Die Milliarden-Frage

Editorial: Ein Jahrzehnt vergangen, Entscheidung vertagt

Wenn der Amtsschimmel wiehert und wiehert und wiehert
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Die Zeit verrinnt während der Amtsschimmel wiehert Die Zeit verrinnt, während der Amtsschimmel wiehert
Foto: dpa
Ende März 2001 hatte die zwischenzeitlich in Bundesnetzagentur (kurz BNetzA) umgetaufte Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (kurz RegTP) entschieden, das monatliche Entgelt für die Nutzung der Teilnehmeranschlussleitung der Deutschen Telekom durch die Konkurrenz um eine Mark von 25,40 auf DM 24,40 (12,48 Euro) abzusenken. Der Telekom-Konkurrenz war die Senkung nicht hoch genug bzw. der Preis nicht niedrig genug, und so klagten mehrere Unternehmen gegen den damaligen Bescheid mit dem Ziel, ihn aufheben zu lassen. Der Klage dreier Konkurrenten ist in der letzten Woche nun vom Bundesverwaltungsgericht stattgegeben worden.

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Was stört, ist die lange Verfahrensdauer von über 10 Jahren. Die TAL ist für alternative DSL-Anbieter die zentrale Vorleistung, ohne die sie ihr Angebot nicht erbringen können. Zugleich sind die regulierten Entgelte für den Zugang zur TAL (monatliche Miete zuzüglich Kosten für Aufschaltung, Umschaltung oder Abschaltung) einer der größten Kostenblöcke, wenn nicht sogar der größte Kostenblock überhaupt von alternativen DSL-Anbietern. Rechtssicherheit bezüglich des Zugangs zur TAL und deren Kosten sind also essentiell. Wenn nun 10 Jahre, nachdem sie ergangen sind, Bescheide aufgehoben und neu ausgestellt werden, ist das das Gegenteil von Rechtssicherheit!

Aus den im Internet veröffentlichten Details zum Verfahrensgang ergibt sich, dass die Klagen seit 2001 am Verwaltungsgericht Köln anhängig sind. Dieses ist für die in Bonn sitzende Bundesnetzagentur zuständig. Erst Anfang 2006 fasst das VG Köln jedoch den Beschluss, die Sache dem Europäischen Gerichtshof (kurz EuGH) vorzulegen, da es zahlreiche Fragen zur Auslegung der zugrundeliegenden EU-Telekommunikations-Richtlinien hatte. Fast ein halbes Jahrzehnt hatten die Kölner also zunächst selber versucht, die EU-Paragraphen auszulegen, bevor sie schließlich aufgaben und sich Hilfe von den Kollegen vom EuGH holten.

Mitte 2007 liegen die Schlussanträge des Generalanwalts vor. Im Frühjahr 2008 folgt das Urteil des EuGH, laut Tenor übrigens das erste seiner Art zur Entgelt-Regulierung. Es enthält zahlreiche Leitsätze für die Entgeltfestsetzung durch die Regulierungsbehörden. Das VG Köln lässt sich daraufhin nochmals 16 Monate Zeit, bis das Urteil folgt, das den Bescheid der Bundesnetzagentur aufhebt.

Das Kölner Urteil hätte das letzte in dem Verfahren sein können, da das VG Köln die Revision nicht zugelassen hatte. Dieses ist vernünftig, da das VG Köln dem Spruch des EuGH folgt, an den auch die Richter am nationalen Revisionsgericht, dem Bundesverwaltungsgericht, gebunden sind. Jedoch legten Bundesnetzagentur und Deutsche Telekom gegen die Nichtzulassung der Revision Beschwerde ein, die Mitte 2010 vom Bundesverwaltungsgericht zumindest teilweise positiv beschieden wurde. Das folgende Verfahren am Bundesverwaltungsgericht endete jedoch nun mit der oben genannten abermaligen Niederlage der Bundesnetzagentur und der Bestätigung des Urteils der Vorinstanz.

Zurück auf Anfang!

Wer nun glaubt, dass das Ergebnis sein wird, dass die TAL-Entgelte rückwirkend gesenkt werden und die Deutsche Telekom entsprechend zu viel bezahlte Millionenbeträge an die Konkurrenz zurück zahlen muss, der täuscht sich wahrscheinlich. Denn in den oben zitierten Urteilen von VG Köln und BVerwG wird mitnichten ein niedrigeres Entgelt genannt, das statt der genannten 24,40 Mark festgesetzt werden sollte. Es steht noch nicht einmal in den Urteilen, dass das Entgelt falsch ist. Vielmehr wird lediglich festgestellt, dass die Bundesnetzagentur in ihren Bescheiden nicht ausführlich genug begründet, warum sie die Berechnungsmethode gewählt hat, die sie gewählt hat.

Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird die Bundesnetzagentur in den nächsten Monaten den aufgehobenen Bescheid durch einen von der Sache her gleich lautenden Bescheid ersetzen, der aber ausführlicher begründet ist. Insbesondere die Höhe der monatlichen Miete und die für Schaltungen zu zahlenden Entgelt bleiben in diesem Fall gleich! Mit einiger Wahrscheinlichkeit wird den Konkurrenten die neue alte Entgelthöhe genauso wenig schmecken wie 2001, und so werden sie mit einiger Wahrscheinlichkeit erneut klagen.

Und dann werden die Kölner Richter erneut die Gelegenheit haben, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob die Bundesnetzagentur, ähh, RegTP, damals, 2001, richtig gerechnet hat. Nur, dass sie ein paar mehr nachgeschobene Begründungen aus dem Jahr 2011 oder 2012 vorliegen haben, warum die Rechnung damals, 2001, richtig gewesen sein soll. Wahrscheinlich wird in der zusätzlichen Begründung kaum etwas stehen, was nicht eh schon als Schriftsatz in dem Verfahren eingereicht oder mündlich vorgetragen wurde. Der zentrale Knackpunkt, der es den Richtern erlaubt, ein klares "Ja, die Entgelte sind korrekt festgesetzt" oder "Nein, sie sind zu hoch" in ihr Urteil zu schreiben, dürfte nicht dabei sein.

So ist es nicht unwahrscheinlich, dass auch das erneute Entgeltfestsetzungsverfahren die eine oder andere Extrarunde zu Verfahrensfragen dreht, in denen sich Verwaltungsrichter nunmal besser auskennen als in betriebswirtschaftlichen Dingen. Bis die Konkurrenz nach eineinhalb Jahrzehnten vielleicht entnervt aufgibt und die Klagen zurücknimmt. Oder sich erneut eine Ausfahrt findet, die es den Richtern ermöglicht, ein formaljuristisch korrektes Urteil zu schreiben, ohne sich zur Kernfrage der Entgelthöhe äußern zu müssen. Danach könnte dann gar die dritte Runde folgen.

Nicht hinnehmbare Gesamtdauer!

Die 2001 verwendete strittige Berechnungsmethode für die TAL-Miete wurde auch in den späteren Jahren jeweils zur Neufestsetzung der TAL-Miete herangezogen: Als Basis dient dabei die Frage: "Was würde es heute kosten, ein Kupfer-Festnetz aufzubauen?" Aus den hierfür nötigen Investitionskosten wird dann die monatliche Miete errechnet. Die Alternative wäre, die tatsächlichen historischen Kosten für den überwiegend vor Jahrzehnten erfolgten Aufbau des Festnetzes als Basis zu wählen, seitdem gezahlte Zinsen und Preissteigerungen zuzurechnen, zugleich aber seitdem erfolgte Amortisationen abzuziehen. Da die Telekom ihr Festnetz bereits seit Jahrzehnten betreibt und entsprechend lange Grundgebühren verdient, ist das Festnetz heute zu großen Teilen abbezahlt. Folglich würde mit der alternativen Berechnungsmethode ein deutlich geringerer Restwert verbleiben, der auf die TAL-Miete umzulegen ist, und folglich auch eine geringere Miete.

Die Telekom verdient mit der TAL-Miete geschätzt über eine Milliarde Euro im Jahr. Die Gretchenfrage "Neuwert" oder "Wiederbeschaffungswert" bedeutet somit einen Unterschied von mehreren hundert Millionen Euro jährlich. Dass sie über zehn Jahre nach der ursprünglichen Kostenfestsetzung nicht endgültig entschieden ist, wirft leider kein gutes Bild auf die deutsche Verwaltungsgerichtsbarkeit. Griechenland wird zu Recht vorgeworfen, dass es nicht sein kann, dass das Eintreiben fälliger Steuerschulden ein Jahrzehnt und mehr dauert. Ebenso wenig kann es aber sein, dass für das Wettbewerbsverhältnis zwischen Ex-Monopolisten und Konkurrenten extrem wichtige Entscheidungen über ein Jahrzehnt in der Schwebe hängen!

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