Interview

Zattoo im Gespräch: "Stellen uns gerne dem Wettbewerb"

Strea­ming-Dienste zählen neben Sat-Empfang und DVB-T2 voraus­sicht­lich zu den Profi­teuren, wenn schon bald das Neben­kos­ten­pri­vileg im Kabel­netz endgültig fällt. Darüber spre­chen wir mit Zattoo-CCO Jörg Meyer.
Von Björn König

Mit Wegfall der Umla­gefä­hig­keit des Kabel­anschlusses auf die Miet­neben­kosten kommt der TV-Markt wieder in Bewe­gung. Viele der Millionen Wohnungs­mieter dürften sich deshalb bald nach für sie güns­tigeren oder attrak­tiveren Optionen umschauen.

Profi­tieren könnten davon mitunter auch Strea­ming-Dienste. Darüber spre­chen wir im Inter­view mit Zattoo-CCO Jörg Meyer.

Zattoo-CCO Jörg Meyer Zattoo-CCO Jörg Meyer
Foto: Zattoo/Nadine Stenzel
teltarif.de: Herr Meyer, das Ende des Neben­kos­ten­pri­vilegs ist poli­tisch beschlos­sene Sache. Doch warum ist ausge­rechnet dies über­haupt ein wich­tiges Thema für Zattoo als OTT-Platt­form? Schließ­lich könnten betrof­fene Kunden auch zu kosten­freien Alter­nativen wie Satel­liten­fern­sehen oder IPTV-Ange­boten ihres DSL-Anbie­ters wech­seln.
Jörg Meyer: Zum ersten Mal müssen mehr als 12 Millionen Haus­halte in Deutsch­land die Entschei­dung treffen, ob sie ihr Fern­seh­pro­gramm nach wie vor über ihren Kabel­anschluss empfangen wollen oder auf alter­native TV-Empfangs­wege umsteigen. Ab dem 1. Juli 2024 wird dies eine Entschei­dung sein, die jeder dieser Haus­halte aktiv fällen muss. Viele Haus­halte werden sich über aktu­elle TV-Ange­bote infor­mieren und dabei fest­stellen, dass IPTV- und TV-Strea­ming-Dienste deut­lich mehr Funk­tio­nali­täten und Komfort bieten, als ihr bishe­riger einfa­cher Kabel­anschluss oder Satel­liten­fern­sehen. Die Vorteile von IPTV und TV-Strea­ming liegen dabei nicht nur in den Möglich­keiten des zeit­ver­setzten Fern­sehens und der Möglich­keit zu Hause auf mobilen Endge­räten oder Connected-TVs zu schauen, sondern auch im Umfang und der Bild­qua­lität der ange­botenen Sender und Inhalte. TV-Strea­ming-Anbieter wie Zattoo genauso wie IPTV-Anbieter standen schon immer vor der Heraus­for­derung, poten­zielle Nutzer von den Vorteilen gegen­über anderen Empfangs­arten zu über­zeugen. Mit dem Wegfall der Kabel-TV-Umlage bietet sich die Gele­gen­heit fast ein Drittel der deut­schen TV-Haus­halte über die Vorzüge von TV-Strea­ming und IPTV zu infor­mieren. Wir sehen dies als Chance für die gesamte TV-Branche, nicht zuletzt auch für die Fern­seh­sender: Je mehr die Zuschauer den Komfort von TV-Strea­ming und IPTV verstehen und nutzen, umso stärker wird Fern­sehen den verän­derten Nutzungs­erwar­tungen durch On-Demand-Platt­formen gerecht – und um so länger werden Zuschauer dem Fern­sehen treu bleiben.

teltarif.de: Kommt die Abschaf­fung des Neben­kos­ten­pri­vilegs aus Ihrer Sicht zu spät? Jörg Meyer: Nein. Darüber, ob die Umla­gefä­hig­keit noch zeit­gemäß ist, wurde in der Branche in den letzten Jahren viel disku­tiert. Der Gesetz­geber hat mit der Geset­zes­ände­rung jetzt eine Antwort auf diese Frage gegeben. Deshalb spre­chen wir bei Zattoo auch nicht länger von einem "Neben­kos­ten­pri­vileg", sondern von der "Umla­gefä­hig­keit der Kosten für Kabel-TV". Uns ist bewusst, dass die Umla­gefä­hig­keit Grund­lage für viele lang­jäh­rige geschäft­liche Bezie­hungen ist, insbe­sondere zwischen Netz­betrei­bern und der Wohnungs­wirt­schaft. Zudem ist sie ein wesent­licher Bestand­teil der Wirt­schaft­lich­keits­ana­lyse vieler Netz­betreiber für in den letzten Jahren getrof­fene Inves­titi­ons­ent­schei­dungen. Daher haben wir Verständnis für die aus Verbrau­cher­sicht relativ lange Über­gangs­frist bis 2024. Aus unserem eigenen B2B-Geschäft wissen wir, vor welchen immensen Heraus­for­derungen gerade klei­nere Netz­betreiber und Anbieter von Kabel-TV aufgrund des Wegfalls der Umla­gefä­hig­keit stehen. Bestehende Geschäfts­modelle brechen auf und es müssen neue Refi­nan­zie­rungs­modelle gefunden werden. Mit dem großen struk­turellen Unter­schied, dass in vielen Fällen die Kunden­bezie­hung zum TV-Haus­halt von der Wohnungs­wirt­schaft auf den Netz­betreiber über­gehen wird. Sich den daraus erge­benden Heraus­for­derungen zu stellen, bedarf Zeit und einer entspre­chenden Über­gangs­frist.

teltarif.de: Beob­achten Sie vor dem Hinter­grund der aktu­ellen Entwick­lung bereits Kunden­wachstum?
Jörg Meyer: Wir gehen davon aus, dass viele Haus­halte in Deutsch­land von der neuen Geset­zes­rege­lung noch nicht gehört haben. Das wird sicher­lich auch erst einmal so bleiben. TV-Anbieter, Netz­betreiber und Wohnungs­wirt­schaft müssen sich jetzt bis 2024 der Aufgabe stellen, betrof­fene Haus­halte über diese Neure­gelung zu infor­mieren. Von daher, nein. Auf unser Nutzer­wachstum hat das bisher keine Auswir­kungen.

teltarif.de: Wie gestaltet sich die Situa­tion für Kabel­netz­betreiber in Ihrem Heimat­markt Schweiz und wie hoch ist dort die Nutzung von OTT-Diensten?
Jörg Meyer: Aktu­elle Zahlen sowie eigene Studien zeigen, dass in der Schweiz die Akzep­tanz und die Verbrei­tung von Inter­net­fern­sehen viel höher ist als in Deutsch­land. Laut unserer Studie, die wir jedes Jahr mit dem Markt­for­schungs­unter­nehmen Kantar durch­führen, nutzt bereits mehr als die Hälfte der Befragten IPTV- oder TV-Strea­ming-Ange­bote. Letz­tere werden von mehr als 25 Prozent genutzt – Tendenz stei­gend. Konkret schätzen wir, dass in der Schweiz rund 5 Prozent der TV-Haus­halte einen kosten­pflich­tigen TV-Strea­ming-Dienst wie Zattoo nutzen. Das mag in Teilen auch daran liegen, dass in der Schweiz, im Gegen­satz zu Deutsch­land, betrof­fene Haus­halte schon seit einigen Jahren ihren Kabel­anschluss jeder­zeit bei den Vermie­tenden kündigen können.

teltarif.de: Sicher­lich wird insbe­sondere Voda­fone nicht Millionen poten­zielle TV-Kunden kommen­tarlos ziehen lassen. Vorstellbar wäre zum Beispiel, dass die Düssel­dorfer selbst attrak­tivere TV-Pakete schnüren und damit sogar Kunden der OTT-Konkur­renz abwerben. Wären Sie auf eine solche Entwick­lung vorbe­reitet und könnten mit entspre­chenden Ange­boten reagieren?
Jörg Meyer: Wir gehen fest davon aus, dass der Wegfall der Umla­gefä­hig­keit zu einem starken Wachstum von IPTV- und TV-Strea­ming-Abon­nenten führen wird. Ebenso fest rechnen wir damit, dass auch die großen IPTV-Anbieter ihre bereits bestehenden Akti­vitäten im Bereich TV-Strea­ming weiter inten­sivieren werden. In einem so stark wach­senden Markt­seg­ment stellen wir uns gerne diesem Wett­bewerb. Zu der Frage, ob dies Anpas­sungen unserer Ange­bots­struktur bedarf, werden wir uns in den nächsten Monaten ein Urteil bilden und dann gewohnt flexibel handeln.

teltarif.de: Klei­nere Kabel­netz­betreiber setzten schon jetzt z.B. auf IPTV-Ange­bote mit Koope­rati­ons­part­nern. Welche Auswir­kungen könnte ein Wegfall des Neben­kos­ten­pri­vilegs auch dort haben?
Jörg Meyer: Unab­hängig vom Wegfall der Umla­gefä­hig­keit kann man sagen, dass der Betrieb und die laufende Weiter­ent­wick­lung einer wett­bewerbs­fähigen IPTV-Platt­form zuneh­mend komplexer werden. Die Komple­xität wird dabei unter anderem getrieben durch die vermehrte Verknüp­fung von live und zeit­ver­setztem Fern­sehen, von On-Demand-Formaten und der Verfüg­bar­keit auf mobilen Endge­räten und Connected-TVs. Aber auch von der Unter­stüt­zung der viel­fäl­tigen Anfor­derungen der Inhalte-Partner bis hin zur Ermög­lichung neuer Geschäfts­modelle im Bereich werbe­finan­zierter Sender. Auch heute muss sich jeder Netz­betreiber kritisch mit der Frage beschäf­tigen, ob er ein eigenes TV-Produkt anbieten möchte, ob er die dafür notwen­dige Platt­form selber bauen oder ob er Teile der Entwick­lung oder gar den ganzen TV-Service outsourcen möchte. Zu den unter­schied­lichen Hand­lungs­optionen tauschen wir uns quasi täglich mit unseren B2B-Kunden aus. Grund­sätz­lich sehen wir die Chance, dass IPTV in den nächsten Jahren noch einmal richtig an Fahrt gewinnt. Welche Hand­lungs­option für die einzelnen Netz­betreiber die zu präfe­rie­rende ist, hängt nicht zuletzt von stra­tegi­schen Über­legungen des Netz­betrei­bers aber auch seiner Größe ab. Wir gehen derzeit davon aus, dass sich sowohl die Anzahl neuer IPTV-Ange­bote als auch die Anzahl von Distri­buti­ons­part­ner­schaften zwischen Netz­betreiber und TV-Anbie­tern in den nächsten Jahren erhöhen wird.

teltarif.de: Verfügen Sie über aktu­elle Zahlen darüber, wie viele TV-Kabel­kunden schon jetzt zusätz­lich Zattoo nutzen?
Jörg Meyer: Der mit Abstand größte Teil der Zattoo-Abon­nenten gibt an, Zattoo als einzigen Service für den TV-Empfang zu nutzen. Wie viele von diesen Abon­nenten einen Basis Kabel­anschluss über die Neben­kosten in ihrem Miet­ver­trag vergüten, de-facto aber nicht nutzen, ist uns nicht bekannt.

teltarif.de: Ein wich­tiges Ziel für OTT-Dienste ist, dass der Bedien­kom­fort sich zum Beispiel mit Blick auf die Umschalt­zeiten nicht von Sat oder Kabel-TV unter­scheidet. Vor diesem Hinter­grund hat Ihr Mitbe­werber waipu.tv kürz­lich einen eigenen Strea­ming-Stick auf den Markt gebracht, der die Usabi­lity für TV-Zuschauer verbes­sert. Arbeiten Sie an einem vergleich­baren Produkt?
Jörg Meyer: Für das Zattoo Endkun­den­geschäft arbeiten wir nicht an einer eigenen Hard­ware. Wir sind davon über­zeugt, dass der Bedien­kom­fort auf bereits vorhan­denen Geräten des Nutzers, insbe­sondere Connected-TVs und Strea­ming Sticks, dem Komfort auf einer eigenen Hard­ware in nichts nach­stehen muss. Anders ist dies in der Zusam­men­arbeit mit unseren B2B-Kunden. Je nach stra­tegi­schen Erwä­gungen und dem jewei­ligen Markt­umfeld gehört eine von unserem Kunden heraus­gege­bene IPTV-Box zu unserem Service­angebot.

teltarif.de: Welche weiteren Maßnahmen stehen bei Ihnen im Fokus, um ehema­ligen Kabel­kunden das OTT-Angebot schmack­haft zu machen?
Jörg Meyer: Mit Blick auf das Zattoo Endkun­den­geschäft ändert sich in dieser Hinsicht nicht viel an einem unserer Kern-Aufga­ben­schwer­punkte der letzten Jahre: Wir wollen, dass möglichst viele Endkunden TV-Strea­ming- und IPTV-Dienste wie Zattoo, als die bessere Alter­native zu klas­sischem Satel­liten- und einfa­chem Kabel­fern­sehen erkennen. Natür­lich arbeiten wir laufend daran, das Angebot an Inhalten, rele­vante Funk­tionen und den Bedien­kom­fort zu verbes­sern. Im Kern geht es aber darum, dass die Endkunden die Vorteile für sich erkennen und in ihrer Nutzung erfahren können. Dazu gehören eine einfache Instal­lation, keine langen Vertrags­lauf­zeiten und zusätz­liche Receiver sowie Fern­sehen einfach schauen, wo und wann man will.

teltarif.de: Das Thema Latenz bei Live-Sport­über­tra­gungen hält sicher­lich viele Kabel­kunden nach wie vor davon ab, zu IPTV oder OTT zu wech­seln. Wie ist dies­bezüg­lich bei Zattoo der Stand der Dinge?
Jörg Meyer: Live-Sport-Events sind nach wie vor ein großer Wachs­tums­treiber für uns. Wir werden aller­dings schon lange nicht mehr nur ausschließ­lich zu diesem Zweck genutzt. Für immer mehr Nutzer sind wir bereits eine voll­umfäng­liche TV-Alter­native zu Kabel oder Satellit. TV-Strea­ming bringt im Gegen­satz zum Empfang via einfa­chem Kabel- oder Satel­liten­fern­sehen viele Vorteile mit sich, die beson­ders Kunden zu schätzen wissen, die viel Wert auf ein flexi­bles und indi­vidu­elles Nutzer­erlebnis legen. Und die Latenz bei Zattoo wird immer geringer. So haben wir zur EM in diesem Jahr die Zeit­ver­zöge­rung auf den meisten Geräten auf gerade einmal 10 Sekunden redu­ziert. Damit liegen wir laut Tests nur wenige Sekunden hinter dem Kabel-Signal. Mit den uns zur Verfü­gung stehenden tech­nischen Möglich­keiten arbeiten wir daran, diese Latenz noch weiter zu redu­zieren.

teltarif.de: Herr Meyer, vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person: Jörg Meyer
Seit September 2021 ist Jörg Meyer Chief Commer­cial Officer bei Zattoo. In dieser Rolle ist er sowohl für die Weiter­ent­wick­lung des Geschäfts­berei­ches mit Endkunden (Direct-to-Consumer) als auch mit Geschäfts­kunden (B2B) verant­wort­lich. Bereits seit 2010 gehört Jörg zum Manage­ment-Team von Zattoo, wo sein bishe­riger Fokus auf der erfolg­rei­chen Weiter­ent­wick­lung des Endkun­den­geschäfts hin zu einer abofi­nan­zierten Alter­native zu klas­sischem Fern­sehen lag. Jörg hat Inter­natio­nale Betriebs­wirt­schafts­lehre in Nürn­berg studiert und war bei der Boston Consul­ting Group tätig.

Über die Pläne von Disco­very für den deut­schen TV-Markt spra­chen wir in einem weiteren Inter­view mit Tele 5-Geschäfts­führer Alberto Horta.

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