Connected Car

Editorial: Neuauflage des Patentstreits

Wie viel am Auto gehört Nokia? Und darf Nokia von Daimler eine höhere Tantieme verlangen als von Volks­wagen?
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Wir erin­nern uns: Seit der Vorstel­lung des iPhone vor 13 Jahren streiten sich Apple, Samsung, Qual­comm und viele weitere darüber, wie wert­voll abge­run­dete Ecken, Entsperr­gesten und stan­dardes­sen­ti­elle Patente sind, die für alle Mobil­funk­dienste von 2G/GSM über 3G und 4G bis hin zu aktuell 5G nötig sind. Wer nun dachte, mit der 2018 endlich erzielten Eini­gung zwischen Samsung und Apple sei die Zeit der Patent­streit-Meldungen endgültig zu Ende gegangen, der hat sich getäuscht. Denn Mobil­funk wird immer wich­tiger und Base­band-Chips für den 4G- und/oder 5G-Netz­zu­gang finden sich in immer mehr Produkten. Und deren Hersteller finden es gar nicht lustig, für den Einbau der Chips künftig einen Teil ihres Umsatzes an die Mobil­funk­branche abgeben zu müssen. Wie viel vom Auto gehört Nokia? Wie viel vom Auto gehört Nokia?
Bild: Daimler
Aktuell sticht insbe­son­dere der Patent­pro­zess zwischen dem Auto­her­steller Daimler und dem Ausrüster Nokia heraus: Daimler verbaut in seinen Autos Tele­matik-Einheiten verschie­dener Zulie­ferer, nämlich Conti­nental, Valeo, Gemalto und Bury. Da diese auch Mobil­funk-Chips enthalten, haben sich die Zulie­ferer bei Nokia um eine Mobil­funk­li­zenz bemüht - jedoch verge­bens: Nokia lehnt es ab, mit den Zulie­fe­rern zu verhan­deln, und möchte statt­dessen nur direkt mit den Auto­her­stel­lern selber Lizenzen verein­baren. Dabei wird dann von Nokia ermit­telt, wie wert­voll für die Auto­käufer der jewei­ligen Marke die Mobil­funk­funk­tionen sind. Von dieser Wert­stei­ge­rung verlangt Nokia einen Prozent­satz. Da diese Wert­stei­ge­rung bei Unter- und Mittel­klas­se­autos geringer ausfällt, verlangt Nokia folg­lich von Massen­her­stel­lern wie Volks­wagen oder Peugeot pro Fahr­zeug eine deut­lich gerin­gere Patent­tan­tieme als von Daimler. Und das selbst dann, wenn dieselbe Tele­matik-Einheit mit demselben Mobil­funk­chip verbaut ist.

Daimler möchte daher mit den aktu­ellen Prozessen errei­chen, dass die Lizen­zie­rung der Mobil­funk-Tech­no­logie bereits auf der Kompo­nenten-Ebene erfolgt, unab­hängig davon, in welches Fahr­zeug die jewei­lige Steu­er­ein­heit später einge­baut wird. Sie sieht die Weige­rung Nokias, den Zulie­fe­rern entspre­chende Lizenzen für die stan­dardes­sen­ti­ellen Patente zu erteilen, als Miss­brauch der Markt­macht Nokias an. Schließ­lich hält Nokia inso­fern ein Monopol, als man ohne deren stan­dardes­sen­ti­ellen Patente keine Mobil­funk-Tech­no­logie imple­men­tieren kann.

Tatsäch­lich wird von Inha­bern von Stan­dard-Patenten verlangt, dass sie nach FRAND-Gesichts­punkten lizen­zieren: "Fair, Reason­able and Non-Discri­mi­na­tory". Nokia sieht es frei­lich als fair, ange­messen und nicht-diskri­mi­nie­rend an, die Patent­tan­tieme in Abhän­gig­keit der damit beim Produkt erzielten Wert­stei­ge­rung fest­zu­legen. Daimler fühlt sich hingegen diskri­mi­niert, weil sie mehr zahlen sollen als Volks­wagen.

Vorbild Apple

Wer da jetzt meint, ein Déjà-vu zu haben, liegt richtig: Beim Apple-Patent­streit ging es auch genau um dieses Problem. Apple hatte jahre­lang Basis­band-Chips, die eigent­lich für Mittel­klasse-Smart­phones bestimmt und lizen­ziert waren, in ihre hoch­prei­sigen iPhones einge­baut, sich dann aber gewei­gert, entspre­chend dem Wert der iPhones nach­zu­li­zen­zieren. Doch viele Jahre später, 2017, einigte sich Apple doch noch mit Nokia und zahlte hohe Beträge nach.

Persön­lich erwarte ich auch in den aktu­ellen Patent­ver­fahren einen Sieg Nokias. Die Fest­le­gung der Patent­tan­tieme in Abhän­gig­keit vom Umsatz ist zwar eine Beson­der­heit der Mobil­funk­branche, da in vielen anderen Berei­chen, auch in der Elek­tronik, meist "pro Stück" gerechnet wird. Dasselbe Spei­cher­modul kostet immer denselben Preis, egal, ob es in einen einfa­chen Heim-PC, einen Gaming-PC oder einen Entry-Level-Server einge­baut wird. Und selbst Spei­cher­mo­dule für High-End-Server kosten nur einen über­schau­baren Aufpreis, vor allem, weil sie für die im Server benö­tigten Fehler­kor­rek­tur­bits im Vergleich zu normalen Modulen etwas mehr Spei­cher­chips und darüber hinaus zusätz­liche Puffer­bau­steine enthalten. Aber in der Mobil­funk­branche ist tatsäch­lich die Lizen­zie­rung "nach Umsatz" üblich. Nur durch diese sind zwar einfache, aber dennoch voll­wer­tige 20-Euro-GSM-Handys und 100-Euro-Smart­phones möglich geworden. Künftig von der Umsatz-Lizen­zie­rung nur deswegen abzu­wei­chen, weil sich Mobil­funk-Tech­no­logie in immer mehr Produkten findet, wäre eine riesige Diskri­mi­nie­rung - nämlich all derje­nigen, die sich dann kein Smart­phone mehr leisten könnten, weil sich der Preis durch die Pro-Stück-Lizen­zie­rung über Nacht verviel­facht hat.

Aktuell hat sich das Deut­sche Patentamt in die Verfahren - sie laufen gleich vor mehreren deut­schen Gerichten - einge­schaltet und alle Gerichte zur Vorlage der zu klärenden Rechts­fragen beim EuGH gebeten. Dabei geht es insbe­son­dere um die Frage, ob es rechts­miss­bräuch­lich ist, wenn Nokia die Lizenz­er­tei­lung auf Ebene der Zulie­ferer verwei­gert. Ich persön­lich erwarte, dass der EuGH hier mit einem "Nein" urteilen wird. Schließ­lich sind die von den Zulie­fe­rern herge­stellten Tele­matik-Einheiten auf dem freien Markt nicht handelbar. Wer diese nach einem Defekt als Ersatz­teil benö­tigt, muss sie in der Regel beim Hersteller kaufen, wenn er nicht auf dem Grau­markt eine aus einem Gebraucht- oder Unfall­wagen ausge­baute gebrauchte Einheit bezieht. Und, oh Wunder, bekann­ter­maßen liegen die Preise für Original-Ersatz­teile bei den Nobel­marken deut­lich höher als bei den Aller­welts­marken - und das selbst für gleich­wer­tige Ersatz­teile.

Im Fall der Tele­matik-Einheit kommen aber die wesent­li­chen Inno­va­tionen nicht von Daimler oder Volks­wagen, sondern von Nokia und den anderen Mobil­fun­k­ent­wick­lern. Und daher gehört letz­teren auch ein ange­mes­sener Teil des Mehr­werts, der mit dem Verkauf eben­dieser Einheiten erzielt wird. Prozen­tual auf den Verkaufs­preis bezogen, und nicht "nur" pro Stück. Auch, wenn das Daimler ärgert, weil das ihre Autos im Vergleich zu Volks­wagen noch etwas teurer macht.

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