Klage der Telekom gegen 1&1 weitgehend zurückgewiesen
Das Landgericht Koblenz hat heute in einem Verfahren, das die Deutsche Telekom gegen 1&1 angestrengt hatte, "in zentralen Punkten zu Gunsten von 1&1" entschieden und die Anträge der Deutschen Telekom abgewiesen, teilte 1&1 heute mit.
"Unmittelbar nach Inbetriebnahme des 1&1 Mobilfunknetzes auf Basis der innovativen Open-RAN-Technologie", so der vierte Netzbetreiber, habe die Deutsche Telekom ein gerichtliches Verfahren gegen 1&1 angestrengt, dessen Urteil heute verkündet wurde.
Gericht verpflichtet 1&1 zur Klarstellung
Das Landgericht Koblenz hat sich unter dem Aktenzeichen
4 HK O 1/23 mit einem Streit zwischen der Deutschen Telekom und 1&1 beschäftigt
Foto: Landgericht Koblenz / Justiz Rheinland-Pfalz
Das Urteil wird der Telekom weniger gefallen. Demnach muss 1&1 zwar Details zur Netzabdeckung in der werblichen Darstellung "geringfügig klarstellen" (z.B. durch Verweise in Fußnoten). Jedoch sei die Deutsche Telekom "mit dem Versuch gescheitert, die Vermarktung des ersten auf dem 1&1 Netz realisierten 5G Produktes verbieten zu lassen", freut sich 1&1. Auch sei das Gericht nicht dem Telekom-Antrag gefolgt, 1&1 "den Bau des modernsten 5G-Netzes Europas" abzusprechen.
Dem "ausführlichen und gut belegten Vortrag von 1&1, dass das Unternehmen auf Basis der neuartigen Open-RAN-Technologie Europas modernstes Mobilfunknetz errichtet", hätte die Telekom keine Argumente entgegenzusetzen, die das Gericht überzeugen konnten, stellt man bei 1&1 mit Genugtuung fest.
1&1 bekräftigt den Wunsch, mit Open-RAN weiterzubauen
1&1-AG Chef Ralph Dommermuth erklärt selbstbewusst: "Im Dezember 2022 haben wir erfolgreich das erste Open RAN Europas in Betrieb genommen. Eine technologische Meisterleistung, die zeigt, wie innovativ cloudbasierte Mobilfunknetze heutzutage sein können."
Die neuartige Open-RAN-Technologie ermöglicht durch offene, standardisierte Schnittstellen die beliebige Kombination von Komponenten verschiedener Hersteller, steckt aber nach Ansicht von neutralen Fachleuten noch in den Kinderschuhen. Ursprünglich hatte 1&1 sich ein vom Systemlieferanten ZTE fertig aufgebautes Netz "mieten" wollen, bekam aber frühzeitig signalisiert, dass das politisch nicht "opportun" gewesen wäre. Stolz erklärt man nun, "als einziger Mobilfunk-Netzbetreiber in Deutschland" auf die Technologie von Huawei zu verzichten und auch ansonsten nicht auf chinesische Ausrüster zurückzugreifen.
Vorwürfe an die Konkurrenz
Einer der wenigen eigenen Senderstandorte von 1&1 auf
2600 MHz (Band 7 LTE) und 3500 MHz (Band n78 NR/5G) in Montabaur (Bahnhofsplatz)
Foto: Henning Gajek / teltarif.de
Für 1&1 ist "der Versuch der Deutschen Telekom, den Markteinstieg von 1&1 gerichtlich verbieten zu lassen", eine Folge von "vielzähligen Bestrebungen der etablierten Mobilfunknetzbetreiber ein, den Start eines wettbewerbsfähigen vierten Mobilfunknetzes zu behindern und ihr Oligopol zu schützen."
Und betont: "1&1 bleibt fest entschlossen, ein viertes, besonders innovatives Mobilfunknetz in Deutschland zu errichten." Schließlich sei Deutschland das einzige große EU-Land mit nur drei Mobilfunknetzen. Um diesen Status zu erhalten, versuchten Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica bereits vor der 5G-Frequenzvergabe 2019, die u.a. den Weg für einen wettbewerbsfähigen vierten Mobilfunknetzbetreiber ebnen sollte, mit gerichtlichen Eilanträgen die Durchführung der Auktion juristisch zu verhindern.
Verhandlungsgebot unterlaufen?
Die Bundesnetzagentur hatte im Rahmen der Frequenzvergabe ein Verhandlungsgebot zur Gewährung von National Roaming vorgesehen, um den Kunden eines Neueinsteigers auch während des Aufbaus seines Netzes eine bundesweite Netzabdeckung zu ermöglichen. Die Nutzung von National Roaming beim Netzaufbau ist in vielen Ländern Standard und wurde beispielsweise auch Telefónica/o2 (vorher VIAG-Interkom) 11 Jahre lang von der Deutschen Telekom gewährt.
Das von der Bundesnetzagentur vorgegebene Verhandlungsgebot mit 1&1 sei jedoch von den drei etablierten Netzbetreibern mit unzureichenden und zeitlich stark verzögerten Angeboten unterlaufen. Daher habe 1&1 die Bundesnetzagentur als "Schiedsrichter" anrufen müssen. Ein Einschreiten der Bundesnetzagentur erledigte sich erst dadurch, dass die EU-Kommission Telefónica nach über zweijährigen Verhandlungen auf Basis einer parallelen Fusionsauflage zu einer Nachbesserung ihres Angebots verpflichtete, betont 1&1.
Turmgesellschaften fahren "Verhinderungsstrategie"?
Wie schon berichtet, setze sich "die Verhinderungsstrategie bei der Mitnutzung von Mobilfunkstandorten fort, die von sogenannten Tower Companies (Turmgesellschaften) bereitgestellt werden", schimpft 1&1 und erinnert daran, eine "Behinderung seitens Vodafone" durch das Bundeskartellamt prüfen zu lassen.
1&1 legt aber noch kräftig nach: "Gleichzeitig lobbyieren die etablierten Mobilfunknetzbetreiber Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica einmütig dafür, 1&1 in der kommenden Frequenzvergabe essenzielles Frequenzspektrum vorzuenthalten."
Allerdings sollte nicht übersehen werden: Die Entscheidung des Landgerichts Koblenz unter dem Aktenzeichen 4 HK O 1/23 ist noch nicht rechtskräftig.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Dass 1&1 beabsichtigt, ein Mobilfunknetz auf der Basis von Open RAN aufzubauen, wurde vom Unternehmen schon mehrfach angekündigt. Bis heute ist aber gründlich versäumt worden, die Öffentlichkeit über praktische Details zu informieren, etwa durch die Möglichkeit, z.B. im Rahmen von "Friendly User Tests", sich eigene Eindrücke vom neuen Netz zu verschaffen oder wenigstens Einblicke in die aktuelle Ausbauplanung, technische Details oder den Baufortschritt zu geben. Dadurch entstand der Eindruck, dass der "angekündigte Aufbau" des Netzes eher taktischer Natur sein könnte.
Aktuell gibt es bei 1&1 drei offizielle und noch einige weitere inoffizielle Standorte, die aber für einen mobilen Betrieb noch nicht freigegeben und somit von Kunden nicht nutzbar sind. Die drei offiziellen Standorte sind nur für den "ortsfesten" Betrieb gedacht. Wie viele Verträge mit externen Kunden, die nicht geschäftlich mit 1&1 oder seinen Töchtern in Verbindung stehen, geschaltet wurden, ist nicht bekannt.
1&1 hatte vier Jahre Zeit (die 3500-MHz-Lizenzen wurden 2019 vergeben und die sofort nutzbaren 2600 MHz bei o2 gemietet), Standorte aufzubauen. Was haben sie die ganze Zeit bloß getan? Das weckt beim Beobachter gewaltige Zweifel.
Ganz Deutschland leidet unter dem löchrigen Netzausbau. Ein viertes Netz muss quasi bei Null anfangen und hilft daher im Augenblick überhaupt nicht, echte Funklöcher zu stopfen, zumal sich das für einen neuen Anbieter auch niemals rechnen würde.
In den USA beispielsweise haben alle Mobilfunkanbieter untereinander nationale Roaming-Abkommen. In Deutschland gibt es das nicht. Gäbe es das, würde des 1&1 gewaltig helfen. Je nach möglichen Preisen könnte es aber den Unternehmen, die wirklich noch selbst ausbauen, die Lust zum Ausbau gründlich verderben. Nicht wenige fordern eigentlich ein einziges flächendeckendes Netz, das dann allen Anbietern zu gleichen Konditionen vermietet werden sollte.
Ein durch vier Spieler verschärfter Wettbewerb wird sich also am Ende nur in den Preisen abspielen. Das Geld, was alle Anbieter in Preissenkungen, Rabatte etc. stecken müssen, fehlt für den Netzausbau, genauso wie das Geld bei sündhaft teuren Frequenz-Auktionen.
Viele Mitbürger stehen neuen Sendestandorten skeptisch gegenüber, aus Angst vor unbekannter Strahlung oder aus optischen Gründen ("sieht ja schlimm aus"). Somit scheidet die Chance, ein eigenes Netz auf eigenen Standorten aufzubauen, oft aus. Die neuen Sender werden also dort dazugestellt, wo schon andere Netzbetreiber aktiv sind.
Da 1&1 offenbar weiterhin stark entschlossen ist, ein "eigenes" Netz aufzubauen, sollten die etablierten Netzbetreiber sich besser überlegen, wie sie zusammenarbeiten können, damit die löchrige Gesamt-Netz-Abdeckung endlich flächendeckend wird und 1&1 genügend Luft zum Überleben hat.
1&1 wiederum muss verstehen, dass vier mehr oder wenige löchrige Netze keine Vorteile bieten. Die Kunden müssen verstehen, dass es ein flächendeckendes Netz nicht zum Ramschpreis geben kann und wird.
Ausführlich haben wir den Stand der Gerüchte und Berichte um das vierte Netz vorgestellt.