Editorial: Wird Gaia-X ein Erfolg wie Gaia?
Als studierter Physiker und Hobbyastronom ist für mich die
Weltraummission Gaia
der Europäischen Weltraumbehörde eine der erfolgreichsten
Satellitenmissionen überhaupt. Wenn Sie von dieser - anders
als vom Hubble Space Telescope oder dessen im Bau befindlichen
Nachfolger, dem James Webb Spaces Telescope, noch nicht gehört
haben, dann wahrscheinlich deswegen, weil Gaia eine etwas dröge
Aufgabe hat: Die Kartierung aller Sterne in Erdnähe, wobei Nähe
immer dann, wenn Astronomen beteiligt sind, ein höchst
relativer Begriff ist: Selbst schwach leuchtende Sterne, so
genannte rote und weiße Zwerge, kann Gaia auch noch in hunderten
Lichtjahren Entfernung sicher aufspüren und genau vermessen. Helle
Sterne kann Gaia sogar noch am von der Erde entfernten Ende der
Milchstraße aufspüren und dann ebenfalls zumindest die ungefähre
Entfernung bestimmen.
Cloud-Initiative Gaia-X wird zum europäischen Daten-Projekt
Bild: picture alliance/Christophe Ena/AP/dpa
Letztendlich dient Gaia also dazu, die Rohdaten für ein
"Google Maps" der Milchstraße zu sammeln. Im
Gaia Data Release 2
befinden sich genaue
Positions-Angaben zu nicht weniger als 1,3 Milliarden Sternen.
Zwar gibt es ähnlich umfangreiche Sternenkataloge schon aufgrund
früherer Himmelsdurchmusterungen irdischer Teleskope. Doch diese
liefern pro Stern nur zwei Werte, nämlich geographische Länge
und Breite des Punktes am Himmel, von dem das Licht das Sterns
zu uns scheint. Der Gaia-Katalog listet hingegen pro Stern noch
drei weitere Werte: Die Entfernung, sowie Bewegungsrichtung
und -geschwindigkeit.
Um nicht nur den Ort eines Sterns, sondern auch die Entfernung zu messen, muss Gaia außerordentlich genau arbeiten: Denn während Gaia mit der Erde um die Sonne kreist, "sieht" die Sonne im Verlauf eines Jahres den jeweiligen Stern jeweils aus einem leicht anderen Blickwinkel. Je näher ein Stern an der Erde ist, desto mehr "wackelt" folglich seine Position. Ausreichend helle Sterne vorausgesetzt, ist die Auflösung von Gaia dabei wohl so fein, dass man die Riefen von Neil Amstrongs Schuhabdruck im Mondsand erkennen könnte, wenn man mit Gaia von der Erde aus zum Mond blickt. Um diese hohe Winkelauflösung zu bieten und zugleich regelmäßig das ganze Firmament abscannen zu können, verwendet Gaia ein Sensor-Array mit über einem Gigapixel!
Gaia als "Google Maps der Milchstraße"
Für Astronomen, die sich der Erforschung der Milchstraße widmen, liefert der Gaia-Sternenkatalog schon jetzt eine Vielzahl an Ideen für neue Forschungen. Nur ein aktuelles Beispiel ist, dass die bereits bekannten wiederholten "Kollisionen" einer Zwerggalaxie namens Saggitarius mit unserer Galaxie, der Milchstraße, genauer aufgeklärt werden konnten: Gaia half dabei, sowohl Sterne zu finden, die bei diesem Ergebnis aus Saggitarius als auch aus der Milchstraße herausgerissen wurden (meist passiert das, weil sich zwei Sterne nahe begegnen und dadurch ihre wechselseitige Bahn ändern), als auch nachzuweisen, dass in der Folge der Durchdringung der beiden Galaxien sich jeweils viele neue Sterne in der Milchstraße bildeten. Zugleich waren die Durchdringungen mit Saggitarius auch die einzigen Phasen der erhöhten Sternneubildung in der Milchstraße. Übrigens: Ein Stern, der gegen Ende der ersten Phase der erhöhten Sternneubildung entstanden ist, strahlt ganz hell auf unsere Erde.
Die Gaia-Mission liefert also so etwas wie das "Google Maps der Milchstraße", einen extrem reichhaltigen Datenkatalog für Astronomen. In der Öffentlichkeit ist die Mission leider dennoch kaum bekannt. Vielleicht ändert sich das in einigen Jahren, wenn bei den anstehenden Data Releases nicht nur noch genauere Koordinaten von noch mehr Sternen veröffentlicht werden, sondern auch noch gleich eine Kartierung der Planeten erfolgt, die um diese Sterne kreisen: Das beschriebene "Wackeln" der Sternbahn erfolgt ja nicht nur dadurch, dass die Erde um die Sonne kreist und folglich der Stern aus jeweils einem leicht anderen Blickwinkel zu sehen ist. Wenn der Stern auch selber Planeten hat, dann zerren diese mit ihrer Schwerkraft ebenfalls an diesem Planeten und erzeugen so entsprechende Unregelmäßigkeiten. Je leichter der Stern und je schwerer der Planet, desto größer sind die Abweichungen. Nach einer wissenschaftlichen Abschätzung könnte Gaia zehntausende extrasolare Planeten finden, sobald genügend Daten gesammelt sind und die entsprechenden Auswertungen erfolgen. Das wären mehr Planeten, als bisher überhaupt bekannt sind. Und das ist nur der "Beifang" einer ambitionierten und schon jetzt außerordentlich erfolgreichen Weltraummission.
Gaia-X auf der Erde
Gaia-X ist der Name einer neuen europäischen Initiative, eigene Cloud-Dienste zu entwickeln und zu implementieren. Diese ist aus der Erkenntnis geboren, dass die Nutzung von Cloud-Diensten für Unternehmen immer wichtiger wird, es aber zugleich kaum DSGVO-konforme Anbieter hierfür gibt. Die in diesem Bereich marktführenden US-Anbieter verbieten sich eigentlich schon aufgrund der umfangreichen Spionage-Zugriffsmöglichkeiten der NSA. Stattdessen auf russische oder chinesische Anbieter zu setzen, löst das Problem nicht, sondern ändert nur, wessen "Freunde" mitlesen.
Zu wünschen ist, dass Gaia-X ähnlich erfolgreich wird wie Gaia. Damit das gelingt, müssen die Zielkriterien klar definiert werden: Verfügbarkeit und Skalierbarkeit ähnlich gut wie beim Marktführer, mit konkurrenzfähigen Preisen, und zugleich stringentem Datenschutz. Etwas Sorgen bereitet mir diesbezüglich, dass das Dokument GAIA-X: Technical Architecture auf 50 Seiten eine Menge an politischen Statements (wie "Digitale Souveranität") und rechtlichen Herangehensweisen (wie Zertifizierungsprozessen oder Regeln zur Transparenz) enthält, aber keinerlei Details zu technischen Spezifikationen. Mit Ausnahme von Atos, die ihren Schwerpunkt in Frankreich haben, und den Deutschland-Abteilungen von NTT Global Data Centers und Google, werden ausschließlich deutsche Unternehmen und Forschungseinrichtungen als Autoren genannt - und zwar gleich ein ganzes Dutzend.
Eierlegende Wollmilchsau?
Entsprechend viele Fragen stellen sich: Wird mit Gaia-X mal wieder die "eierlegende Wollmilchsau" geplant, die dann erst mit Jahren Verzug fertig wird, wie man es von anderen europäischen (z.B. Galileo) oder deutschen IT-Großprojekten (elektronische Gesundheitskarte, Lkw-Maut, Flughafen-Entrauchungsanlage) her kennt? Und sind dann, wenn Gaia-X tatsächlich an den Start geht, auch Spanier oder Italiener bereit, dieses überhaupt als "europäische Cloud" anzuerkennen, wenn sie bei der Planung nicht dabei waren?
Wie gesagt, Digitale Souveranität ist ein für Europa extrem erstrebenswertes Ziel. Hoffen wir, dass Gaia-X dabei hilft, dieses Ziel zu erreichen.