Themenspezial: Verbraucher & Service Hin und her

Editorial: Sende mich nicht zurück!

Amazon sperrt Kunden, die die Kulanz des Versandhändlers überstrapazieren, auf Lebenszeit. Gibt es wirklich keine Alternative zu diesem sehr harten Schritt?
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Sind Amazons Sperrungen auf Lebenszeit wirklich nötig? Sind Amazons Sperrungen auf Lebenszeit wirklich nötig?
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Das Gespenst der Amazon-Kontensperrungen geht um: Immer wieder bekommen Kunden des Online-Versandhändlers E-Mails, in denen ihnen angeblich wegen exzessiver Nutzung des Widerrufsrechts die lebenslange Sperrung des Amazon-Kontos verhängt oder zumindest angedroht wird. Dabei fragt man sich, was der weltweit größte Versandhändler damit bezwecken will: Sein eigenes Markenimage ramponieren, um das weitere Wachstum zu verlangsamen? Die Kunden disziplinieren, um die eigenen Kosten zu senken?

Kunden zu gängeln, ist gerade im Billigsegment nicht unüblich. In den Wachstumszeiten von Aldi in den 60er und 70er Jahren des letzten Jahrhunderts war es durchaus Absicht, dass sich lange Schlangen vor der Kasse bildeten. Wer günstig einkaufen wollte, musste warten. Und mit welcher Verve Easyjet oder Ryanair am Gate die Maße des Handgepäcks ihrer Kunden kontrollieren, lässt sich ebenfalls mehr mit absichtlicher Gängelung erklären als mit den gigantischen zusätzlichen Umsätzen, die mit der nachträglichen Gepäckaufgabe erzielt werden.

Die 99 Prozent der Billigflieger-Fluggäste, bei denen die Stewardess beim prüfenden Blick aufs Handgepäck nichts zu bemängeln hatte, werden vor dem nächsten Flug dennoch besonders akribisch darauf achten, dass sie alles wieder für ok befindet. Und demnach beim Packen sofort ins Grübeln kommen, was wieder raus kann, sollte sich die Tasche doch bedenklich ausbeulen. Am Ende fühlen sich die Kunden dann als Sieger - sie haben alles richtig gemacht - und die Fluglinien sparen Kosten: Je kleiner und leichter das Handgepäck ist, desto schneller geht das Boarding, und desto weniger Sprit verbraucht der Jet.

Doch Zeiten ändern sich: Inzwischen ist die Konkurrenz unter den Supermarktketten so groß, dass es sich keine mehr leisten kann, die Kunden mehr als zwei, drei Minuten vor der Kasse warten zu lassen. Ein Online-Händler im von Amazon eher vernachlässigten Bereich der Bekleidung wirbt sogar mit einem 100-tägigen Rückgaberecht. Er gestaltet die Versandverpackung so, dass sie sich auch nach dem Öffnen mittels eines zweiten Klebestreifens relativ einfach wieder verschließen lässt. Und innerhalb Berlins kann man bei diesem Händler derzeit testweise sogar einen Termin für die Abholung der Rücksendung vereinbaren - auf eine Stunde genau (also beispielsweise: "Am kommenden Mittwoch zwischen 20 und 21 Uhr"). Man hat bei diesem Händler also schon fast das Gefühl, etwas falsch zu machen, wenn man tatsächlich alle Teile einer Lieferung behält und nichts zurücksendet.

Service korrekt?

Sind Amazons Sperrungen auf Lebenszeit wirklich nötig? Sind Amazons Sperrungen auf Lebenszeit wirklich nötig?
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Konfrontiert mit der Gefahr, dass bei zu vielen Service-Fällen das Konto auf Dauer gesperrt wird, muss der Kunde hoffen, dass Amazon bei Service-Fällen die jeweilige Schuld korrekt ermittelt. Im Büro von teltarif.de ging beispielsweise einmal ein von Amazon gelieferter Kaffee-Vollautomat schon nach wenigen Wochen kaputt. Nach Reklamation bei Amazon stellte sich heraus, dass das Berliner Service-Center des Herstellers nur wenige Kilometer vom Büro entfernt ist, und wir erklärten uns bereit, den Kaffeeautomaten selber dorthin zu bringen und wieder abzuholen. Damit die Redaktion während der Reparaturzeit keinen Kaffee-Notstand erleidet, wollte Amazon ein Ersatzgerät zur Verfügung stellen. Dazu sollten wir einfach den Kaffee-Vollautomaten abermals bestellen, und dann, nach Abschluss der Reparatur, unter Vorlage von Rechnung und Nachweis der Garantie-Reparatur des defekt gegangenen Erstgeräts wieder zurücksenden. Wir würden dann den Kaufpreis für das Leihgerät erstattet bekommen.

Die Reparatur dauerte circa 10 Tage, seitdem funktioniert der Kaffee-Vollautomat einwandfrei, sogar schon jahrelang, weit über die erwartete Lebensdauer hinaus. Auch die Rücksendung und die Erstattung des Kaufpreises des vorübergehend genutzten Ersatzgeräts verlief reibungslos. Nur: Hat der Service-Mitarbeiter bei Amazon den Fall damals auch richtig verbucht, also als Defekt des zuerst gelieferten Geräts, für den wir nichts konnten? Oder hat der Service-Mitarbeiter, der das zwei Wochen lang als Ersatzgerät benutzte und folglich definitiv nicht mehr neuwertige Gerät bei Amazon in Empfang nahm, nicht doch im Formular die beiden Haken "Gerät wurden unzulässigerweise in Betrieb genommen" und "Kulanzverzicht auf Regress beim Kunden" gesetzt, weil er das sonst auch so tut, wenn er nicht mehr neuwertige Ware wieder auspackt?

Noch schwierigere Bewertungsfragen entstehen, wenn der Kunde Ware wieder zurücksendet, die in schlechtem Zustand bei ihm angekommen ist. Glaubt Amazon dann bei der Entgegennahme der Rücksendung, dass nicht der Kunde das Problem zu verantworten hat, sondern ein schludriger Amazon-Mitarbeiter beim Versand und/oder bei der Annahme einer früheren Retoure?

Warum so harsch?

Gerade, weil es viele dieser "grauen" Fälle gibt, wo sich die Schuldfrage nicht eindeutig klären lässt, und weil zudem die Gefahr, dass ein Amazon-Mitarbeiter selbst bei Service-Fällen mit klarer Schuld bei Amazon dennoch die falschen Zuordnungen macht, stellt sich die Frage, warum Amazon gleich mit solcher Härte - Sperrung auf Lebenszeit - reagieren muss. Es gäbe ja auch andere Möglichkeiten: Vorübergehende Sperre oder eine Sperre für bestimmte Warengruppen.

Easyjet verweist Kunden, die zu großes Handgepäck zum Gate schleppen, ja auch nicht des Flughafens, sondern schickt sie lediglich zurück zum Check-In-Schalter, um die Tasche für eine - zugegebenermaßen fürstliche - Gebühr nachträglich aufzugeben. Auch daran könnte Amazon sich ein Vorbild nehmen: Unliebsame Kunden werden zu einem Prime-Abo verpflichtet, bekommen dafür aber nicht die sonst übliche Versandkostenbefreiung. Wenn das immer noch nicht reicht, um einen Kunden zu disziplinieren, dann steigt er in die Gruppe der besonders unliebsamen Kunden auf, die zusätzlich auch noch extra-hohe Versandkosten zahlen dürfen.

Am Ende profitieren alle: Amazon hat weniger negative Presse, die Kunden haben weniger Angst, und selbst, wenn sie wegen eines Fehlers von Amazon zeitweilig in die unliebsame-Kunden-Klasse rutschen, ist der Schaden am Ende überschaubar.

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