Filterknecht

Editorial: Hilfssheriff Google

Die automatische Fahndung nach Kinderporno-Dateien erscheint allenfalls auf den ersten Blick vernünftig. Sie birgt gleich mehrere Gefahren, sowohl für Kinder als auch für Computer-Nutzer.
Von

Der automatische Scan sämtlicher E-Mails ist ein Eingriff in die Privatsphäre. Der automatische Scan sämtlicher E-Mails ist ein Eingriff in die Privatsphäre.
Bild: dpa
Letzte Woche berichteten zahlreiche Medien darüber, dass Google, Microsoft und Facebook die E-Mails und/oder andere private Nachrichten ihrer Nutzer systematisch auf Kinderpornographie hin scannen und bei entsprechenden Verstößen eine zentrale Stelle zum Schutz vor sexuellem Kindesmissbrauch informieren. Dieses führte auch schon zu Verhaftungen. Zahlreiche deutsche E-Mail-Provider erklärten daraufhin, aus Datenschutzgründen keine vergleichbaren Filter einzusetzen. Durchlaufende E-Mails würden lediglich auf Viren und Spam geprüft.

Nun ist die Verbreitung von Kinderpornographie eine Straftat, die viele - zu recht - als besonders abstoßend empfinden. Von der reinen Strafandrohung her - drei Monate bis fünf Jahre Haft - rangiert sie in Deutschland aber nur auf einem mittleren Strafrang. Gleich hohe Strafandrohung gibt es beispielsweise für die Bestechung einer Amtsperson. Für Mord, Totschlag oder den tatsächlichen Missbrauch eines Kindes (und nicht nur der Weiterverbreitung der Aufnahmen eines bereits erfolgten Missbrauchs) sind deutlich höhere Strafen vorgesehen. In den USA ist die Situation ähnlich, wenn auch die Strafandrohungen generell erheblich höher sind.

Der automatische Scan sämtlicher E-Mails ist ein Eingriff in die Privatsphäre. Der automatische Scan sämtlicher E-Mails ist ein Eingriff in die Privatsphäre.
Bild: dpa
Wenn man schon überhaupt - unter Einschränkung der Grundrechte, insbesondere dem auf das Telekommunikationsgeheimnis - befürwortet, dass E-Mail-Provider private Nachrichten nach strafbaren Inhalten durchsuchen und entsprechende Verdachtsmomente weiterleiten, dann muss man dennoch die Frage stellen, warum bei diesen E-Mail-Filtern nicht die schwersten Taten im Mittelpunkt stehen, insbesondere Mord, Totschlag oder die tatsächliche Produktion von Kinderpornographie, sondern stattdessen "nur" nach weiteren Kopien bereits erfolgter Missbräuche gesucht wird. Denn die Filter können mitnichten zwischen legalen Erwachsenen- und illegalen Kinderpornos unterscheiden; vielmehr gleichen sie die verschickten Bilder mit einer Fahndungsliste ab, die aus den Hash-Werten von in der Vergangenheit beschlagnahmten Kinderpornos besteht.

Insbesondere birgt die konkrete Form der automatisierten Fahndung nach alten Filmen sogar die Gefahr, dass mehr Kinder missbraucht werden: Wird altes Material nämlich automatisiert ausgefiltert, könnte das in der Szene das Verlangen nach neuen Filmen steigern, die die Filter noch durchlassen. Das könnte dann mehr Missbrauch von Kindern nach sich ziehen - dabei will man die Kinder doch schützen, nicht in Gefahr bringen!

Öffentliche versus private Kommunikation

Es ist verständlich und richtig, dass Suchmaschinen wie Google oder Bing alle Medien im Suchmaschinen-Index mit den Hash-Werten von bekannten Kinderpornos abgleicht. So können entsprechende Bilder und Videos, die in so gut wie allen Staaten dieser Welt strafbar sind, aus dem Suchmaschinen-Index entfernt werden. Keiner will bei der Suche nach ganz harmlosen Suchbegriffen plötzlich Ekelbilder sehen, nur, weil ein besonders perverser Kinderschänder eine Site mit solchen Bildern auf die normalen Suchbegriffe optimiert hat.

Bei privater Kommunikation zwischen zwei Usern sieht es aber anders aus: In einem freien Land sind direkte Nachrichten von Nutzer A zu Nutzer B nicht zu zensieren, selbst, wenn Außenstehende C, D und E diese für anstößig, illegal und/oder gefährlich halten. Gerade bei Kinderpornographie-Delikten über das Internet gibt es zahlreiche regelmäßig erfolgreiche Fahndungsansätze, etwa die Auswertung von E-Mail-Logs ertappter Kinderporno-Konsumenten oder der Zahlungsströme an entsprechende kostenpflichtige Sites. Folglich gibt es keinen Bedarf, E-Mail-Provider zu Hilfssheriffs zu machen.

Zudem enthält die automatisierte Fahndung beim Provider erhebliches Missbrauchspotenzial: Dieselben bösartigen Trojaner, die Transaktionen beim online-Banking abfangen und umleiten, wären auch in der Lage, einem Opfer Kinderpornographie unterzuschieben und "in dessen Namen" E-Mails mit den Kipo-Dateien als Anhang zu versenden. Wer einen Gegner eine Zeit lang ausschalten will, müsste also nur dessen Google-Account hacken und gefakte E-Mails mit KiPo-Anhang verschicken. Wollen wir es wirklich den bösen Jungs so leicht machen, rechtschaffene Bürger ins Gefängnis zu bringen!?

Weitere Editorials