VATM: Theoretisch 24 Millionen Gigabit-fähige Anschlüsse
In ungewohnter Umgebung im Rahmen einer virtuellen Pressekonferenz hat der VATM, der Anbieter von Telekomunikations- und Mehrwertdienstleistungen, heute die zweite Gigabitstudie [Link entfernt] vorgestellt.
Demnach soll es im zweiten Halbjahr in Deutschland 24 Millionen "gigabitfähige" Anschlüsse geben. Unter "gigabitfähig" zählt der VATM alle DOCSIS-3.1-Kabel(TV)Anschlüsse und alle FTTB/H-Glasfaserleitungen bis zum Haus oder zum Endkunden.
Damit sind das rund 5,5 Millionen oder fast ein Drittel mehr als es Ende 2019 gewesen war. Das hat die 2. Gigabit-Studie herausgefunden, welche die Unternehmensberatung "Dialog Consult" und der Verband heute vorgestellt haben.
Was ist "verfügbar"?
Rein theoretisch wäre jeder zweite Haushalt gigabitfähig. Das hat der VATM herausgefunden
Foto: VATM / dialog consult
Laut Definition werden mit "verfügbar" alle Anschlüsse eingestuft, bei denen das Kabel (Koax oder Glasfaser) entweder "leicht erreichbar hausbezogen" in der Straße liegt oder bereits bis zum Gebäudekeller oder schon bis hinein in die Wohnung reicht – unabhängig davon, ob ein Carrier für diesen Anschluss mit dem Endkunden schon einen Vertrag abgeschlossen hat (verfügbare aktive Anschlüsse) oder nicht (verfügbare nicht aktive Anschlüsse).
92 Prozent (22,2 Millionen) dieser "Highspeed"-Anschlüsse werden in Deutschland von den Wettbewerbern, acht Prozent von der Telekom zur Verfügung gestellt, hat die Studie herausgefunden. Im Sommer werde schätzungsweise rund die Hälfte der Haushalte (21,4 Millionen) mit Gigabit-tauglichen Anschlüssen versorgt werden können – wenn die aktuelle Covid-19-Pandemie nicht noch zu großen Verzögerungen führen sollte.
„Digitalisierung und Gigabit-Ausbau sind so wichtig wie noch nie – das haben die vergangenen Wochen in der Corona-Krise sehr deutlich gezeigt. Wir sollten daraus lernen und nicht nur den Breitbandausbau, sondern auch die Digitalisierung in Deutschland in den verschiedenen Bereichen konsequent weiter vorantreiben“, betont VATM-Präsident Martin Witt, der auch Vorstand der Drillisch Netz AG, Vorstandsvorsitzender der 1&1 Telecommunication SE und Geschäftsführer 1&1 Drillisch online GmbH ist.
"Gute Zahlen, Glas halb voll"
„Die Zahlen sind gut, und es geht schnell voran. Das Glas beim Gigabit-Ausbau ist nicht halb leer, sondern halb voll“, bewertet TK-Experte Prof. Dr. Torsten J. Gerpott, wissenschaftlicher Beirat der Unternehmensberatung Dialog Consult [Link entfernt] und Inhaber des Lehrstuhls für TK-Wirtschaft an der Universität Duisburg-Essen.
Die Zahl der verfügbaren Gigabit-Anschlüsse über Breitbandkabel steige im ersten Halbjahr um mehr als ein Drittel auf 19,25 Millionen Anschlüsse. „Die meisten neuen Gigabit-Anschlüsse entstehen auf Basis der Koaxkabel-(HFC)-Breitbandkabel-Infrastruktur, schnell und ohne viel Tiefbau. Mit der Verlegung neuer Kabel und bekanntlich entsprechend höheren Investitionen geht der Glasfaserausbau per FTTB/H voran und dies erfreulicherweise insbesondere auf dem Land“, erläutert Prof. Torsten J. Gerpott das umfangreiche Zahlenwerk.
Allerdings, so muss er auf Nachfrage einräumen, gibt es keinerlei Zahlen, wie viele Häuser nur mit FTTB (Glasfaser nur bis in den Keller) und wie viele direkt mit FTTH (Glasfaser bis zum Teilnehmer) ausgerüstet sind.
Zahl der verfügbaren FTTB/H-Anschlüsse wächst um 600.000
Mehr als verfügbare 600.000 FTTB/H-Anschlüsse sollen im ersten Halbjahr dazukommen – insgesamt wären es dann 4,75 Millionen. Rund drei Millionen wurden oder werden von den Wettbewerbern gebaut. Auch im europäischen Vergleich geht es für Deutschland aufwärts: Bei FTTH/B ("Homes passed", also Häuser, die man anschließen könnte oder schon angeschlossen hat) ist Deutschland laut neuester Zahlen des FTTH Council Europe (New Fibre Market Panorama, p.7, 23. April 2020) zu 2019 unter den Top 5 der am schnellsten wachsenden Märkte der 28 EU-Länder.
„Das Wachstum bei diesen Anschlüssen wird weiter zunehmen. Unter der Annahme, dass Bautätigkeiten durch die aktuelle Pandemie nicht weiter eingeschränkt werden müssen, erwarten wir über 5,5 Millionen Anschlüsse zum Jahresende“, so Prof. Torsten J. Gerpott. Mehr als ein Drittel der im Sommer 4,75 Millionen Glasfaseranschlüsse werden von den Endkunden auch genutzt (1,65 Millionen).
Auffällig dabei: Acht von zehn Endkunden buchen einen FTTB/H-Anschluss bei den alternativen Anbietern. „Da neue Glasfaseranschlüsse inzwischen oft abseits der bereits mit Breitbandkabel versorgten Gebiete gebaut werden, steigt der Anteil der Privathaushalte, die einen Gigabit-Anschluss beziehen können, bis Mitte 2020 rasch auf über 50 Prozent“, sagt Prof. Torsten J. Gerpott voraus.
„Hinter den FTTB/H-Ausbau-Zahlen stecken hohe Investitionen, die dankenswerterweise zunehmend nach Deutschland fließen. Noch nie wurde so viel privates Kapital nach Deutschland in den TK-Markt gepumpt, wie nunmehr angekündigt“, betont VATM-Präsident Witt. Und er räumt ein: "Auch die Telekom investiert nun mehr – endlich, aber noch nicht so viel wie erforderlich, aber es zeigt sich – wie wir vorhergesagt haben, dass der intensive Ausbau-Wettbewerb hierzu führt, ohne dass sich etwa die regulatorischen Rahmenbedingungen verändert haben."
Alle setzen auf Open Access
Die Investoren setzen fast durchweg auf den "Open Access“, betont Witt. Diese guten Nachrichten seien aber kein Grund, nicht weiter für zügige Verbesserungen zu sorgen, damit schneller ausgebaut werden könne – im Festnetz und im Mobilfunk. Denn auch der Mobilfunkausbau profitiere maximal von einem optimalen Glasfaserausbau. Hierzu habe man viele Anregungen gegeben. „Wir dürfen trotz Corona den Breitbandausbau nicht vernachlässigen, obgleich wir natürlich die derzeitigen Prioritätensetzungen in der Politik für absolut richtig halten“, bekräftige Witt.
Geringe Nachfrage nach Gigabit?
Ein Problem für den wirtschaftlichen Ausbau von Gigabit-Anschlüssen in Deutschland ist nach wie vor die häufig vergleichsweise noch zu geringe "Take-Up-Rate." Darunter versteht die Branche die Quote der Kunden, die einen theoretisch möglichen Gigabit-Anschluss auch wirklich buchen. Gründe dagegen sind beispielsweise der mangelnde Bedarf (Braucht ein Privathaushalt mit gelegentlicher Internetnutzung schon 1 GBit/s?) und die doch recht hohen monatlichen Kosten, die bei 40 Euro bis 100 Euro pro Monat und mehr liegen können.
„Wir haben daher schon vor längerer Zeit eine 'Digitalisierungsprämie' beim Ausbau vorgeschlagen, die unmittelbar anschlusswilligen Bürgern zugutekommen würde, weil der Umstieg auf Glasfaser kostengünstiger würde“. Davon verspricht sich der Verband einen deutlichen Schub für Deutschlands Weg in die Digitalisierung.
Mehr Bürger pro Kilometer
Mehr Bürger pro Ausbau-Kilometer aufs Netz zu bringen, sei der einzig erfolgreiche Weg, da aufgrund beschränkter Baukapazitäten nicht beliebig mehr Kilometer gebaut werden könnten. Von einer möglichst guten Take-Up-Rate hängen letztlich die Investitionen aller privaten Anbieter, aber auch der Telekom ab“, betont Witt.
Der VATM setzt sich seit langem für eine vernünftige Förderkulisse ein, die den eigenwirtschaftlichen Ausbau nicht gefährdet. Brüssel lehne eine bedingungslose gleichzeitige Förderung aller grauen Flecken aus verständlichen Gründen ab. Der Vorschlag des VATM sei tragfähig. „Wir können es aber nur gemeinsam schaffen – Wirtschaft und Politik – und dafür stehen wir mit den Ministerien und der EU im konstruktiven Dialog“, sagt VATM-Präsident Witt. So hat der VATM das Thema Entbürokratisierung und Optimierung des Glasfaserausbaus im Rahmen des Digital-Gipfels der Bundesregierung 2019 hochkarätig besetzt.
„Wir sind sehr froh, erste Erfolge sowohl auf Seiten des Bundes und der Länder vermelden zu können, so zum Beispiel einfachere Genehmigungsverfahren. Neue Vorschläge zur verstärkten Inhouse-Glasfaserversorgung seien wichtig. Man müsse sich sofort um hunderttausende Bürger kümmern, die keine Möglichkeit haben, bis 2025 an ein Glasfasernetz angeschlossen zu sein. Dies sei eine Aufgabe für ein ganzes Jahrzehnt und mehr. Gigabit für alle ist ein Marathon und kein Sprint“, mahnt Witt.
Corona führt zum Schub
Die Corona-Pandemie führt im Bereich der Digitalisierung zu einem enormen Innovations- und Akzeptanzschub. Gerade Behörden, aber auch Unternehmen stocken Bandbreiten auf, Privatkunden buchen für Homeoffice und Unterhaltung höherwertige Anschlüsse.
„Es bestätigt sich: Letztlich sind die Dienste auf den besten Hochleistungsnetzen das Entscheidende für die Kunden – heute und erst recht in Zukunft. Nur wenn diese Netze vorhanden sind, wird Deutschland auch Spitzenreiter bei den innovativsten Diensten und Anwendungen sein. Nur so werden wir die digitale und wirtschaftliche Zukunft Deutschlands erfolgreich gestalten“, ist sich Witt sicher.