Editorial: Amazons Macht
Zunächst einmal ein Lob: Von allen Online-Händlern, von denen ich in
den letzten zehn Jahren mehr
als nur ein- oder zweimal Waren bestellt hatte, war und ist Amazon
insgesamt der beste: Transparenz bezüglich des Bestellprozesses und
des erwarteten Zustellungstermins, Lösung
aller Service-Fälle zu meiner Zufriedenstellung (und da war auch
mindestens eine "harte Nuss" dabei, wo eine teure Ware verloren gegangen
war) und vor allem ein wirklich riesengroßes Angebot. Zwar ist Amazons
Produktsuchmaschine sicher optimierungsfähig und die Nutzung eines
Amazon-Accounts auf verschiedenen Amazon-Landesportalen führt zumindest
anfangs zu schwer durchschaubaren Effekten. Aber auch diese Probleme
waren für mich am Ende alle mit Googles Hilfe lösbar.
Amazon versendet weltweit
Bild: picture alliance/Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbild/dpa
Nicht so schön ist, dass die Servicequalität inzwischen deutlich
nachgelassen hat: Mit der Ausrede der "kontaktlosen Zustellung" stellt
einem der hauseigene Lieferdienst die Ware schon seit einiger Zeit
nur noch vor die Tür oder wirft sie in den Vorgarten.
"amazon wirft pakete weg" wird offensichtlich so oft gesucht, dass
es sogar ein Suchvorschlag bei Google ist. Will man die zwar per
E-Mail als "zugestellt" gemeldete, real aber nie angekommene Lieferung
bei Amazon reklamieren, verliert man sich auf der Website und sucht
ziemlich lange nach den wenigen und sehr gut
versteckten Kontaktmöglichkeiten.
Wenn man es nach vielen Klicks geschafft hat, doch noch den Kontakt zur Servicehotline herzustellen, ist der Mitarbeiter dort zwar freundlich. Doch ob er das Problem des zwar angeblich gelieferten, real aber nie angekommenen Pakets löst, hängt dann nach Erfahrung des Autors davon ab, wie gut der Anrufer die deutsche Sprache beherrscht, um sein Problem zu schildern.
Händler als Datenlieferanten
Aber nicht nur von Angestellten und Kunden verlangt Amazon immer mehr ab, sondern auch von seinen Partnern: Marktplatz-Händler zahlen Provisionen dafür, dass Amazon ihnen Kunden vermittelt. Und mit seinen Systemen wertet Amazon dann aus, welche Marktplatz-Händler mit welchem Angebot besonders erfolgreich sind - und kopiert diese Erfolge dann für sich. Die nicht so erfolgreichen Geschäftsideen kopiert Amazon hingegen nicht. So werden die Marktplatz-Händler letztendlich zu billigen Versuchskaninchen für die Optimierung der Amazon-Rendite.
Gut ist, dass das Europäische Kartellamt auf diese Praktiken aufmerksam geworden ist - wahrscheinlich durch Anzeigen betroffener Händler. Kritisch ist, dass das Kartellamt zwar Amazon eine saftige Strafe auferlegen kann, aber damit den Händlern, die bereits aufgeben mussten, dennoch nicht geholfen ist. Den Trend, dass im Internet ein immer größerer Teil der Handelsmarge und der Werbeumsätze an die großen Plattformen fließt, wird das Kartellamt vermutlich nicht umdrehen, hoffentlich aber zumindest etwas verlangsamen können.