Weltwirtschaft

Editorial: Warum werden Chips knapp?

Derzeit steigen die Preise für viele Elek­tronik­pro­dukte. Macht es Sinn, auf wieder sinkende Preise zu warten? Oder dreht sich die Preis­spi­rale sogar noch weiter nach oben?
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Nvidia Geforce GTX Editorial: Warum werden Chips knapp?
Es ist der übliche kapi­talis­tische Schwei­nezy­klus: Mal gibt es von einem Gut zu viel und die Preise gehen in den Keller. Einige Zeit später dreht es sich dann um: Das Gut wird knapp und die Preise explo­dieren. Soweit dabei nur der Preis eines Nahrungs­mit­tels steigt, das man recht leicht durch ein anderes ersetzen kann - zum Beispiel Hühn­chen und Rind­fleisch statt Schwei­nefleisch oder gene­rell mehr Gemüse statt Fleisch - ist das noch harmlos. Proble­matisch wird es hingegen, wenn das knappe Gut eine Grund­kom­ponente für viele andere Produkte ist. Dann kommt am Ende sogar die Welt­wirt­schaft in Schief­lage. Bekannte Beispiele waren der Ölpreis­schock 1973 oder die Finanz­krise 2008/2009, während der vielen Firmen das Geld ausging.

Aktuell klagen mehrere Bran­chen, insbe­son­dere die Auto­mobil­indus­trie und die Tele­kom­muni­kation (Smart­phones, Router etc.), über einen Mangel an Chips. Daran ist zum einen der genannte Schwei­nezy­klus schuld: Bis vor kurzem gab es noch Über­kapa­zitäten bei der Chip­fer­tigung, die Preise waren im Keller. Der Bau neuer Chip­fabriken lohnte sich schlicht und einfach nicht, denn die nötigen Inves­titionen liegen im Bereich vieler, vieler Milli­arden pro Fabrik. Doch kommt die Corona-Pandemie als Verstärker hinzu: Zeit­weilig fiel die Chip­pro­duk­tion in Asien ganz aus, später gab es immer wieder Verzö­gerungen, weil Grund­stoffe fehlten oder Liefer­ketten durch­ein­ander­gerieten. Zugleich führen Lock­down und Heim­arbeit dazu, dass private Elek­tronik schneller ersetzt wird als üblich: Wenn man schon nicht ins Kino gehen kann, dann kaufen sich viele statt­dessen einen großen Flach­bild­schirm, um zumin­dest etwas Kino­fee­ling aufkommen zu lassen.

Auch der ewige Kampf von AMD gegen Intel um den schnellsten Prozessor hinter­lässt seine Spuren am Chip­markt: AMD, die mit den Epyc-Prozes­soren endlich wieder auf Augen­höhe mit Intels Core-Prozes­soren konkur­rieren können, hat erheb­liche Markt­anteile zurück­gewonnen, die Intel folg­lich abgeben musste. Da AMD seine Prozes­soren aber bei Auftrags­fer­tigern produ­zieren lässt, während Intel dafür eigene Chip­werken ("Fabs") betreibt, verschärft das noch den Rück­stau bei den Auftrags­fer­tigern.

Lang­fris­tige Verträge kosten Geld

Nvidia Geforce GTX Editorial: Warum werden Chips knapp?
Glück­lich darf sich schätzen, wer lang­fris­tige Liefer­ver­träge mit den Auftrags­fer­tigern hat und seinen Bedarf auch richtig einge­schätzt hat. Denn was nutzt es, wenn ein Auto­her­steller zwar genü­gend Prozes­soren für die Motor­steue­rung gelie­fert bekommt, aber Display-Treiber für die immer beliebter werdenden Info­tain­ment-Systeme fehlen? Am Ende reicht ein fehlender Chip, damit ein Auto nicht ausge­lie­fert werden kann.

Zudem kosten lang­fris­tige Liefer­ver­pflich­tungen auch lang­fristig Geld. Die Chip­fer­tigung ist ein hoch­kom­plexer Prozess. Der uner­war­tete Ausfall einer einzelnen Kompo­nente kann eine Ferti­gungs­linie schon mal für Wochen lahm­legen. Schlimmer noch sind schlei­chende Fehler, die die Ausbeute (den Anteil der korrekt funk­tio­nie­renden Chips) drücken, sich aber erst nach wochen­langer Detek­tiv­arbeit loka­lisieren und beheben lassen. Entspre­chend zurück­hal­tend sind die Auftrags­fer­tiger mit Liefer­garan­tien und verlangen für diese im Gegenzug hohe Aufpreise.

Kauf verschieben!?

Die Folgen des Chip­man­gels sind bereits für Verbrau­cher spürbar: Viele Fern­seher, deren Preis ich geprüft habe, kosten heute mehr als selbst vor Weih­nachten. Norma­ler­weise ist der Preis­trend ja gerade bei Heim­elek­tronik anders herum, dass die Preise ab dem neuen Jahr in den Keller gehen und die Rest­bestände der Vorjah­res­geräte günstig abver­kauft werden.

Lohnt es sich daher, die Anschaf­fung neuer Elek­tronik zu verschieben, in der Hoff­nung, dass die Preise sich in ein paar Monaten wieder norma­lisieren werden? Nun, in den west­lichen Welt nähert sich die Corona-Krise dank der Impfungen so langsam dem Ende. Ab Herbst dürfte bei vielen Bürgern das so schmerz­lich vermisste Reisen wieder höhere Prio­rität haben als die Anschaf­fung neuer Flach­bild­schirme. Ande­rer­seits haben Schwel­len­länder bisher kaum Impf­stoff erhalten, zugleich aber wegen der anste­cken­deren Muta­tionen immer mehr Probleme mit Covid. Dort ist ein Ende der Lock­downs noch lange nicht in Sicht.

Der Bedarf an Heim­elek­tronik wird daher noch das ganze Jahr über erhöht bleiben. Wer jetzt eine Anschaf­fung verschiebt, in der Hoff­nung, dass sie in einigen Monaten güns­tiger wird, könnte sich daher am Ende ärgern, wenn die Preise statt­dessen noch weiter steigen und vor allem güns­tige Produkte plötz­lich ganz ausver­kauft sind.

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