EU-Kommission: Angriff auf Netzneutralität?
54 Mitglieder des Europäischen Parlaments hatten im Juli einen offenen Brief an die EU-Kommission geschrieben.
Gefahr der Nicht-Gleichbehandlung?
Wenn große Content-Lieferanten wie YouTube (Google), Amazon, Netflix etc. an bestimmte Telekommunikationsunternehmen spezielle Extra-Beiträge zahlen müssten, um sich damit an deren gestiegenen Kosten zu beteiligen, könnte das zu einer Ungleichbehandlung im Netz ("Netzneutralität") führen. Im Übrigen habe die Kommission noch keine klaren Details veröffentlicht, wie das genau aussehen könnte.
Wie können steigende Datentransferkosten und Netzneutralität unter einen Hut gebracht werden?
Foto: Picture Alliance / Carolyn Kaster/AP/dpa
Vestager und Breton dementieren
In ihrer Antwort dementierten die zuständigen EU-Kommissare Margrethe Vestager und Thierry Breton, dass ihre Überlegungen zur Einführung von Zugangsgebühren für Internetanbieter nichts mit der Abschaffung der Netzneutralität zu tun hätten, sie wollten die Arbeiten daran fortsetzen.
Nach Aussagen der EU-Kommissare Vestager und Breton an anderen Stellen könnte es Internet-Zugangsanbietern künftig erlaubt werden, Zahlungen von Online-Plattformen zu verlangen, befürchten die Kritiker.
Keine Rückkehr zum früheren Telefonmarkt
Die EU-Abgeordneten hatten in ihrem Protestschreiben an die Kommission betont, dass die Kommissionspläne eine verhängnisvolle Rückkehr zum früheren Telefonmarkt wären, bei dem Telekommunikationsunternehmen ihre Monopole ausnutzen konnten, um Kommunikation teuer zu machen. “Wir fordern Sie auf, eine bessere Strategie zur Förderung der Konnektivität in Europa zu verfolgen”, hieß es in dem Abgeordnetenbrief.
Zu den Unterzeichnern gehörten unter anderem die Liberale Claudia Gamon, die Vorsitzende des Binnenmarktausschusses Anna Cavazzini (Bündnis 90/Die Grünen), Tiemo Wölken (SPD), Cornelia Ernst (Die Linke) und Dr. Patrick Breyer von der Piratenpartei.
Breyer: Digitalkonzerne besteuern
Als einer der Initiatoren des Schreibens betonte der Europaabgeordnete Breyer, "dass die Digitalkonzerne einen gerechten Beitrag zum Gemeinwohl leisten (sollten)", dazu müssten sie fair besteuert werden. Aber: Die von der Kommission geplante Zugangsgebühr an die TK-Industrie bedeute die Abschaffung der Netzneutralität durch die Hintertür.
Diese Art von Zugangsgebühr würde den langjährigen Internetgrundsatz der Netzneutralität radikal abschaffen, der von allen Internetdienstanbietern verlangt, den Zugang zu allen Websites, Inhalten und Anwendungen mit der gleichen Geschwindigkeit und unter den gleichen Bedingungen zu ermöglichen, ohne Inhalte zu blockieren oder zu bevorzugen.
Für Netzneutralität
Nebenbei bestehe durch die gesonderten Zugangsgebühren die Gefahr, dass der Internetzugang teuer wird und der Zugriff auf wichtige Internetdienste verlangsamt oder sogar unterbrochen werde. "Die Piraten haben hart für die Netzneutralität gekämpft, und wir werden nicht zusehen, wie diese Kommission sie demontiert.” Letzte Woche hat das europäische Gremium der Telekomregulierungsbehörden (BEREC) eine Analyse der Vorschläge der Telekommunikationsindustrie veröffentlicht. Das Urteil der neutralen Regulierungsbehörden fällt kritisch aus: Sie warnen, dass Internetanbieter künftig ihr Terminierungsmonopol zulasten ihrer Kunden ausnutzen und das gesamte Internetökosystem gefährden könnten. Die Kosten für den Netzausbau würden aber weiterhin von den Nutzern getragen.
Trotz all dieser Kritik halte die EU-Kommission an ihren Plänen, die Netzneutralität auszuhöhlen, fest, kritisiert Breyer. Laut Medienberichten sei eine öffentliche Konsultation zu diesem Thema genau über die Weihnachtsfeiertage geplant. Das, so findet der Europaabgeordnete, wäre ein weiterer Versuch, das Ergebnis der Debatte vorweg zu nehmen und eine Beteiligung der Betroffenen wirksam zu unterbinden.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Dass die großen Content-Lieferanten wie Google, Amazon, Apple oder Netflix die Netze stark aus- und vielleicht auch überlasten, ist wohl allgemein unstrittig. Der Ausbau der Netze ist notwendig und das kostet viel Geld. Das könnten die Zugangsnetzbetreiber von ihren Endkunden verlangen, sprich die Preise erhöhen. Diese Kunden wollen das aber nicht bezahlen. Also fordern die großen TK-Anbieter von den Inhalte-Anbietern direkt Geld.
Viele Fragen bleiben: Wer muss was zahlen? Wer kriegt was? Betrifft es nur die großen Platzhirsche oder wirklich jeden Content-Lieferanten, also am Ende auch den private Nutzer, der seine Urlaubsbilder ins Netz stellt?
Wenn nur die ganz großen Telkos Geld bekommen, könnten dann nicht die Googles, Amazons und Netflix auch verlangen, dass ihr eigener teuer bezahlter Verkehr "bevorzugt" durchgeschleust wird? Kleinere Anbieter und deren Kunden schauen dann in die Röhre? Das wäre schnell ein klarer Verstoß gegen die Netzneutralität.
Wenn die Digitalkonzerne stärker besteuert würden, wäre im Prinzip Geld da, was als Subvention in den Netzausbau gesteckt werden könnte. Das ist jedoch bürokratisch, wenig effektiv und zeitraubend. Man darf gespannt sein, was die EU-Kommission beschließt.
Der Europa-Abgeordnete Breyer warnt auch vor einer geplanten Chatkontrolle.