Editorial: Kurswechsel bei RTL unausweichlich
Bertelsmann-Chef Thomas Rabe baut das Verlagsgeschäft unter dem Dach von RTL um
Foto: Bertelsmann
Thomas Rabe ist in diesen Wochen nicht zu beneiden. Der Bertelsmann-CEO hat keine guten Nachrichten für die Belegschaft von Gruner + Jahr. Bis auf Kernmarken wie stern, GEO, Brigitte und Capital wird praktisch alles andere verkauft oder abgewickelt. Im gleichen Atemzug entfallen rund 700 Stellen im Unternehmen, was mehr als einem Drittel der Gesamtbelegschaft entspricht.
Entsprechend verheerend fällt das Medienecho aus. Dabei kam die Entscheidung keineswegs überraschend und sogar viel zu spät.
Viel Renommee, wenig Umsatz
Bertelsmann-Chef Thomas Rabe baut das Verlagsgeschäft unter dem Dach von RTL um
Foto: Bertelsmann
Gruner + Jahr ist zweifelsohne eines der renommiertesten Verlagshäuser in Deutschland. Doch hinter der ansehnlichen Fassade am Hamburger Baumwall bröckelt der Putz schon lange. Ein Beispiel: Die Kernmarke "stern" hat zwischen 2013 und 2021 ihre Auflage mehr als halbiert. Nun könnte man meinen, dass das Flaggschiff von G+J dafür digital wächst. Im vierten Quartal 2022 lag zum Beispiel der Anteil von verkauften ePapern an der Printauflage lediglich bei rund 34.000 Exemplaren, wenig besser sehen die Zahlen beim Digitalangebot STERN PLUS aus.
Wenn das Flaggschiff des Verlagshauses schon ein derart tristes Zahlenwerk abliefert, kann man sich grob ausmalen, wie wohl die Entwicklung bei den weiteren Titeln aussieht. Bertelsmann und RTL hatten gar keine andere Wahl, als sich von einem Großteil des Verlagsgeschäftes zu trennen, denn andernfalls hätte man langfristig rote Zahlen am Baumwall aus seinem Kerngeschäft ausbügeln müssen. Dabei kämpft RTL intern selbst mit genug Problemen und Baustellen, wie die gescheiterten Zusammenschlüsse der TV-Gruppe in Frankreich und den Niederlanden zeigen.
Das Problem ist nicht RTL
Immer wieder kommt der Vorwurf, RTL und Verlagsgeschäft passen nicht zusammen. Auf den ersten Blick erscheint diese Annahme schlüssig, immerhin bewegen sich beide Medienunternehmen in völlig verschiedenen Sphären. Man könnte sogar Axel Springer als Bestätigung dieser These anführen, denn auch dort läuft die Kombination aus TV- und Verlagsgeschäft nicht unbedingt rund. Kritiker würden womöglich begründen, dass dies ein allgemeines Branchenproblem sei.
Dass G+J kein Geld verdient, ist aber nicht die Schuld von Bertelsmann oder RTL. Tatsächlich war das Verlagsgeschäft schon seit Jahren defizitär, das Digitalgeschäft schlecht aufgestellt und den Marken fehlte es an Profil. Für den "stern" war es womöglich sogar Glück, dass RTL die Marke im TV verwertete. Ohne die Kölner Mediengruppe wäre der Abstieg vermutlich noch deutlicher ausgefallen.
Kaum Einsicht in der Belegschaft
Umso bedauerlicher, dass die Probleme im Verlag nicht hausintern gesucht werden. Blickt man in diesen Tagen auf die Social-Media-Kanäle, findet sich dort nichts als Selbstbeweihräucherung und Häme gegenüber Bertelsmann. Gruner + Jahr habe alles richtig gemacht, die Schuld für die Misere läge allein bei RTL. Ein ehemaliger Mitarbeiter holte auf LinkedIn sogar noch weiter aus: Man verstehe sich mit linksliberalem Ethos den Springers, Bauers und Burdas turmhoch überlegen. Die Hybris bleibt also selbst im Angesicht des eigenen Untergangs.
Magazine wie "stern" und "Capital" haben unter einem guten Verlagsmanagement positive Zukunftsaussichten, wenn die internen Probleme nun auch wirklich angegangen werden. Dazu wird RTL in die verbliebenen Überreste von G+J investieren müssen, doch zunächst braucht es vor allem ein gehöriges Maß an Selbstkritik. Selbst wenn die aktuelle Strategie Bertelsmann-Chef Thomas Rabe sein Amt kostet, war der jetzige Weg zweifelsohne unabwendbar.