Breitband

ANGA: Grundsatzurteil zu Weitersenderechten in TV & Radio

Im Streit um Weiter­sen­derechte und Urheber-Vergü­tungen bei Fern­sehen und Radio hat der Breit­band­ver­band ANGA einen gericht­lichen Erfolg erzielt. Das Ober­ver­wal­tungs­gericht München hat in seinem Urteil zahl­reiche Mehr­for­derungen der Verwer­tungs­gesell­schaft gegen­über dem bis 2016 bestehenden Gesamt­ver­trag zurück­gewiesen.
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In einem mehr­jäh­rigen Rechts­streit über die Lizen­zie­rung der Weiter­sen­derechte für Fernseh- und Hörfunk­pro­gramme hat der Breit­band­ver­band ANGA laut eigenen Angaben ein funda­mental wich­tiges Urteil gegen eine deut­sche Verwer­tungs­gesell­schaft erwirkt.

Hinter­grund: Um neue, inter­net­basierte TV-Platt­formen wie Zattoo und waipu.tv oder IPTV- und OTT-Anbieter, die wie klas­sische Kabel­unter­nehmen lineare Sender bündeln und über das offene Internet verbreiten, gibt es seit längerem Streit über die Lizen­zie­rung der Weiter­sen­derechte. Neue Platt­formen sehen sich etwa mit dem Problem konfron­tiert, dass ihre Form der Weiter­ver­brei­tung nicht im Urhe­ber­recht gere­gelt war. Jeder Urheber, ja sogar jeder Schau­spieler hätte rein theo­retisch seine eigene Rechts­posi­tion gegen­über den neuen TV-Platt­formen geltend machen können. In einem Rechtsstreit über die Lizenzierung der Weitersenderechte hat die ANGA ein wichtiges Urteil erwirkt In einem Rechtsstreit über die Lizenzierung der Weitersenderechte hat die ANGA ein wichtiges Urteil erwirkt
Foto: dpa
Die Netz­betreiber der ANGA bieten ihren Kunden zudem nicht mehr nur das klas­sische Kabel­fern­seh­pro­dukt für Zuhause an. Hinzu­gekommen sind neue TV-Formen wie Strea­ming über das Internet (OTT), aber auch zeit­ver­setzte Dienste wie Catch-Up-TV und Online-Video­recorder. Die Klärung der für diese Ange­bote erfor­der­lichen Urhe­ber­lizenzen gestaltet sich in der Praxis oftmals schwierig und lang­wierig. Die neuen Anbieter gingen daher nicht kalku­lier­bare Risiken ein, und tatsäch­lich gab es in der Vergan­gen­heit auch Mehr­for­derungen der Verwer­tungs­gesell­schaften. Die Chancen auf bran­chen­weiten Rechts­frieden und inno­vative Medi­enan­gebote waren somit einge­schränkt.

Gericht setzt neuen Gesamt­ver­trag fest

Auf eine Klage der ANGA hat das Ober­lan­des­gericht München jetzt einen neuen Gesamt­ver­trag fest­gesetzt. Dieser regelt, zu welchen Kondi­tionen die Mitglieds­unter­nehmen des Verbandes die Rechte für die leitungs­gebun­dene Weiter­sen­dung von Fernseh- und Hörfunk­pro­grammen erwerben können. Umfasst wird sowohl klas­sisches Kabel­fern­sehen als auch neu die Verbrei­tung im IP-Stan­dard, etwa über Glas­faser­netze. Einge­räumt werden dafür Urheber- und Leis­tungs­schutz­rechte privat­wirt­schaft­licher Fernseh- und Hörfunk­unter­nehmen.

Das Gericht hat in seinem 105-seitigen Urteil zahl­reiche Mehr­for­derungen der Verwer­tungs­gesell­schaft gegen­über dem bis 2016 bestehenden Gesamt­ver­trag zurück­gewiesen. Das betrifft unter anderem die Höhe des Vergü­tungs­satzes, die Bedeu­tung von Daten zum Beispiel im Rahmen von IPTV und die Einfüh­rung von soge­nannten Mindest­bemes­sungs­grund­lagen.

Nach dem Urteil bleiben die Vergü­tungs­sätze auf dem Niveau des Tarifs von 2012. Beson­ders bedeutsam: Für Endkun­den­umsätze gelten weiterhin keine festen Mindest­bemes­sungs­grund­lagen, es bleibe grund­sätz­lich bei einer prozen­tualen und damit für beide Seiten fairen Vergü­tung. Die Bemes­sungs­grund­lage besteht aus den tatsäch­lich erzielten Erlösen. Nach den Fest­stel­lungen des Gerichts gelte inso­weit "ein strenger Wirk­lich­keits­maß­stab ohne pauscha­lie­rende Vergü­tungs­bestand­teile". Daraus lässt sich die zentrale Erkenntnis ableiten, dass auch für die digi­tale Medi­enver­brei­tung weiterhin der Grund­satz gilt, dass Rech­tenutzer nur für solche Umsätze Vergü­tungen an die Rech­teinhaber zahlen müssen, die sie tatsäch­lich erwirt­schaften, nicht aber für rein fiktive Einnahmen, die sich die Rech­teinhaber vorstellen können.

Erste Entschei­dung über urhe­ber­recht­liche Gesamt­ver­träge

Das Urteil ist von beson­derer Bedeu­tung, denn es handelt sich um die erste Entschei­dung des für urhe­ber­recht­liche Gesamt­ver­träge in Deutsch­land zentral zustän­digen Ober­lan­des­gerichts über die Vergü­tungs­para­meter für Weiter­sen­derechte.

"Wir sind mit dem Urteil des Ober­lan­des­gerichts sehr zufrieden", sagt ANGA-Geschäfts­führer Dr. Peter Charissé. "Die umfang­rei­chen Fest­stel­lungen werden für alle weiteren Lizenz­ver­hand­lungen über Kabel­fern­sehen, IPTV und auch TV-Ange­bote im offenen Internet (OTT-TV) von großer Bedeu­tung sein. Die ausführ­lich begrün­dete Entschei­dung bietet zugleich die Chance auf bran­chen­weiten Rechts­frieden, damit Fern­seh­ver­anstalter und Platt­form­betreiber gemeinsam inno­vative Medi­enan­gebote entwi­ckeln können, um zum Vorteil aller Betei­ligten im Wett­bewerb mit inter­natio­nalen Strea­ming-Ange­boten bestehen zu können."

Der fest­gesetzte Gesamt­ver­trag hat eine Mindest­lauf­zeit von 2018 bis Ende 2028. Der Klage war eine Kündi­gung des bis 2016 bestan­denen Gesamt­ver­trags durch die Verwer­tungs­gesell­schaft und ein Schieds­ver­fahren bei der amtli­chen Schieds­stelle nach dem Verwer­tungs­gesell­schaf­ten­gesetz (VGG) voraus­gegangen. Gegen deren Eini­gungs­vor­schlag hatte die beklagte Verwer­tungs­gesell­schaft Wider­spruch einge­legt.

Gegen das Urteil ist die Revi­sion zulässig. Der Bundes­gerichtshof nimmt jedoch nur eine einge­schränkte Über­prü­fung vor, denn die Fest­set­zung eines Gesamt­ver­trags ist eine rechts­gestal­tende Entschei­dung gemäß § 130 VGG, für die dem Ober­lan­des­gericht ein weiterer Ermes­sens­spiel­raum einge­räumt wird.

Thema­tisch passend: Der Verein Wiki­media Deutsch­land fordert von öffent­lich-recht­lichen Rund­funk­sen­dern, einen Teil ihrer Inhalte zur weiteren Nutzung frei verfügbar zu machen.

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