sein Netz soll vom japanischen Open-RAN-Spezialisten Rakuten aufgebaut werden und aus vielen kleinen handlichen Senderbaugruppen bestehen. Möglichst alle Netzfunktionen sollen dafür in Rechenzentren per Software realisiert werden.
Startklar
Nun ist klar: Mitte des Jahres wird es irgendwo in Deutschland erste Versuchs-Sender mit Kunden von 1&1 geben. Mobilfunk für Jedermann im ganzen Land soll erst ein Jahr später möglich sein.
Die Aufgaben sind gewaltig: Alle Bestandskunden müssen sukzessive auf das neue Netz umgehängt werden. Entweder durch Umschalten von SIM-Karten oder durch Karten-Austausch. 1&1-Bestandskunden im Vodafone-Netz (es gibt noch einige) werden in das 1&1-Netz migriert und können dann nur noch auf o2 zurückgreifen. Wo es zwar das Vodafone Netz, aber kein 1&1- oder kein o2-Netz gibt, müssten langjährige Kunden zu einem Anbieter wechseln, der das Netz von Vodafone noch im Angebot hat.
Aufregung für Preisbewusste
Gerade Kunden, die jeden Euro und Cent um drehen müssen, setzen auf die günstigen Angebote aus dem 1&1-Konzern. Wer heute noch mit einem älteren GSM-only oder GSM/3G-Tastentelefon unterwegs ist, muss sich auf ein 4G-VoLTE-fähiges Gerät vorbereiten und es kann auch sein, dass die gewohnte Netzversorgung sich verändert, wenn vor Ort "nur" 4G/5G vorhanden und kein o2-Roaming verfügbar sein sollte.
Ein Hauch von Pioniergeist und Abenteuer
Die streckenweise grundlegend neue Technik wird wohl nicht gleich auf Anhieb rund laufen. Der Lohn ist das Erlebnis, den Aufbau und Start eines neuen Netzes direkt vor Ort live und in Farbe mitzuerleben.
Mancher Nutzer stellt sich die Frage: Brauche ich einen neuen Anbieter? Und gibt sich die Antwort: Ja, aber nur wenn er günstig genug ist. Die Folge: Auch die etablierten Spieler könnten sich gezwungen sehen, ihre Preise zu senken. Die Rücklagen für den teuren Netzausbau in der tiefen Provinz würden wieder einmal durch Preissenkungen verbrannt.
In Ballungsgebieten können wir dann zwischen drei bis vier Netzen wählen, in der Provinz zwischen einem oder keinem. Ist das sinnvoll?
Sollte der Staat die Funklöcher stopfen?
Es könnte ja sein, dass der Staat sich erbarmt und den Ausbau in der Fläche selbst bezahlt, genauer aus unseren Steuergeldern. Dann haben wir vielleicht günstigere Tarife und dafür höhere Steuern. Gespart wird dabei aber nichts. Es kann aber auch anders kommen: Im Wettbewerb der neuen Vier könnte bald ein anderer Anbieter auf der Strecke bleiben, ganz aufgeben oder fusionieren. Geht dann das Spiel von vorne los?