Studie: Belastet Mobilfunkstrahlung unsere Insekten?
Der Naturschutzbund (NABU) Baden-Württemberg und die sehr mobilfunkkritisch eingestellte Organisation diagnose:funk haben gestern in Stuttgart eine "Meta-Studie" vorgestellt, die dem generellen Credo, dass "Mobilfunk schädlich" sei, mehr Gewicht verleihen soll.
Die "Metastudie" über „Biologische Wirkungen elektromagnetischer Felder auf Insekten“ durch Hochspannung (Stromleitungen), Mobilfunk und WLAN kommt zu dem Ergebnis, dass neben Pestiziden und dem Verlust von Lebensräumen auch Mobilfunkstrahlung negative Effekte auf Insekten haben und damit ein weiterer Faktor für die Schwächung der Insektenwelt sein könnte.
Der Autor der Studie, Alain Thill, hat sich im Auftrag der Umwelt- und Verbraucherorganisation diagnose:funk, des NABU Baden-Württemberg und der Luxemburger Umweltorganisation AKUT einfach "190 wissenschaftliche Veröffentlichungen" angeschaut und daraus seine Schlüsse gezogen.
Gefahr durch Calcium?
Eine Wespe frisst sich am 31. August 2020 durch einen Apfel in einem Obstgarten in der Region Hannover. Nach Expertenaussage war der recht warme, regenarme Frühling ideal für die Bildung von Wespenvölkern gewesen
Foto: Julian Stratenschulte/dpa
Thill kommt zu dem Schluss, dass insbesondere Mobilfunk- und WLAN-Strahlung dafür sorgen würden, dass die Calciumkanäle der Zellen geöffnet würden, wodurch vermehrt Calciumionen einfließen könnten.
Calcium sei ein wichtiger Botenstoff, der eine biochemische Reaktion auslösen könne, welche bei Insekten zu "oxidativem Zellstress" führen soll. Die Folgen wären ein eingeschränkter Orientierungssinn und die Abnahme der Reproduktionsfähigkeit. Außerdem werde die Tag-Nacht-Rhythmik gestört und das Immunsystem geschwächt.
Studien aus Griechenland sollen zeigen, dass "Mobilfunkstrahlung" deutlich schädlicher als das 50-Hertz-Magnetfeld einer Hochspannungsleitung sei.
Mobilfunkstrahlung häufig unterschätzt?
Für den NABU-Landesvorsitzenden Johannes Enssle ist damit klar: "Möglicherweise spielten neben dem Verlust von Lebensräumen, der Intensivierung der Landwirtschaft und dem Eintrag von Pestiziden und Luftschadstoffen in die Umwelt weitere Faktoren, wie eben auch hochfrequente elektromagnetische Strahlung, eine Rolle." Die Studie zeige, dass die Wirkung von Mobilfunkstrahlung auf die Umwelt häufig unterschätzt werde.
Über die "negative Wirkung" von Mobilfunk- und WLAN-Strahlung auf Zellen sei in der Wissenschaft inzwischen schon viel bekannt, stellt der NABU fest, das Thema sei "für viele von uns unbequem, greife es doch tief in unsere alltäglichen Gewohnheiten ein und hinter der Mobilfunktechnik stehen natürlich auch mächtige wirtschaftliche Interessen.“
Weniger Umwelt-Strahlenbelastung gefordert
Das ist eine Steilvorlage für Peter Hensinger von der diagnose:funk, der es "beunruhigend" findet, dass bereits geringe Strahlenbelastungen weit unterhalb der Grenzwerte Insekten schädigen. Seine Forderung: Der Mobilfunkausbau dürfe keinesfalls flächendeckend unbeirrt weitergehen, wie von Politik und Mobilfunkbetreibern gewünscht. Die Lebensräume von Insekten müssten vor Mobilfunkstrahlung geschützt werden! Die bereits vorhandene Strahlenbelastung müsse flächendeckend gesenkt werden – zum Schutz von Mensch und Tier.“
Niedrigere Grenzwerte als Lösung?
Dass dies möglich sei, zeigten Beispiele aus der Schweiz oder aus Norwegen, wo trotz guter Netzabdeckung eine wesentlich geringere Strahlenbelastung der Umwelt erreicht werde. Der Biologe Prof. Herbert Zucchi von der Hochschule Osnabrück, bewerte die Metastudie "als sehr gründliche Arbeit", die Insektenforschern einen guten Überblick über den aktuellen Kenntnisstand biete.
Die Ergebnisse der Metastudie sind für Wissenschaftler wie den Biologen Dr. Ulrich Warnke keinesfalls überraschend und stünden im Widerspruch zur Haltung der Bundesregierung, die bisher Effekte elektrischer, magnetischer und elektromagnetischer Felder auf Flora und Fauna negiert oder verharmlost habe. Warnke war Dozent an der Universität Saarbrücken und erforschte seit den 1970er Jahren den Einfluss von Radar und elektromagnetischen Feldern auf Bienen.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Eine (ausrangierte) Radar-Antenne, die jetzt als Attraktion in einem Freizeitpark steht (und nicht mehr sendet)
Foto: Picture Alliance / dpa
Man nehme eine Handvoll Studien, die sich kritisch mit Mobilfunk auseinandersetzen, und entnehme diesen die gewünschten Ergebnisse, dass "Strahlung" schädlich sein soll. Dabei werden elektromagnetische Wellen aller Art in einen Topf geworfen, möglichst kräftig umgerührt, es wird schon was passendes übrig bleiben.
Dass Radar-Sender, wie sie rund um Flughäfen und speziell beim Militär eingesetzt werden, mit einem extremen Vielfachen an Sendeleistung eines Mobilfunksenders arbeiten und im Nahbereich für Mensch und Tier nachweisbar gefährlich sind, ist längst bekannt. Deswegen gibt es um jede Antenne Schutzabstände und genaue Grenzwerte, wie nah Menschen kurzzeitig oder dauerhaft sich dieser Antenne nähern dürfen. Dass es bei jeder Form der "Strahlung" auf die Dosis ankommt, findet sich in jedem Lehrbuch. Selbst Kochsalz, in rauen Mengen eingenommen, ist ziemlich ungesund.
Dass die Umwelt durch "Pflanzenschutz"-Mittel, die oft auch für "unerwünschte" Tiere und Pflanzen giftig sind, geschädigt wird, ist nichts Neues. Übrigens: Dieses Jahr war nach Experten-Ansicht ein optimales Jahr für die Wespen, obwohl in der letzten Zeit viele neuen Sendestationen online gegangen sind.
Mögliche Lösung Grenzwerte senken?
Die Senkung der Mobilfunk-Grenzwerte, wie beispielsweise in der Schweiz oder Norwegen, wäre ein spannender Ansatz. Nur müssen dann noch viel viel mehr Mobilfunk-Stationen aufgebaut werden, als heute schon aktiv oder geplant sind. Diese vielen noch mehr Stationen würden in der Tat eine deutlich bessere Versorgungsabdeckung erreichen, bei durchaus niedriger "Strahlenbelastung", bedeuten aber auch erhebliche Mehrkosten.
Sind alle Kunden bereit, das zu akzeptieren? Es hätte einen angenehmen Nebeneffekt: Kleinere und schwächere Sendestationen wären weitaus unauffälliger, denn viele Mitmenschen "stört" nur die Optik der Sendemasten.
Moratorium ist unrealistisch
Davon zu träumen, dass erst einmal jahrelang nichts mehr passieren soll (Moratorium), bis die gewünschten und akzeptierten "Experten" irgendwann herausgefunden haben, ob Mobilfunk vielleicht "schädlich" sein könnte, ist absolut unrealistisch.
Ja: "Kein Mobilfunk" kann sogar gefährlicher werden, wenn nach einem Unfall oder eine Katastrophe keine Hilfe geholt werden kann, weil keine Verbindung zum Rettungsdienst möglich ist. Wer daheim "Angst" vor dem WLAN hat, kann stattdessen in seiner Wohnung viele Ethernet-Kabel legen, was den netten Nebeneffekt hat, dass das Internet daheim schneller und stabiler wird. Alternativ könnten auch optische "Funk"-Netze mit Licht eine Option darstellen.
Mobilfunksender mit elektrischen Fernleitungen in einen Topf zu werfen, macht wenig Sinn. Man kann elektrische Fernleitungen in Wohngebieten gegen gewaltigen Aufpreis in der Erde verschwinden lassen.
Schlechter Mobilfunk schädigt mehr
Schlechte Mobilfunkversorgung ist dann "ungesund", wenn das Handy mit maximaler Sendeleistung nach der nächsten Station "schreien" muss und der Akku viel zu schnell leer wird, ohne ausreichende Verbindung bekommen zu haben. Das hören die Kritiker nicht so gerne.
Mobilfunk: Wie kann ich mir das vorstellen?
Bei Phänomenen, die man mit menschlichen Sinnen nicht spüren, sehen, hören oder schmecken kann, ist es immer schwer, sie sich vorzustellen. Man sollte sich den Mobilfunk wie folgt vorstellen: Ein großer dunkler Raum, in dem Leute sitzen, die ein Buch oder eine Zeitung lesen wollen. Das geht logischerweise nicht.
Nun stellt jemand einen großen TV-Studio-Scheinwerfer hinein und schaltet ein. Das Licht ist gleißend hell und blendet. Das ist Mobilfunk der achtziger und neunziger Jahre. Nun schalten wir den Scheinwerfer wieder aus und geben jedem Besucher der Halle eine kleine Taschenlampe in die Hand, die gerade soviel Licht spendet, dass man damit lesen kann. Das ist der zellulare Mobilfunk der Zukunft.