Themenspezial: Verbraucher & Service Verzockt

Handyboxx: Ein Schneeballsystem endet in Insolvenz

iPhone 14 Pro mit 128 GB für einen Euro? Der Vertrag sollte monat­lich knapp 60 Euro kosten. Am Ende bleiben geprellte Kunden und ein insol­venter Händler übrig.
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Zum mobilen Tele­fonieren braucht man ein Handy. Wenn es ein ange­sagtes Modell sein soll, kostet das viel Geld. Das können 1300 Euro oder mehr sein. Nicht jeder Kunde mag oder kann soviel Geld ausgeben.

Nobel-iPhone für 1 Euro?

Im letzten Jahr stach ein Angebot ins Auge, wo es z.B. ein iPhone 14 Pro (128 GB) von Apple für einen Euro geben sollte, wenn man dazu einen Vertrag abschließt.

Beispiels­weise von der "Handy­boxx" in Bottrop (Nord­rhein-West­falen). Zum iPhone 14 Pro sollte ein Mobil­funk­ver­trag im Netz von Voda­fone abge­schlossen werden, der monat­lich 30 GB Daten­volumen umfassen und 59,98 Euro im Monat kosten sollte, die Mindest­lauf­zeit wie üblich zwei Jahre. Soweit so gut? Wenn das Angebot zu günstig ist, kann ein Schneeballsystem dahinter stecken. Den letzten beißen die Hunde. Wenn das Angebot zu günstig ist, kann ein Schneeballsystem dahinter stecken. Den letzten beißen die Hunde.
Foto: Image licensed by Ingram Image, Logos: Vodafone, Montage: teltarif.de

Sieben Jahre ging das gut, dann...

Die "Handy­boxx" wurde sieben Jahre lang von Bünyamin Kara betrieben, der auch als "Geschäfts­führer" seine E-Mails unter­zeich­nete. Auf dem Papier hatte diesen Posten eigent­lich seine Ex-Ehefrau, von der er seit etwa zwei Jahren geschieden sei. Offenbar blieben sie weiter freund­schaft­lich in Kontakt. Die Kunden liebten den Shop, weil er güns­tige Handys mit Vertrag versprach, und lange ging das ja auch irgendwie gut.

Daten­aus­tausch per WhatsApp

Wer auf das Angebot eingehen wollte, sollte sich per WhatsApp im Shop melden. Über diesen Dienst wurden alle notwen­digen teil­weise sensi­blen Infor­mationen ausge­tauscht: Fotos vom Perso­nal­aus­weis oder von der Giro­karte des Bank­kontos, über das der Vertrag später abge­rechnet werden sollte. Eigent­lich ist das ja streng verboten, bestä­tigt Voda­fone auf Nach­frage. Werbung und Kontakt­anbah­nung ja, aber der Rest wäre ein Verstoß gegen Daten­schutz­gesetze. Scheint aber im realen Leben öfters vorzu­kommen als man denkt.

Der unbe­kannte Para­graf

Im alten Tele­kom­muni­kati­ons­gesetz (vor Dezember 2021) gab es einen Para­grafen 111, in der neuen Fassung vom 1.12.2021 ist es Para­graph 172, der vorschreibt, dass beim Verkauf eines Mobil­tele­fons in Verbin­dung mit einem Mobil­funk­ver­trag die IMEI-Seri­ennummer fest­gehalten und gemeldet werden muss. In der Praxis aller­dings scheint sich aber durch die Bank so gut wie kein Händler daran zu halten.

Das muss gar keine böse Absicht sein. Bei Vertrags­abschluss ist viel­leicht das "dazu gehö­rende" Handy noch gar nicht da, weil es Liefer­zeit hat. Der Händler bestellt es oft erst, wenn es wirk­lich gebraucht wird. Das hat schlicht mit Liqui­dität und Dieb­stahl­schutz beim Händler zu tun. Handys sind auch im Einkauf teuer, und Diebe brechen gerne in Handy­shops ein, und dann hat der Händler den Schaden und viel Ärger.

Ist also keine IMEI-Nummer greifbar, wird schnell eine "erfunden": Elfmal die 1, einmal die 9, und fertig ist eine 12stel­lige "Fake-IMEI".

Wie drückt man den Handy­preis?

Gerne werden die Handys auch über andere Verträge abge­rechnet, wo es viel­leicht höhere Provi­sionen gibt. Dann kommen noch Werbe­kos­ten­zuschüsse (WKZ) dazu, die den Handy­preis nach unten drücken können.

Normal waren solche Ange­bote eigent­lich nicht reali­sierbar, denn ein nobles iPhone kostet schon den Händler selbst im Einkauf knapp 1000 Euro, und die übli­chen Provi­sionen für einen neuen Vertrag liegen viel­leicht bei knapp 500 Euro. Da wurden dann Jubi­läums­aktionen, WKZ und andere Subven­tions-Spiel­chen getrieben, die den Kunden normal nicht inter­essieren, solange er sein Handy mit Vertrag zu den verein­barten Kondi­tionen bekommt.

Wo bleibt mein Handy?

Einige Kunden erhielten nur den Vertrag, aber kein Handy und wurden immer wieder vertröstet. Denn irgend­wann war kein Geld mehr da, um den schwung­haften Handel weiter zu finan­zieren. Kritiker spre­chen von einem "Schnee­ball­system". Vielen Kunden wurde es zu bunt und sie tauchten persön­lich in Bottrop auf, um "nach­zufragen", das habe sogar die Polizei auf den Plan gerufen. Über den Fall Handy­boxx berichtet die West­deut­sche Allge­meine Tage­zei­tung (WAZ, gehört zur Funke Medi­engruppe) mit einem Video und in einem ausführ­lichen Artikel (Paywall).

Jahre­lange Praxis ohne Ände­rung?

Der in diesem Bereich bestens infor­mierte Kritiker Inan Koc benach­rich­tigt seit Jahren die Branche inklu­sive einer unüber­schaubar großen E-Mail-Verteil­erliste alleine im Voda­fone-Konzern über solche und ähnliche Vorfälle. Doch bei Voda­fone wurde er entweder nicht ernst genommen oder man fürch­tete um schwin­dende Neukun­den­zahlen.

Bekannt­lich steckt der Voda­fone-Welt-Konzern seit Jahren in Schwie­rig­keiten, weil Inves­toren nur auf Rendite schielen und die Nöte der Kunden wie Kunden­ser­vice, Abhilfe bei Rekla­mationen oder ein besserer Netz­ausbau nur auf der Kosten­seite verbucht werden müssten. Koc hat in seinen Verteiler inzwi­schen Daten­schützer, Bundes­netz­agentur, Staats­anwalt­schaften und die Presse aufge­nommen. Doch der schiere Berg an fakten­rei­chen Mails macht Ermitt­lungen schwierig und aufwendig.

Die Branche braucht "Neukunden"

"Neukunden" hingegen verspre­chen den betei­ligten Händ­lern, Vertriebs­beauf­tragten und Vorständen wich­tige Provi­sionen, von den sie leben möchten oder müssen. Das System hat längst ein Eigen­leben entwi­ckelt und gilt als kaum noch beherrschbar. Inan Koc wirft Voda­fone vor, dem "Betrug im eigenen Unter­nehmen" tatenlos zuzu­sehen. Viele poten­ziell Verant­wort­liche haben das Unter­nehmen längst verlassen, ob im Zusam­men­hang mit der Kritik oder um der bevor­ste­henden Kündi­gungs­welle aus Spar­zwang zu entgehen, ist öffent­lich nicht bekannt.

Wie Inan Koc in zahl­reiche Mails weiter darlegt, haben Händler wie Bünyamin Kara niemals die abge­schlos­senen Verträge zur Archi­vie­rung an Voda­fone geschickt, obwohl das eigent­lich vorge­schrieben wäre. Bei Voda­fone seien hingegen „keine Auffäl­lig­keiten" bemerkt worden.

Einkauf beim Zwischen­händler

Handy­boxx hatte seine Geräte nicht direkt bei Voda­fone bestellt, sondern bei einem soge­nannten Distri­butor (Groß­handel). Damit glaubte man bei Voda­fone, sich hierum nicht weiter kümmern zu müssen. Nur schreibt der Para­graf 172 des Tele­kom­muni­kati­ons­gesetzes (TKG) eine Meldung nicht durch den jewei­ligen Laden, sondern durch den Netz­betreiber (also Voda­fone) an die Bundes­netz­agentur vor. Offenbar hat das Voda­fone-Akti­vie­rungs­system diese Fake-IMEI-Nummern einfach durch­gereicht. Bislang scheint das keinem aufge­fallen zu sein.

Geld­fluss abge­bro­chen

Weil die jahre­lang flie­ßenden Gelder auf einmal ausblieben und erboste Kunden immer mehr wurden, musste Bünyamin Kara seinen Laden über­raschend schließen. Er galt wohl als einer der erfolg­reichsten Händler von Voda­fone. Drei Mal hinter­ein­ander sei er als "bester Händler Deutsch­lands" ausge­zeichnet worden, wie zahl­reiche Urkunden in seinem Laden gezeigt hätten. Sein Koch- und Erfolgs­rezept: Super­güns­tige Ange­bote, die streng­genommen so gar nicht kalku­lierbar sind.

Inan Koc rechnet vor: Der konkret gebuchte Tarif wurde den Kunden vorab nie genannt. In sozialen Medien berichten Kunden von fehler­haften Rech­nungen oder sogar monat­lich wech­selnden Tarif­preisen. Die um Hilfe gefragte Voda­fone-Hotline sei wenig hilf­reich gewesen. Bei fehlenden Handys erklärte sich Voda­fone als "nicht zuständig", was formal sogar korrekt ist.

Verträge mit Rück­erstat­tung

Koc rechnet vor, dass das verspro­chene Handy mit Vertrag eigent­lich einmalig 399 Euro hätte kosten sollen. Wer kein Handy wollte, bekam einen Vertrag, der "normal" 49,99 Euro pro Monat gekostet hätte, gebucht. Vom Bank­konto des Kunden wurden aber monat­lich nur 19,99 Euro abge­bucht. Wie funk­tio­niert das?

Dazu habe der Händler an Voda­fone (!) monat­lich Geld über­wiesen, im Namen und mit Daten der jewei­ligen Kunden. Das konnten Beträge von 10 bis 30 Euro sein, je nachdem, was er mit den Kunden verein­bart hatte. Monat­lich sollen so, laut Unter­lagen, vom Händler insge­samt 34.400 Euro Monat für Monat über­wiesen worden sein. Im Dezember 2022 seien so rund 1400 einzelne Dauer­auf­träge gelaufen, sei es direkt an die "Voda­fone D2 GmbH" oder an die "Voda­fone GmbH" oder auch an die Discount-Tochter otelo, immer mit Namen und Kunden­nummer des einzelnen Kunden.

Das Geld, so kann es Koc belegen, erhielt der Händler von einem Zwischen­händler. Der soll so Provi­sionen und Werbe­kos­ten­zuschüsse finan­ziert haben, um damit Billig-Ange­bote zu ermög­lichen. Insge­samt soll Bünyamin Kara alleine im Jahr 2022 über 250.000 Euro solche Werbe­kos­ten­zuschüsse bekommen haben.

Über insge­samt 412 Verträge sei der Handy-Shop-Betreiber am Ende letzt­lich gestol­pert. Im Zuge einer Jubi­läums­aktion zum sieben­jäh­rigen Bestehen habe er in drei Tagen alleine 200 neue Verträge abge­schlossen. Der Voda­fone-Vertriebs­leiter und der Zwischen­händler hätten ihn ermun­tert, die Zahl auf 400 zu erhöhen, doch dafür waren nicht mehr genü­gend finan­zier­bare Geräte vorrätig. Kara will aber noch 412 weitere Verträge abge­schlossen haben, davon 380 mit einem Handy.

Auf einmal waren es viel zu viele Verträge

Dem Händler ging das Geld aus, denn auf einmal blieben Provi­sionen und "Zuschüsse" aus. Damit konnten die Dauer­auf­träge auf die Voda­fone-Kunden­konten nicht mehr finan­ziert werden und 300 Kunden warten bis heute auf ihr Smart­phone, bzw. über 1400 Kunden auf die verspro­chenen monat­lichen Gutschriften.

Weil die Verspre­chungen nicht einge­halten wurde, wollten die Kunden schließ­lich außer­ordent­lich kündigen, doch da legt sich Voda­fone quer. Schließ­lich sei nicht der Mobil­funk­anbieter, sondern das Unter­nehmen "Handy­boxx" der Vertrags­partner, so die Antwort am Telefon. Darüber hat Voda­fone auch den Händler infor­miert (Stornos werden abge­lehnt), auch diese Mail liegt Inan Koc vor.

Bitter für Bünyamin Kara: Er musste schließ­lich mit seinem Laden in ein Insol­venz­ver­fahren gehen.

Nur Voda­fone betroffen?

Es fällt auf, dass in solchen und ähnli­chen Fällen immer wieder der Name Voda­fone auftaucht. Die Handy­boxx habe, so Koc, einmal auch mit dem Logo der Telekom geworben. Doch auf die Meldung durch Koc habe die Telekom binnen drei Tagen reagiert. Der Handy­boxx, also Bünyamin Kara, sei die Verwen­dung jegli­cher Werbe­mittel der Telekom strikt unter­sagt worden, und daran habe er sich auch gehalten.

Koc lobt, dass die Telekom hier deut­lich sensi­bler reagiere, während Voda­fone ihn "igno­riere". Koc habe auch Telefónica/o2 gewarnt, insbe­son­dere, da der bishe­rige Voda­fone-Privat­kun­den­chef demnächst nach München wech­seln wolle und - so vermutet Koc - von den kriti­sierten Vorgängen bei Voda­fone hätte wissen müssen.

Lang­jäh­rige Erfah­rung

Inan Koc kennt sich in dem Thema bestens aus. Er hatte früher selbst in Voda­fone-Shops gear­beitet, erlebte, dass Kunden­daten "miss­braucht" wurden, und irgend­wann begann er, Beweise zu sammeln. Die legte er Voda­fone vor, infor­mierte den dama­ligen Chef Amets­reiter und jetzt auch den neuen Chef Rogge, doch Voda­fone reagierte nicht so, wie Koc sich das vorge­stellt hatte. Koc wirft dem Unter­nehmen „Massen­betrug“ vor, schreibt von „tausenden Opfern“ und nennt das ein „Schnee­ball­system“, das „von der Voda­fone GmbH finan­ziert und am Leben gelassen“ wurde.

Eine Einschät­zung (von Henning Gajek)

Wer ist da nun schuld? Alle und niemand? Im Kern ist es das Grund­prinzip von Provi­sionen. Es zählen nur Neuver­träge, und dafür werden alle Hebel in Bewe­gung gesetzt. Mit Provi­sionen, Cash­backs, Werbe­kos­ten­zuschüssen und so weiter wird die Branche seit Jahren am Leben erhalten. Also hatte niemand Lust, genauer hinzu­schauen.

Wer als Kunde Mut zum Risiko hat, kann das Schnäpp­chen seines Lebens machen oder auch voll auf die Nase fliegen. Tritt ein "Schaden" auf, dann scheint sich keiner wirk­lich für das Thema zu inter­essieren. Der Netz­betreiber nicht, weil er drin­gend Wachs­tums­zahlen braucht. Der Händler lebt von der Hand in den Mund, und der Zwischen­händler sagt, er habe alles richtig gemacht. Der Netz­betreiber pocht auf seinen Vertrag mit dem Kunden, eine Kündi­gung ist frühes­tens nach 24 Monaten vorge­sehen.

Neu ist das Problem nicht. Solche Fälle gab es schon vor 10 Jahren häufig. Auch damals blieben Provi­sions­zah­lungen aus und die Kunden auf ihren Verträgen sitzen.

Bleibt also nur: Vor solchen Ange­boten mit "sehr teuren" 1-Euro-Handys oder Verträgen monat­lichen oder einma­ligen Rück­erstat­tungen muss gewarnt werden. Das Risiko ist in vielen Fällen einfach zu hoch.

Ein gut infor­mierter Kunde schließt seinen Vertrag entweder direkt beim Original-Netz­betreiber oder einem seriösen Service-Provider ab und kauft sich das Handy am besten separat. Das kann man auch in einem seriösen Laden tun, der den Kunden trans­parent infor­miert und alle Daten nach­weis­lich an den Netz­betreiber oder Service-Provider weiter­gibt.

Für den Erwerb edler Handys gibt es längst raten­finan­zierte Ange­bote oder man nimmt ein refur­bished (wieder­auf­gear­bei­tetes) Gerät einer Nobel­marke, das unterm Strich spürbar güns­tiger ist.

Auf die Dauer müsste sich aktuell speziell bei Voda­fone etwas tun. Denn: Solche Geschichte rampo­nieren nur das Image. Kriti­sche Kunden beginnen, über alter­native Ange­bote nach­zudenken. Die verzwei­felt erhofften Wachs­tums­zahlen erreicht man damit nicht. Gene­rell gehörte das klas­sische Provi­sions­modell drin­gend auf den Prüf­stand. Doch schnelle Ände­rungen scheinen nicht in Sicht.

Schwere Vorwürfe gibt es gegen Drücker­kolonnen, die vorgeb­lich oder tatsäch­lich im Auftrag der Telekom unter­wegs sind.

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