Editorial: Youtube gibt auf im Kampf gegen Dislike-Stürme
YouTube hat die Dislikes abgeschafft
Bild: Amazon
Like- und Dislike-Buttons sind auf sozialen Medien ein wichtiger Weg,
um seine Meinung über geteilte Inhalte kund zu tun. Sie werden aber
auch häufig missbraucht: Künstler rufen ihre Fans auf, ja machen es
geradezu zur Fan-Pflicht, ihre Inhalte möglichst oft zu liken. Und
plötzlich haben selbst die Oldies, die kaum jemand kennt und hört, weil
sie damals floppten und heute immer noch nicht den Geschmack der
Hörerschaft treffen, Millionen Likes. Schließlich kann ja nicht jeder
Song ein Hit werden, aber den Like-Button klickt man natürlich trotzdem
brav, wenn es das Idol will.
Stärker noch sind die Dislike-Wellen: Insbesondere, wer bestimmte, gut vernetzte gesellschaftliche Gruppen (Hardcore-Gamer, Impfgegner, Mobilfunkstrahlen-Gläubige etc.) angreift, der darf mit organisierter Gegenwehr rechnen. Da wird dann schonmal auf Facebook- oder Telegram-Gruppen dazu aufgerufen, ein bestimmtes Youtube-Video anzuklicken, nur, um anschließend auf den "Dislike"-Button zu klicken. Ziel ist dann meist, dem verhassten Inhalt mehr "Daumen-runter"- als "Daumen-hoch"-Stimmen zu geben. Selbst und gerade dann, wenn bei einer echten Abstimmung über einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung dieser Inhalt sehr wohl eine überwältigende Mehrheit an Likes bekommen würde.
Facebook und Twitter verzichten bereits, Youtube folgt nun weitgehend
YouTube hat die Dislikes abgeschafft
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Angesichts der organisierten Dislike-Stürme ist die Aussagekraft von
Dislike-Buttons daher sehr eingeschränkt. Facebook und Twitter haben
solche daher gar nicht erst - man kann dort Inhalte zwar positiv
bewerten, aber eben nicht negativ. Youtube hat zwar Dislike-Buttons,
hatte deren Sichtbarkeit aber bereits vor Jahren eingeschränkt: Nicht
vollständig eingeloggte Nutzer (also z.B. solche, die zwar ein
Google-Konto hatten, aber die zusätzlichen Angaben für ein Youtube-Konto
verweigerten) bekamen nur die Likes angezeigt, nicht die Dislikes. Nun
wird weiter eingeschränkt: Auch vollständig eingeloggten Nutzern werden
Dislikes nicht mehr angezeigt.
Einzige Ausnahmen sind der jeweilige Autor des Videos, der weiterhin die Dislikes erfährt, und natürlich Google, die die Dislikes weiterhin für die Relevanz eines Videos für bestimmte Nutzergruppen auswerten. An der Filterblase - dass man also überwiegend Videos angezeigt bekommmt, die der eigenen Meinung entsprechen - ändert sich also nichts. Aber man kann nun eben keine Dislike-Bomben mehr gegen den politischen Gegner zünden. Zumindest keine sichtbaren.
Für den Autor ist die Sichtbarkeit der eigenen Dislikes künftig ebenfalls nur noch von geringer Nützlichkeit: Solange man nicht sieht, wie viele Dislikes die Konkurrenz erfährt, kann man die Zahlen kaum einschätzen: Sind 20% Dislikes (im Verhältnis zu den Likes) normal? Oder viel? Oder wenig?
Es gäbe auch Alternativen
Dabei gibt es m.E. auch eine interessante Alternative: Im professionellen Netzwerk Stackexchange, das als Ort für den Austausch zwischen Programmierern begann, in dem aber inzwischen auch zunehmend über Ingenieurs- und Wissenschaftsfragen diskutiert wird, gibt es weiterhin einen Dislike-Button - aber nach meiner Erfahrung ohne die zugehörigen Dislike-Stürme. Das mag zwei Gründe haben: Zum einen ist die Nutzerschaft auf Stackexchange sicher gebildeter als der Durchschnitt (der Fragen wie: Could the Z80 do interference-free video as the 6502 could? sicher nicht ausführlich diskutiert). Und zum anderen kosten Dislikes auf Stackexchange auch eigene Reputation. Wer also allzu oft auf Dislike klickt, der verliert Punkte und damit schlussendlich auch Rechte auf der Plattform.
Zwar bekommt man auf Stackexchange für einen fremden Like auf eine eigene Frage oder Antwort zehn Punkte, während man für einen Dislike nur einen Punkt verliert. Ein erhebliches Übermaß an Dislikes ist also weiterhin möglich. Nur: User, die es alleine auf Dislikes anlegen, sind schon nach kurzer Zeit raus, bzw. können noch nicht mal starten, denn das Punktekonto beginnt normalerweise bei null.
Klar wäre es mit einem solchen Schema, dass man sich Dislike-Rechte erstmal erwerben muss, auch auf Youtube möglich, dass Nutzergruppen zunächst kurze Blödsinns-Videos posten, um sich gegenseitig hochzuliken, womit sie entsprechende Dislike-Rechte erwerben. Nur: Der Prozess wäre schonmal deutlich komplizierter. Und er wäre vom Algorithmus leichter zu erkennen, was die Möglichkeiten verbessert, reine "Hater-Konten" gezielt zu sperren.