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Das Unbehagen mit dem Abbild der Welt im Internet

Öffentlichkeit kontra Privatsphäre
Von dpa / Marie-Anne Winter

Hobby­foto­grafen und Lokal­patrioten laden ihre Fotos bei Flickr und YouTube hoch. Touris­mus­behörden bauen Webcams auf, die einen Blick auf die Prome­nade oder den Strand erlauben. Und Karten-Anbieter stellen nicht nur Stadt­pläne, sondern auch haus­num­mern­genaue Satel­liten­auf­nahmen ins Netz. Immer mehr Bilder unserer Welt sind online verfügbar. Und dank Google, Bing und Co. lassen sie sich mit einem Klick finden. Auch ohne die Stra­ßen­ansicht Street View, mit der der Such­maschinen-Primus in Deutsch­land aneckt, entsteht so ein detail­rei­ches Abbild der Welt.

Der Nutzen der Dienste ist klar: Urlauber, die über Reise­kata­logen grübeln, können mit einem Klick in der Ferne vorbei­schauen. Ist da viel­leicht eine Disco direkt neben der Feri­enan­lage? Und sind es bis zum Meer wirk­lich nur ein paar Schritte? Menschen, die einen Umzug planen, können sich manchen Besich­tigungs­termin sparen, wenn sie die Umge­bung anhand der Aufnahmen im Netz inspi­zieren. Fahrzeug mit Street-View-Kamera Fahrzeug mit Street-View-Kamera
Bild: Google

Auch unter­wegs hilft die Internet-Suche. Besitzer von Multi­media-Handys können sich zum einzigen mongo­lischen Restau­rant der Stadt leiten lassen und vorher einen Blick auf die Spei­sekarte werfen - zumin­dest wenn der Gastronom sie online gestellt hat. Und für den Rückweg lassen sich neben der nächsten Station die Abfahrts­zeiten der Stra­ßen­bahn heraus­suchen. "Unsere Vision ist es, das gesamte Internet auf eine Karte zu bringen", sagt Raphael Leiteritz, der bei Google für "Street View" in Europa zuständig ist.

Immo­bili­enbe­wer­tung per Street View

Der Such­maschi­nen­gigant ist nicht der einzige, der Land­karten neu erfinden will. Rivale Micro­soft arbeitet zum Beispiel eben­falls an einer Stra­ßen­ansicht, die bereits für 56 US-Städte verfügbar ist. Mit der Soft­ware Photo­synth sollen Nutzer künftig außerdem eigene Fotos und Videos in die Panorama-Ansicht einbinden können. Bilder können allen Besu­chern oder auch nur dem eigenen Freun­des­kreis zugäng­lich gemacht werden. Das Programm inte­griert die Fotos pass­genau.

Für die beiden Technik-Riesen und ihre Konkur­renten lohnen sich die Inves­titionen: Denn Anzeigen neben loka­lisierten Such­ergeb­nissen gelten ebenso als Zukunfts­markt wie die Navi­gation.

Die Menge, Qualität und Verknüpf­bar­keit der Daten bereitet manchem jedoch Unbe­hagen. Nicht nur Umzugs­wil­lige und Urlauber nutzten die detail­rei­chen Ange­bote, warnt etwa der Chef der Daten­schutz­behörde in Schleswig-Holstein, Thilo Weichert: "Street View kann auch ganz anders genutzt werden. Etwa im Bereich der Immo­bilien- und Banken­geschäfte, wenn per Klick erste Grund­stücks- und Boni­täts­bewer­tungen von Kunden erfolgen." Derar­tige Dienste bieten aller­dings auch andere Unter­nehmen, nur nicht so hübsch aufbe­reitet.

Auch das mögliche Auskund­schaften von Zielen, von denen sich Krimi­nelle reiche Beute verspre­chen, sei alles andere als abwegig. Denn zusammen mit anderen Ange­boten wie "Google Maps" oder "Micro­soft Bing Maps", die Satel­liten­bilder zu Karten anein­ander­reihen, ist ein hoher Garten­zaun längst kein wirk­samer Schutz mehr vor den Blicken anderer. Alles, was es braucht, ist eine Anschrift - und schon kann die Privat­sphäre ein Stück kleiner werden.

Wie öffent­lich ist öffent­lich?

Beispiele dafür, dass beispiels­weise "Street View" nicht nur Vorder­grün­diges zeigt, gibt es viele. Einen Finnen erwischte zum Beispiel die 2,90 Meter hohe Street-View-Kamera, als er "unten ohne" im Liege­stuhl lag. An den nackten Tatsa­chen vermochte auch die Unkennt­lich­machung seines Gesichts nichts mehr zu ändern. Eine Britin reichte laut Medi­enbe­richten sogar die Schei­dung ein, weil sie das auffäl­lige Auto ihres Mannes vor dem Haus einer Bekannten erkannt hatte - dass er dort war, deckte sich nicht mit dem, was er sonst immer beteuert hatte.

Daten­schützer Weichert warnt aber, die Kritik nur auf "Street View" zu beschränken, wie es in der Politik oft zu beob­achten sei: "Das Angebot ist nur die Spitze des Eisbergs." Es beflü­gele die Diskus­sion um die Verletz­lich­keit der Privat­sphäre nur so sehr, da es eine konkrete Verbin­dung zur Realität habe. "Wenn es um Bilder der eigenen Person oder zumin­dest der eigenen Haus­fas­sade geht, wird so ein Thema sehr schnell anschau­lich", sagt Weichert.

Der Kern des Problems ist ein anderer: Wie soll man damit umgehen, dass schier unend­lich viele Infor­mationen auf einen Klick verfügbar sind? Bilder von Orten, die man auch bereisen kann - aber nicht vom Schreib­tisch aus? All das kombi­niert mit Daten­spuren, die Nutzer beim Surfen im Internet hinter­lassen?

Weichert betont: "Das Problem ist, dass unser Daten­schutz aus einer Zeit stammt, in der man an Akten­berge und viel­leicht noch an Tele­fon­gesprächs­daten gedacht hat - aber nicht an lücken­lose Inter­net­phä­nomene wie heute." Es müsse ein moder­nerer, globa­lerer Daten­schutz her. Frei­lich sieht das nicht jeder so. Jeff Jarvis, Publi­zist und Professor aus New York, sagte auf der Blog­ger­tagung Re:publica, was öffent­lich sei, gehöre der Öffent­lich­keit. Ein Abbild der Welt à la "Street View" zu verbieten, hält er für absurd.

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