Interview

Gigaset: "Smartphone-Segment entwickelt sich sehr positiv"

Gigaset setzt bei seinen Produkten auf "Made in Germany". Ursprüng­lich war das Unter­nehmen als Abspal­tung von Siemens vor allem für seine DECT-Tele­fone bekannt. Wo liegen künf­tige Schwer­punkte? Darüber spre­chen wir mit CEO Klaus Weßing.
Von Björn König

Klaus Weßing ist Vorstandsvorsitzender und CEO der Gigaset AG Klaus Weßing ist Vorstandsvorsitzender und CEO der Gigaset AG
Foto: Gigaset AG
Kommu­nika­tions­elek­tronik wird heute weit­gehend in Asien produ­ziert. Eine große Ausnahme ist die Gigaset AG. Das Unter­nehmen mit Produk­tion im west­fäli­schen Bocholt zählt in Deutsch­land zu den Markt­füh­rern, insbe­son­dere ist es für seine DECT-Tele­fone bekannt. Doch die ehema­lige Siemens-Tochter hat weit mehr zu bieten. Darüber spre­chen wir mit Klaus Weßing, Vorstands­vor­sit­zender und CEO der Gigaset AG.

Gigaset: Planungs­hori­zont ist sehr weit­läufig und stabil

Klaus Weßing ist Vorstandsvorsitzender und CEO der Gigaset AG Klaus Weßing ist Vorstandsvorsitzender und CEO der Gigaset AG
Foto: Gigaset AG
teltarif.de: Herr Weßing, Gigaset ist insbe­son­dere im Bereich DECT-Tele­fone die führende Marke in Deutsch­land. Den aktu­ellen wirt­schaft­lichen Krisen­zeiten können aber auch Sie sich nicht völlig entziehen. Welche aktu­ellen Heraus­for­derungen ergeben sich daher auch mit Blick auf Ihre Zulie­ferer?
Klaus Weßing: Die Corona-Pandemie und der damit dras­tisch gestie­gene Bedarf an z.B. Chips für die Elek­tronik- und Konsum­güter­indus­trie haben zu einer gene­rellen Verschär­fung bei der Mate­rial­beschaf­fung für alle Unter­nehmen geführt. Glück­licher­weise sind wir aber in einer sehr komfor­tablen Posi­tion. Unsere Bezie­hungen zu unseren Liefe­ranten exis­tieren teil­weise seit Jahr­zehnten. Die Zusam­men­arbeit war während jeder Krisen­situa­tion stets sehr konstruktiv und part­ner­schaft­lich. Zudem haben wir im Rahmen unseres Risi­koma­nage­ments schon vor Jahren häufig eine doppelte Absi­che­rung einge­baut, sind also selten auf nur einen Zulie­ferer ange­wiesen. Oftmals ist es aber auch gar nicht notwendig mehr als einen Partner zu haben, z.B. wenn der Mate­rial­bedarf bei gewissen Bauteilen nicht sonder­lich hoch ist. Auch unser Planungs­hori­zont ist sehr weit­läufig und stabil. All das hat dazu geführt, dass wir – anders als Wett­bewerber – in 2020 stets liefer­fähig waren und alle Produkte fertigen konnten. Aber natür­lich sehen wir für die Zukunft eine massive Kapa­zitäts­pro­ble­matik bei einigen Bauteilen, die für die gesamte Tech-Branche rele­vant sind. Ich vertraue hier jedoch auch weiterhin auf unsere starken Bezie­hungen zu unseren Zulie­ferern.

teltarif.de: In diesem Jahr hat die Haupt­ver­samm­lung der Gigaset AG beschlossen, den Firmen­sitz von München nach Bocholt zu verlegen. Man kann also davon ausgehen, dass die Arbeits­plätze in Bocholt insge­samt lang­fristig gesi­chert sind?
Klaus Weßing: Das ist richtig. Man muss das Thema aber richtig einordnen. Das hat nichts mit Arbeits­plätzen zu tun. Unser Ziel ist es, alle unsere Arbeits­plätze zu sichern, ganz egal ob in Bocholt, München, Wroclaw oder sonst wo auf der Welt. Die Verla­gerung der AG hat etwas mit dem Sitz der Vorstände zu tun. Bis 2015 waren die CFOs der Gigaset in München ange­sie­delt. Ab 2016 hat sich das nach Bocholt verla­gert. Wir haben also nur ein längst über­fäl­liges Thema ange­passt.

teltarif.de: "Made in Germany" ist für Gigaset ein zentraler Wachs­tums­motor. Warum halten Sie im Gegen­satz zu vielen anderen Herstel­lern von Kommu­nika­tions­elek­tronik am Wirt­schafts­standort Deutsch­land fest?
Klaus Weßing: "Made in Germany" hat sich, nachdem das Label ja ursprüng­lich als abschre­ckendes Instru­ment ins Leben gerufen wurde, zu einem welt­weit aner­kannten Indi­kator für Qualität und Nach­hal­tig­keit etabliert. Diese Themen haben uns während unserer langen Unter­neh­mens­geschichte stets begleitet. Während den letzten Jahren musste ich – zeit­gleich mit der Verla­gerung der Produk­tion zahl­rei­cher Unter­nehmen in Billig­lohn­länder – das Aufkommen einer zuneh­menden Wegwerf-Gesell­schaft erleben. Jedes Jahr ein neues Smart­phone. Der Drucker kaputt, kein Problem, ein Neuer kostet ja kaum was. Selbst Wasch­maschinen und andere weiße Ware wurde zum Wegwerf­pro­dukt, weil die Repa­ratur von kleinsten Verschleiß­teilen so aufwendig ist, dass dies kaum in Anspruch genommen wurde. Für mich ein klarer Irrweg. Erfreu­licher­weise stehen vor allem junge Menschen seit längerer Zeit gegen diese Verschwen­dung auf. Nach­hal­tig­keit und Umwelt­bewusst­sein müssen im Bereich Consumer Elec­tro­nics genauso selbst­ver­ständ­lich werden wie bei Nahrungs­mit­teln oder Klei­dung. Wir sehen uns hier in einer hervor­ragenden Posi­tion, um diesen Prozess zu treiben.

teltarif.de: Bei Privat­nut­zern zeigt sich schon seit langer Zeit eine Trend­wende in der Kommu­nika­tions­nut­zung. Vor allem Smart­phones und Messenger wie WhatsApp bilden hier zuneh­mend den Mittel­punkt. Gigaset hat sein Port­folio an Android-Smart­phones ausge­baut, kürz­lich kam sogar eine neue Serie hinzu. Wie entwi­ckelt sich dieses Segment?
Klaus Weßing: Unser Smart­phone-Segment entwi­ckelt sich sehr positiv. Nach einer gewissen Aufbau­phase, in der wir uns am Markt posi­tio­nieren mussten (ca. 2016-2018), reali­sierten wir 2018 den Game-Changer in unserer Stra­tegie. Mit dem GS185 präsen­tierten wir das erste Smart­phone "Made in Germany". Bis heute ein Allein­stel­lungs­merkmal. Es gibt keine Produ­zenten von Smart­phones in Deutsch­land oder Europa. Dies ist einer­seits Bestand­teil unserer Nach­hal­tig­keits-Stra­tegie (die ich oben bereits beschrieben habe), ande­rer­seits ermög­licht uns eine moderne, Indus­trie 4.0 basierte Produk­tion in Deutsch­land unsere B2B-Ambi­tionen zu inten­sivieren. Wir wissen, wo wir stehen. Unser mittel­fris­tiges Ziel ist es nicht mit den Bran­chen­größen in Konkur­renz zu treten. Wir wollen nach wie vor im Preis-Leis­tungs-Segment bleiben (für B2C) und im B2B-Segment hoch­indi­vidua­lisierte Produkte anbieten. Das bedeutet, dass Firmen­kunden bei unseren Geräten spezi­fische Anpas­sungen vornehmen lassen können. Farb­gestal­tung, Start­bild­schirm, Klin­gel­töne, Funk­tionen, etc. all das können wir für B2B-Zwecke ange­passt liefern. Wir sehen hier zusätz­liches großes Poten­zial für die Zukunft.

teltarif.de: Die meisten DSL-Router in deut­schen Haus­halten kommen vom Berliner Markt­führer AVM. Dieser wiederum setzt auf eine Verbin­dung mit eigenen DECT-Endge­räten. Wäre es vor diesem Hinter­grund für Gigaset nicht sinn­voll, stärker auf Router zu fokus­sieren um inte­grierte VoIP-Kommu­nika­tions­lösungen anbieten zu können?
Klaus Weßing: Ich kann Ihren Gedan­ken­gang gut nach­voll­ziehen. Sicher­lich wäre ein Router eine sinn­volle Ergän­zung unseres Eco-Systems. Unser Ziel ist es ja für den Kunden eine ganz­heit­liche, lücken­lose und mehr­wert­stif­tende Verbin­dung aller unserer Produkte zu schaffen und diese durch den zuneh­menden Einsatz von Soft­ware unter­ein­ander zu vernetzen. Die Rolle eines Routers im Haus­halt ist zentral und AVM hat hier in Deutsch­land eine starke Posi­tion. Durch unsere zentrale Posi­tion in ganz Europa müssten wir uns auf größerer Ebene mit dem Thema beschäf­tigen. In zahl­rei­chen anderen Ländern sehen wir ganz andere Situa­tionen, neue Anschluss­tech­niken hier, das schnelle Upsca­ling in einigen Ländern und so weiter. Wir müssten also wenn eine Lösung entwi­ckeln, die über die Grenzen von Deutsch­land hinaus erfolg­reich sein kann.

teltarif.de: Mit dem L800HX hatte Gigaset im vergan­genen Jahr erst­mals einen Smart Speaker mit Amazon Alexa auf den Markt gebracht. Dieser soll sich im Gegen­satz zu Mitbe­wer­bern vor allem durch die Fähig­keit der DECT-Tele­fonie auszeichnen. Welches Gewicht haben Smart Speaker in Zukunft für Sie?
Klaus Weßing: Ich bin mir sicher, dass Smart Speaker oder VPAs eine zuneh­mende Rolle in Privat­haus­halten spielen werden. Genauso aber auch im öffent­lichen Raum – z.B. an zentralen Infor­mati­ons­punkten in öffent­lichen Gebäuden, Behörden, etc. Sprache ist der natür­lichste und auch schnellste Weg zu inter­agieren. Je potenter die KI in den Smart Spea­kern wird, desto span­nender und intui­tiver wird der Einsatz für den Kunden werden. Für uns stand und steht Sprach­kom­muni­kation schon immer im Fokus unserer Arbeit. Deswegen ist ein Smart Speaker – auch mit Blick auf unsere Smart Home Lösungen und unser Eco-System - ein wich­tiges Port­folio-Element.

teltarif.de: Was sind aktuell Ihre Produkt­high­lights, die beson­ders von Kunden ange­fragt werden?
Klaus Weßing: Im Bereich Phones sehen wir großes Inter­esse an unseren Design­tele­fonen CL390 und unserem Senio­ren­telefon mit SOS-Funk­tion E560A PLUS. Im Segment Smart Home begeis­tert aktuell die neue Outdoor Über­wachungs­kamera, die sich unsere Kunden lange für ihre Systeme gewünscht haben. Bei Smart­phones erhält unser jüngst vorge­stelltes (5. Made in Germany) Smart­phone GS4 Best­noten von Presse und Kunden und im Profes­sional-Bereich stehen unsere neuen Single- und Multi­zellen N670 IP PRO und N870 IP PRO im Fokus des Kunden­inter­esses.

teltarif.de: Auf welche Märkte abseits von Deutsch­land legen Sie künftig Ihre Vertriebs­schwer­punkte?
Klaus Weßing: Die größten Absatz­märkte von Gigaset finden sich in Europa. Deutsch­land führt dieses Ranking nach Umsatz an, gefolgt von Frank­reich, Italien und den Nieder­landen. Damit liegt unser opera­tiver Fokus in Europa. Welt­weit sind unsere Produkte jedoch in rund 55 Ländern verfügbar. Die zuneh­mende Bedeu­tung des eCommerce wird uns hier neue Türen öffnen. Dadurch ist es uns möglich, z.B. auch wieder verstärkt in den USA aktiv zu werden. Je nachdem wie sich der Brexit entwi­ckelt, wird eCommerce auch hier eine große Rolle spielen. Aber selbst China spielt eine große Rolle für uns. So sind wir dort z.B. Markt­führer im Bereich DECT Tele­fone. Es wird also deut­lich, wir sind ein inter­natio­nales Unter­nehmen.

teltarif.de: Planen Sie aktuell spezi­elle Vertriebs­koope­rationen mit Tele­kom­muni­kati­ons­kon­zernen im In- oder Ausland?
Klaus Weßing: Zu Beginn dieses Jahres sind wir eine neue Part­ner­schaft mit der Swisscom einge­gangen. Hier geht es um den Vertrieb unserer Smart Home Produkte. Das war ein großer Erfolg für uns. Unser Vertrieb arbeitet fort­lau­fend an neuen Optionen und Koope­rationen. Das müssen nicht nur Tele­kom­muni­kati­ons­kon­zerne sein. Im Bereich Smart Care (einem Zweig unserer Smart Home Lösung) sehe ich zum Beispiel viel Poten­zial im Zusam­men­spiel mit der Gesund­heits­wirt­schaft und Pfle­geein­rich­tungen. Für unser Smart Home System wären auch Koope­rationen im Bereich Wohnungsbau möglich – der Kunde bekommt sein Sicher­heits­system gleich schlüs­sel­fertig mitge­lie­fert. Die Möglich­keiten sind breit gefä­chert.

teltarif.de: Wird Gigaset sein Produkt­port­folio auch abseits von klas­sischen Kommu­nika­tions­lösungen, z.B. im Bereich Enter­tain­ment oder Smart Home, weiter ausbauen?
Klaus Weßing: Ich möchte hier kein kate­gori­sches Nein setzen. In der Vergan­gen­heit haben wir schon Baby­phones, Blue­tooth-Head­sets und Tablets im Port­folio gehabt. Es gibt viele Optionen und Rich­tungen, in die man sich auch in Zukunft entwi­ckeln könnte. Aller­dings muss man dabei immer die Stel­lung des Wett­bewerbs, die Kosten für Entwick­lung und Marke­ting und nicht zuletzt den Mehr­wert für den Kunden im Blick haben. Wir sind aktuell sehr glück­lich mit der Entwick­lung, die unser Eco-System nimmt. Unsere vier Produkt­bereiche ergänzen sich unter­ein­ander immer stärker. Es entstehen Syner­gien und Mehr­wert für den Kunden. Darum geht es uns in erster Linie. Wenn wir zukünftig aber Optionen sehen, dass es Produkte gibt, die dieses System sinn­voll und mehr­wert­stif­tend für den Kunden ergänzen, werden wir hier aktiv werden.

teltarif.de: Gibt es im kommenden Jahr inno­vative Produkt­laun­ches, zu denen Sie vorab schon etwas sagen können?
Klaus Weßing: Der Tele­kom­muni­kati­ons­markt ist hart umkämpft und entwi­ckelt sich schnell. Sehen Sie es mir also bitte nach, wenn ich nicht zu viel verrate. Aber genau diese Dynamik macht den Markt auch so span­nend. Fast keine Branche ist so vom perma­nenten Wandel geprägt wie diese. Wir haben in diesem Umfeld seit Jahr­zehnten Konstanz bewiesen, weil wir inno­vativ sind. Das werden wir auch im kommenden Jahr unter Beweis stellen. Im B2C Segment sehe ich zwei große Themen: Einer­seits werden wir unser Eco-System um zentrale Elemente erwei­tern und damit in ganz neue Absatz­bereiche vorstoßen; ande­rer­seits werden wir auch klas­sische Themen wie die Tele­fonie auf ein ganz neues Level heben. Im B2B Segment werden wir unsere neuen Single- und Multi­zellen, die wir 2019 einge­führt haben, um weitere, wegwei­sende Soft­ware-Services erwei­tern und intensiv an der Produkt­ent­wick­lung im Rahmen einer jüngst geschlos­senen Part­ner­schaft arbeiten.

teltarif.de: Herr Weßing, vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person: Klaus Weßing
Klaus Weßing ist Vorstand und CEO der Gigaset AG. Er blickt auf eine lang­jäh­rige Manage­ment­kar­riere mit mehr als 30 Jahren Erfah­rung in der Kommu­nika­tions­branche zurück. Während seiner Lauf­bahn hielt er diverse opera­tive und stra­tegi­sche Funk­tionen inne. Im Mittel­punkt seiner Arbeit standen dabei stets neue Produkte und Produkt­lösungen, kunden­ori­entierte Prozesse sowie die Neuge­stal­tung von Unter­neh­mens­struk­turen. Während der vergan­genen Jahre war Weßing als COO der Gigaset für die tech­nische Exzel­lenz der Produkte sowie die nach­hal­tige Produkt­qua­lität verant­wort­lich und prägte maßgeb­lich die operativ schlanken und flexi­blen Wert­schöp­fungs­pro­zesse mit inte­grierter inter­natio­naler Vernet­zung.

Mehr zum Thema Interview