Vorwurf: Verstößt TKG-Novelle gegen Europäisches Recht?
Müssen notwendige Mobilfunkfrequenzen unbedingt immer versteigert werden. Oder geht es auch anders?
Credits: Shutterstock/kanvictory und SVG Repo / Telefónica o2
Aktuell wird der Europäische Kodex für Elektronische Kommunikation (EECC) in deutsches Recht überführt. Dazu wird aktuell das Telekommunikationsgesetz überarbeitet.
Festlegung auf Auktionen könnte gegen EU-Recht verstoßen
Müssen notwendige Mobilfunkfrequenzen unbedingt immer versteigert werden. Oder geht es auch anders?
Credits: Shutterstock/kanvictory und SVG Repo / Telefónica o2
Aus der Branche hagelt es Kritik. "Anstatt mehr Investitionen in den Netzausbau zu ermöglichen, enthält die Novelle eine Vorfestlegung auf Frequenzauktionen", schimpft Professor Christian Koenig, Direktor am Zentrum für Europäische Integrationsforschung (ZEI) der Universität Bonn, "das widerspricht dem europäischen Recht". Valentina Daiber, Vorständin für Recht und Corporate Affairs bei Telefónica Deutschland (o2) plädiert verständlicherweise "auch aus wirtschaftlicher Sicht" für mehr Spielraum im Gesetz und fordert den Einsatz alternativer Verfahren.
EECC sieht mehr Spielräume vor
In einem Gespräch mit Valentina Daiber bestätigt Prof. Koenig, dass die Vorfestlegung auf Auktionen schon in der Vergangenheit immer wieder rechtlich umstritten war. Für die Zukunft sehe der schon 2018 verabschiedete Europäische Kodex explizit vor, dass die nationalen Regulierungsbehörden (in Deutschland die Bundesnetzagentur) "weite Spielräume zur richtigen Verfahrenswahl" bekommen sollen. Damit sollen bei Frequenz-regulatorischen Entscheidungen "verstärkt auf Investitionsaspekte und Planungssicherheit achten". Der TKG-Entwurf sieht hingegen bei Frequenzknappheit eine Vorfestlegung auf eine Auktion vor, was europarechtlich nicht vorgesehen sei und die Entscheidungsbefugnisse der BNetzA unzulässig einschränken würde. Konkret: "Nach meiner Überzeugung verstößt das klar gegen europäisches Recht."
Jahrelange Rechtsunsicherheit
König sieht erhebliche Risiken. Falls der TKG-Regierungsentwurf im parlamentarischen Verfahren nicht korrigiert werde, könnte der Europäische Gerichtshof ein Urteil sprechen und Teile des neuen Gesetzes in Frage stellen. Ein Vertragsverletzungsverfahren oder ein Auslegungsurteil würde bei der Frequenzregulierung jahrelange Rechtsunsicherheiten vorprogrammieren. Valentina Daiber findet das auch wirtschaftlich problematisch, weil Rechtsunsicherheiten Investitionen hemmen.
BNetzA soll frei entscheiden können
o2-Vorständin Valentina Daiber (links) und Prof. Dr. Christian Koenig (LL.M) von der Uni Bonn.
Foto: Telefónica Deutschland
Prof. Koenig will den Entscheidungsspielraum der Bundesnetzagentur gewahrt wissen, die "auf Basis der Wettbewerbssituation und der technischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten des Marktes das jeweils beste Verfahren bestimmen können" soll. Valentina Daiber stellt klar: "Durch Auktionen treibt man den Preis unnötig in die Höhe und das Geld fehlt später für den Netzausbau. In den vergangenen 20 Jahren mussten die Mobilfunknetzbetreiber durch überteuerte Frequenzauktionen mehr als 66 Milliarden Euro nur für Frequenznutzungsrechte zahlen. Das fehlende Geld macht sich in fehlender Infrastruktur bemerkbar."
Bestandsfrequenzen verlängern
o2 spricht sich dafür aus, Bestandsfrequenzen einfach ohne neue Auktion zu verlängern. Prof. König bestätigt, dass bei bereits bestehenden Frequenznutzungsrechten, deren Laufzeit unter 20 Jahren liegt, der EECC sogar die Verlängerung als Regelfall vorsieht. Daiber appelliert an die Verantwortlichen, den europäischen Weg zu gehen – und zwar nicht nur, weil es rechtlich geboten ist, sondern weil es essentiell für unseren Wirtschaftsstandort sei.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Für einen permanent finanziell klammen Staat ist es natürlich verlockend, bei Frequenzversteigerungen regelmäßig hohe Summen einnehmen zu können. Wir erinnern uns an die UMTS-Versteigerung vor 20 Jahren, die alleine 50 Milliarden Euro in die Kassen des Finanzministers spülte. Zwei von sechs Lizenzgewinnern (Mobilcom-Multimedia und Group3G/Quam) bescherte die überteuerte UMTS-Lizenz bald das Aus. Ja, sie löste schwerwiegende finanzielle und politische Folgen aus.
Der damalige finnische Staatskonzern Sonera (ein Anteilseigner von Quam) musste mit den schwedischen Kollegen von Telia fusionieren, um eine Staatspleite abzuwenden. Die spanische Telefónica (der zweite Eigner von Quam) musste am Ende etwa 18 Milliarden Euro abschreiben und verlor eine Klage auf Rückzahlung der Lizenzkosten gegen den Regulierer. Der damalige Bundeskanzler Schröder musste in Frankreich massiv intervenieren, damit die Lizenzschulden von Mobilcom-Multimedia zurückgezahlt und die damalige Mutter Mobilcom (heute Mobilcom-Debitel/Freenet) am Ende überleben konnte.
Es fordert ja niemand, dass Frequenzen "auf ewig" an Unternehmen verkauft werden dürfen, wie das in den USA der Fall ist. Dort kann es passieren, dass Lizenzen an Unternehmen gehen, die damit nur handeln, aber niemals selbst ausbauen wollen oder können. Wenn man die europäische gebotene Frequenzverlängerung einführt, muss es einen Mechanismus geben, dass das gesparte Geld auch wirklich in den Netzausbau und nicht in Dividenden oder andere Goodies für die Anteilseigner fließen kann. Diese Sanktionen müssen im Ernstfall richtig wirksam sein und weh tun, sonst ist die Versuchung zu groß, doch nicht so intensiv, wie anfangs versprochen, auszubauen.
Und es stellt sich leider wieder die Frage, ob ein vierter Netzbetreiber den Ausbau der Infrastruktur beschleunigt oder eher den Preiskrieg bei Kundenangeboten anheizt, durch den am Ende wieder kein Geld für den Netzausbau übrig bleibt. Die mühsam verdaute Fusion von E-Plus und o2 ist übrigens eine Spätfolge überzogener Lizenzkosten und des Preiskriegs auf dem Markt für Mobilfunk-Verträge und Karten.
Nun braucht der neue Anbieter auch Frequenzen und würde seinerseits gewiss klagen, wenn einfach bestehende Frequenzen "verlängert" würden. Wie kann man die etablierten Frequenzinhaber ohne teure Auktion dazu verpflichten, ihre Frequenzen "mit dem Neuen zu teilen" und wenn ja zu welchen Konditionen? Da ist so oder so gewaltig Streit vorprogrammiert.
Ein anderes Rechtsthema wurde durch ein BGH Urteil geklärt: Extra Gebühren für Nutzung des Zahlungsdienstleisters PayPal sind zulässig.