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Editorial: BGH: Zuckerbrot und Peitsche

Schockrechnungen schwieriger, Tauschbörsen-Abmahnungen einfacher
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Leider nicht so ausgewogen, aber nach aktueller Gesetzeslage korrekt, ist die andere Entscheidung (Aktenzeichen I ZB 80/11 vom 19.04.2012, bekannt gegeben per Pressemitteilung am 10.08.2012) des BGHs: Tk-Anbieter müssen demnach auch dann Daten zu Anschlussinhabern an Tauschbörsen-Kontrolleure weitergeben, wenn letztere Copyright-Verletzungen nur in nicht-gewerblichem Umfang weitergegeben haben. Entscheidend für die Auskunftpflicht ist nur, dass die Urheberrechtsverletzung offensichtlich ist und der Tk-Anbieter in gewerblichem Umfang tätig ist, nicht der Schwarzkopierer.

Stein des Anstoßes ist hier § 101 Abs. (2) Satz 1 Ziffer 3 des Urheberrechtsgesetzes. Das gute Stück solider deutscher gesetzgeberischer Wertarbeitet lautet: "(2) In Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung oder in Fällen, in denen der Verletzte gegen den Verletzer Klage erhoben hat, besteht der Anspruch [auf Auskunft] unbeschadet von Absatz 1 auch gegen eine Person, die in gewerblichem Ausmaß für rechtsverletzende Tätigkeiten genutzte Dienstleistungen erbrachte, es sei denn, die Person wäre nach den §§ 383 bis 385 der Zivilprozessordnung im Prozess gegen den Verletzer zur Zeugnisverweigerung berechtigt."

Dieser Satz enthält etliche grammatikalische und juristische Hürden. So kann mit "Person" hier nicht nur eine natürliche, sondern auch eine juristische Person gemeint sein, ergo also eine Firma wie die Deutsche Telekom, deren Netz zweifellos "in gewerblichem Ausmaß" für alle möglichen Urheberrechtsverletzungen genutzt wird. Ist auf diesem Weg erstmal die Auskunftspflicht eines Tk-Anbieters festgestellt, dann ist dieser aber für alle "offensichtlichen Rechtsverletzungen" auskunftspflichtig. Wäre man mit der Telekom verheiratet, würde das einen wiederum vor der Auskunftspflicht schützen, aber juristische Personen kann man nunmal nicht heiraten.

Beim schnellen Lesen kann durchaus der Eindruck entstehen, dass sich das "in gewerblichem Ausmaß" auf die Rechtsverletzung selber bezieht, für die Auskunft verlangt wird. Dieser Eindruck drängt sich noch mehr auf, wenn man den kompletten Text dieses Satzes inklusive der Ziffern 1, 2 und 4 liest. Bei Ziffer 1 und 2 muss nämlich die jeweilige Person sehr wohl aktiv an der Verletzung beteiligt gewesen sein, z.B., weil sie viele Schwarzkopien besitzt oder herstellen lässt. Am Ende drängt sich daher der Eindruck auf, dass § 101 Abs. (2) Satz 1 Ziffer 3 ganz bewusst so komplex formuliert wurde, um diesen durch den Bundestag zu prügeln, ohne, dass die Politiker so richtig merken, zu was sie hier die Zustimmung erteilen.

In den Schutzbereich der Formulierung "im gewerblichen Ausmaß" dürften aber immerhin viele kleine Tk-Anbieter fallen, zum Beispiel Hoteliers, die ein W-LAN für ihre Gäste betreiben. Fallen diese nur ab und zu bei den Tauschbörsen-Kontrollen auf, dann sind diese weder verpflichtet, ihren Gästen (z.B. durch Portnutzungs-Prokolle, individuelle IP-Adressen oder ähnlich) hinterherzuspionieren, noch, entsprechende Auskunftsanfragen zu beantworten. Das ändert sich, sobald die illegale Tauschbörsennutzung in einem Hotel "gewerbliches Ausmaß" annimmt, wobei man sich über die Grenze, ab der das der Fall ist, sicher auch trefflich streiten kann: Müssen 1, 10 oder doch 100 Musik-Alben pro Monat getauscht werden, bevor das "gewerblich" ist? Hoteliers sollten also durchaus weiterhin zum Beispiel durch Port-Sperren präventiv aktiv werden. Die meisten sind es bereits heute, um zu verhindern, dass einzelne Gäste durch intensive Tauschbörsen-Nutzung das Internet für alle anderen Gäste verlangsamen.

Abmahnkosten-Deckel dringend nötig

Nachdem diese Grundsatzentscheidung die Rechtmäßigkeit der Beauskunftung des Anschlussinhabers zu IP-Adressen geklärt hat, droht die nächste Tauschbörsen-Abmahnwelle auf die Verbraucher zuzulaufen. Um so wichtiger wären daher Grundsatzentscheidungen, die die Abmahnkosten nach oben limitieren. Es wird weiterhin viel zu oft mit Phantasie-Streitwerten von tausenden von Euro gearbeitet, aus denen dann ähnlich hohe Rechtsanwaltshonorare folgen. Dabei ist der konkrete Schaden, der durch den Download und damit verbundenen gleichzeitigen Upload etwa eines eh im Netz kreisenden Musikstücks entsteht, gering.

Die gesetzliche Obergrenze von 100 Euro nach § 97a Abs. (2) Urheberrechtsgesetz für "erstmalige Abmahnung in einfach gelagerten Fällen mit einer nur unerheblichen Rechtsverletzung außerhalb des geschäftlichen Verkehrs" bezieht sich zudem nur auf die anwaltlichen Kosten. Die Rechteinhaber versuchen aber regelmäßig, zusätzliche Entgelte für die Erkennung von Tauschbörsen-Sündern, für die Ermittlung der Anschlussinhaber und für Schadensersatz bzw. Zwangslizenz für die getauschten Inhalte geltend zu machen. Selbst bei den Anwaltskosten ist noch nicht einmal klar, ob die 100 Euro netto oder bereits inklusive Mehrwertsteuer zu verstehen sind.

Vom Gesetzgeber ist zu fordern, dass er im selben Maße, in dem er die Jagd auf Tauschbörsen-Sünder vereinfacht, er auch die zu zahlenden Entgelte nach oben limitiert. Auch, wenn Tauschbörsen-Abmahnungen nicht von staatlichen Stellen, sondern von privaten Rechteinhabern erfolgen, sollten sie sich der Höhe nach an dem orientieren, was andere kleine Rechteverstöße auch kosten. Warum soll das Schwarzkopieren eines Songs zehn- oder gar hundertfach teurer sein als Schwarzfahren in der U-Bahn?

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