Themenspecial Telefon und Internet im Festnetz Next Generation

Analog, digital, universal: Das Festnetz der Zukunft

Analoganschlüsse sind weiterhin beliebt, aber NGN kommt
Von Marie-Anne Winter

Während die Vorteile von NGN für die Netzbetreiber ziemlich eindeutig sind, haben die Kunden derzeit gefühlt noch ziemlich wenig davon. Hier muss man allerdings berücksichtigen, dass die Umstellung derzeit in vollem Gange ist und Umstellungen immer mit technischen Schwierigkeiten einhergehen, weil das eine oder andere noch nicht wie vorgesehen funktioniert. Man denke nur daran, wie lange es dauerte, bis MMS tatsächlich netzübergreifend versendet werden konnten oder wie schwierig es noch vor nicht so langer Zeit werden konnte, seinen PC oder auch das Handy korrekt für den Internet-Zugang zu konfigurieren. Dass Plug and Play nicht wie versprochen funktioniert, kommt auch heute noch vor.

Mittel- bis langfristig werden vermutlich vor allem Kunden profitieren, die derzeit noch nicht an die breitbandigen Kommunikationsnetze angeschlossen sind: Irgendwann wird es für die Netzbetreiber günstiger werden, ihr modernes all-IP-Netz flächendeckend auszubauen, anstatt weiterhin einzelne Teile ihres Netzes mit alter Technik zu betreiben. So will die Telekom ihr Netz bis 2015 komplett auf NGN umbauen - und zwar bis zum Endkunden. Ob damit dann tatsächlich jeder Aussiedlerhof automatisch einen Breitzugang zum Internet haben wird, bleibt allerdings abzuwarten.

Bits sind Bits - oder doch nicht?

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Bild: teltarif.de
Ein Vorteil von NGN, nämlich Quality of Service (QoS) über Netzgrenzen hinweg, kann auch zum Nachteil der Kunden genutzt werden. Netzbetreiber können mit NGN verschiedene Geschäftsmodelle nutzen, die sich anhand ihrer Qualitätsmerkmale unterscheiden. Das bedeutet, dass in der wunderbaren IP-Welt, in der Anwendungs-, Transport- und Zugangsebenen entkoppelt sind, auch knallhart festgelegt werden kann, in welcher Qualität der jeweilige Kunde seine Dienste bekommt. Ein Stichwort, das in diesem Zusammenhang häufig fällt, ist die Netzneutralität. Im klassischen Internet galt die "Bits-sind-Bits"-Philosophie. Das bedeutet vereinfacht, dass es dem Internet, also den vielen großen und kleinen Servern und den Leitungen dazwischen, völlig gleichgültig ist, ob die jeweiligen Anfragen oder der jeweilige Inhalt von einem geldschweren Branchenriesen oder von Hinz und Kunz kommt: Alle werden bedient.

Mit NGN werden aber auf Anbieterseite auch die Vorteile von digitalem Datentraffic-Management hervorgehoben, also letztlich die Priorisierung bestimmter Dienste, Anbieter und letztlich auch die Bevorzugung von Kunden, die mehr zahlen. Und das bezieht sich nicht nur auf die Endkunden zuhause, sondern beispielsweise auch auf Inhalte-Abieter: Während sich große Unternehmen eventuell einen Autobahnzubringer zur Datenautobahn mieten können, müssen sich die vielen anderen Anbieter durch den Stau auf der Landstraße quälen. Das bedeutet, dass die Inhalte der großen Unternehmen schneller und bequemer bei den Internetnutzern ankommen, und weniger gefragte Seiten am Ende auch deshalb nicht mehr aufgerufen werden, weil es einfach zu lange dauert, bis man sie auf den Bildschirm bekommt. Insofern mehren sich die Stimmen, die den diskriminierungsfreien Zugang zu den Netzen in Gefahr sehen. Auch Techniken wie Traffic Shaping im Rahmen des IP-Netzmanagements können durchaus ein gewisses Missbrauchspotenzial im Hinblick auf Diskriminierung bieten: Wer nur wenig zahlt, bekommt halt eine schlechtere Leitung. In gewisser Weise ist das natürlich auch jetzt schon so: Wer stabile Verbindungen und eine gute Service-Qualität wünscht, bekommt diese in der Regel nicht beim billigsten Anbieter.

Die Lösung oder ein neues Problem?

Es gibt bei NGN aber noch andere Nebenwirkungen: Man kann zwar über TV-Kabel telefonieren und mit dem Fernseher ins Internet, aber der Anbieter kann mit seinem jeweiligen NGN-Standard bestimmen, welche Hardware benutzt werden muss, um überhaupt einen Zugang zu bekommen. Hier kann sich jeder Anbieter doch wieder eine eigene Lösung stricken. Und relativ störanfällig ist die Technik auch: Bei NGN braucht man nicht nur eine Leitung per Fest- oder Funknetz, sondern es müssen auch etliche Protokolle laufen und mit einander abgestimmt werden, damit die Datenpakete (in die dann auch Sprache zerlegt wird) fließen können. Fällt die Datenleitung aus, kann auch nicht mehr telefoniert werden.

Auch ist es leider durchaus nicht so, dass NGN die Unterschiede zwischen Analog- und ISDN-Anschluss einfach auflöst. Zwar lassen sich durchaus ISDN-Merkmale per NGN realisieren. Allerdings werden in dem Fall keine echten ISDN-Kanäle geschaltet. In der Regel können die Kunden viele ISDN-Features nutzen und auch ihre ISDN-Telefone weiter nutzen. Weitere Informationen hierzu finden Sie in unserem Ratgeber.

Man sieht also auch am Beispiel NGN, dass eine neue Technologie nicht nur Vorteile, sondern auch Einschränkungen mit sich bringen kann. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Verantwortlichen bei Anbietern, Regierungen und internationalen Organisationen darauf verständigen, dass die nächste Netzgeneration dazu genutzt wird, die digitale Spaltung zu überwinden, anstatt eine neue Klassengesellschaft im Telekommunikationssektor zu schaffen.

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