Editorial: Öffentliche Desinformation
Transparenz bei Twitter
Foto: twitter.com
Propaganda gibt es, seitdem sich die Menschen in Staaten organisieren.
Die grundsätzlichen Ziele sind dabei im Laufe der Jahrtausende stets
gleich geblieben: Es
geht immer darum, den eigenen Staat und die eigene Regierung besonders
gut, oder fremde Regierungen und fremde Staaten besonders schlecht
darzustellen. So soll die eigene Macht zumindest erhalten, möglichst
sogar ausgebaut, werden und zugleich der Einflussbereich konkurrierender
Herrscher reduziert werden. Aber nicht nur Regierungen betreiben
Propaganda: Seit der Entstehung großer Unternehmen und Konzerne in
der Neuzeit beteiligen sich diese ebenfalls nach Kräften an der
inoffiziellen Informationsverbreitung.
Überwiegend wird Propaganda über Mund-zu-Mund-Nachrichten verteilt. Später lässt sich dann nicht mehr feststellen, wer ein Gerücht zuerst gestreut hat. Aber auch die Massenmedien werden für gezielte Propaganda genutzt. Manchmal erscheint sie sogar als Buch. Manche Propaganda-Bücher sind heute verboten oder geächtet, wie Hitlers "Mein Kampf". Andere, wie Caesars "De bello Gallico", werden sogar im Schulunterricht gelesen, auch, wenn letzteres "von starken Eigeninteressen des Verfassers geprägt" ist, wie die Wikipedia vornehm zurückhaltend anmerkt.
Natürlich werden auch digitale soziale Netzwerke für Propaganda genutzt, seitdem es diese Netzwerke gibt. Für die Netzwerke ist dieses ein zweischneidiges Schwert: Auf der einen Seite sorgen die Propagandisten für einen steten Nachrichtenstrom. Auf der anderen Seite droht den Netzwerken der Verlust des Nutzerinteresses, wenn ruchbar wird, dass sie letztendlich nur ein Propaganda-Kanal sind. Und so sind Facebook, Twitter und Co. seit Jahr und Tag damit beschäftigt, zumindest die auffälligsten Regierungs-Claquere, fremdes-Netz-Beschmutzer und Bots zu löschen.
Transparenz bei Twitter
Transparenz bei Twitter
Foto: twitter.com
Dankenswerterweise veröffentlicht Twitter in regelmäßigen Abständen
Details zur Arbeit seines Teams zur Aufdeckung von
Regierungs-IO
("Informations Operations"). Persönlich finde ich es aber etwas
auffällig, dass in den letzten zwei Jahren lediglich 17 von 195
anerkannten Staaten weltweit auftauchen. Twitters Favoriten bei
der Aushebung staatlicher Desinformations-Netzwerke sind dabei
Russland mit vier Nennungen in den letzten zwei Jahren, sowie
China, Iran und Saudi-Arabien mit je drei Nennungen. Ägypten, Spanien
und Venezuela wurden doppelt des Betriebs einschlägiger Netzwerke
überführt, und Kuba, Ecuador, Ghana, Honduras, Indonesien, Nigeria,
Serbien, Thailand, Türkei und die Vereinigten Arabischen Emirate je
einmal.
Ich habe keinen Zweifel daran, dass die genannten Staaten zu Recht auf der Liste stehen: Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten sind beispielsweise bekannt für Propaganda gegen Katar und Iran, und zumindest letzterer hält dann auch mit denselben Methoden dagegen. Und wenn immer es in den Nachrichten um Russland geht, dann tauchen in den Foren darunter en masse Putin-Freunde auf, die sehr genau erklären, warum nun Russland so reagieren musste oder Nawalny gar nicht vergiftet wurde und sowieso ein schlimmer Rassist ist. Diese "Putin-Trolle" stehen auch im Verdacht, sich kräftig pro Trump in die letzte US-Wahl eingemischt zu haben.
Die viel interessantere Frage ist, warum so viele Länder nicht genannt werden: In Großbritannien gibt es massenhaft Desinformation rund um den Brexit, in Brasilien läuft eine andauernde Schlammschlacht mit Korruptionsvorwürfen zwischen allen Regierungsparteien, in Hongkong kämpfen pro-westliche und pro-chinesische Aktivisten um die zukünftige Ausrichtung des Landes, um nur ein paar bekannte Beispiele zu nennen. Es ist wenig glaubhaft, dass all die Verwirrung um all diese Ereignisse nur aus der Bevölkerung kommt, und nicht gezielt Regierungen oder zumindest Parteien sich an der Agitation beteiligen.
Ich wünsche Twitter viel Kraft, weiterhin Bots und Propaganda-Netzwerke zu identifizieren und die zugehörigen Accounts stillzulegen. Es gibt da sehr viel zu tun!