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Editorial: Vorratsdatenspeicherung verfassungsgemäß

Aber nur für Bestandsdaten, nicht für Verbindungsdaten
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Lange hat sich das Bundesverfassungsgericht Zeit gelassen, um ein Grundsatzurteil zu der Frage zu fällen: "Dürfen Tk-Unternehmen die Bestandsdaten ihrer Kunden überhaupt an Ermittlungsbehörden wie Polizei und Staatsanwaltschaft übergeben? Und wenn ja, in welchen Fällen?" Denn die gesetzlichen Regelungen in §§ 111 bis 113 TKG listen zwar minutiös auf, welche Kundendaten erfasst und gespeichert werden müssen (etwa Name und Anschrift), enthalten aber kaum Einschränkungen, wann eine Beauskunftung zulässig ist.

Vom Prinzip her könnte also die Abfrage von tausenden Anschlüssen erfolgen, nur, um einen 5-Euro-Ladendiebstahl aufzuklären. Die Beschwerdeführer Patrick und Jonas Breyer, die auch an der erfolgreichen Massenklage gegen die Vorratsdatenspeicherung beteiligt waren, fordern jedoch nicht nur klare Einschränkungen bei der Datenweitergabe, sondern schon bei der Datensammlung: Wer will, soll sich eine Mobilfunk-Prepaidkarte auch anonym kaufen können.

Denn die Bestandsdaten sind für Ermittlungsverfahren sehr nützlich, teils sogar unabdingbar. Gerade durch Tk-Überwachung werden oft nur die Telefonnummern potenzieller Täter oder Komplizen ermittelt; die beim Anbieter hinterlegten Angaben zum Eigentümer des Anschlusses oder der SIM-Karte führen dann hoffentlich zum Täter selber. Ebenso fragen Ermittler oft nach PIN und PUK für beschlagnahmte SIM-Karten, um die dort gespeicherten Daten, u.a. Telefonbuch und abgelegte SMS, auslesen zu können.

Angesichts der Relevanz der Daten ist es schon verwunderlich, dass es bisher recht wenig Rechtsprechung zu deren Nutzung gibt. Das dürfte zum einen daran liegen, dass die Tk-Anbieter diese Daten auf Anfrage recht bereitwillig übermitteln, es also nur wenige Auskunftsklagen der Ermittlungsbehörden gegen die Tk-Anbieter gibt. Andererseits können anhand von Bestandsdaten überführte Täter schlecht eine Klage auf Rückgängigmachung der Übermittlung einreichen. Verwertungsverbote für unrechtmäßig erlangte Zeugnisse kennt das deutsche Strafprozessrecht - im Gegensatz zum Beispiel zum angelsächsischem Recht - so gut wie nicht.

Fast alles rechtens

Während das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung von Verbindungsdaten ("Welche A-Nummer ruft wann, von wo und von welchem Handy aus welche B-Nummer an, und wo ist B und welches Handy benutzt B?") wegen Unverhältnismäßigkeit verwarf, hat das Bundesverfassungsgericht die Vorratsdatenspeicherung von Bestandsdaten und die Beauskunftung aus diesem Datenschatz nun ausdrücklich als verfassungskonform bewertet. Die Richter erkennen dem Staat "anlassbezogen ein legitimes Interesse an der Aufklärung bestimmter Telekommunikationsvorgänge" zu, wobei "diesem Interesse zur Erfüllung bestimmter Aufgaben ein erhebliches, in Einzelfällen auch überragendes Gewicht zukommen kann". Mit anderen Worten: Damit ein Bombenleger an der Tat gehindert werden kann, ist es in Ordnung, dass es ein Verzeichnis aller Telefon- und Handy-Nutzer gibt. Den zugehörigen Grundrechtseingriff werten die Richter als gering: Es steht im Telefonbuch ja nur, dass man einen Festnetzanschluss oder eine SIM-Karte hat; nicht, was man damit macht. Persönlichkeitsprofile oder ähnlich lassen sich daraus nicht ableiten.

Korrekturen verlangte das Karlsruher Gericht lediglich an zwei Stellen: Die Speicherung und Beauskunftung über die Zuordnung von IP-Adressen zu Teilnehmern kann nicht implizit durch § 113 TKG miterledigt werden, sondern muss im Gesetz explizit geregelt werden. Und in § 113 TKG muss klargestellt werden, dass Auskünfte über PIN/PUK oder andere Passwörter nur dann erteilt werden dürfen, wenn die "gesetzlichen Voraussetzungen für ihre Nutzung gegeben sind". Für das Einfügen des IP-Nummern-Paragraphen und der Klarstellung, dass PINs und Passwörter nicht grundlos abgefragt werden dürfen, hat der Gesetzgeber nun 16 Monate Zeit. Bis dahin gelten Übergangsregelungen, die im wesentlichen die bisherige Praxis fortschreiben, insbesondere also weiterhin Auskünfte zu IP-Nummern und PINs/PUKs zulassen.

Angesichts der überschaubaren handwerklichen Korrekturen, die Karlsruhe fordert, verwundern die markigen Sprüche der klagenden Breyer-Brüder doch sehr: "Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist das Telekommunikationsgesetz zur Ruine rot-grünen Überwachungswahns geworden". Bei einem Haus spricht man ja auch nicht von einer Ruine, nur, weil die Heizung kaputt ist und repariert werden muss. Mit ihrem zentralen Anliegen, der Zulassung anonymer Prepaid-Karten, sind Patrick und Jonas Breyer jedenfalls vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert. Mit dem werden sie voraussichtlich weiterziehen, vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Dabei hätten anonyme Prepaid-Karten auch unbestreitbare Vorteile. Denn derzeit verwenden die Mobilfunk-Provider die Registrierungspflicht auch dafür, es Urlaubern möglichst schwer zu machen, für die Dauer des Aufenthalts eine alternative SIM-Karte des Gastlandes zu verwenden. Gerade begehrte Urlaubsländer wie Spanien fallen durch besonders rigide Registrierungsvorschriften und kurze Verfallszeiten einmal erworbener SIM-Karten auf. Und so bleibt doch die Mehrzahl der Reisenden beim immer noch teuren Roaming. Könnte man stattdessen einfach anonyme SIM-Karten des Ziellandes kaufen, wäre möglicherweise auch so manche Roaming-Regulierung überflüssig.

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