Eigeninitiative

Editorial: Woher gutes Personal nehmen, wenn nicht stehlen?

Fachkräftemangel ist "normales" Phänomen des Arbeitsmarktes
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Es gibt Dinge, die kehren immer wieder: So hört man die Klagen des IT- und Telekommunikations-Branchenverbandes BITKOM über einen Mangel an Fachkräften sowohl in wirtschaftlich schwierigen wie in guten Zeiten.

Auch andere Verbände und Organisationen beklagen den Fachkräftemangel - so stellte das "Institut für Wirtschaft" jüngst eine Ingenieurlücke [Link entfernt] von über 70 000 Mitarbeitern fest, die die Unternehmen jährlich über 7 Milliarden Euro kosten würde. Und selbst Lehrlingen im Handwerk fehlen einer Umfrage zufolge wesentliche PC-Kenntnisse.

Aus der Situation werden unisono dieselben Forderungen abgeleitet: Die Ausbildung an den Schulen muss verbessert, die Absolventenzahlen der technischen Studiengänge an den Universitäten und Fachhochschulen müssen erhöht und das Studium allgemein verschlankt und verkürzt werden. Zusätzlich muss qualifizierten Ausländern der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden. Nur die Gewerkschaften halten etwas gegen: Sie drängen auch auf mehr Eigeninitiative der Betriebe bei der Ausbildung.

Arbeitsmarkt: Die besten sind schnell weg

Nun ist Mangel an hoch qualifizierten Arbeitskräften nichts ungewöhnliches, sondern ein normales Phänomen des Arbeitsmarkts: Nach Schul-, Ausbildungs- bzw. Uni-Abschluss oder Entlassung bei ihrem bisherigen Arbeitgeber machen sich zwar Menschen ganz unterschiedlicher Qualifikationsstufe auf die Suche nach einem neuen Job. Wer aber den Anforderungen der Unternehmen am besten entspricht, hat sofort wieder einen Job. Dabei kann zur Not auch ein Hochqualifizierter auf einem Arbeitsplatz arbeiten, der ihn unterfordert. Diejenigen, die die Unternehmen als weniger nützlich empfinden, verbleiben hingegen lange auf dem Arbeitsmarkt und schreiten von Bewerbung zu Bewerbung. Je besser es der Wirtschaft geht und je leerer der Arbeitsmarkt wird, desto weniger qualifizierte Bewerber bleiben übrig.

Die Folge der genannten Verknappung: Für stark nachgefragte Qualifikationen müssen die Unternehmen immer mehr Geld bezahlen - auch ohne Streik und Gewerkschaft. Somit ist es kein Wunder, dass die Industrie versucht, mit den oben genannten Forderungen einen stetigen Nachschub an hoch qualifizierten Mitarbeitern zu schaffen, um im Gegenzug den Gehaltsanstieg zu bremsen.

Diese Situation - dass die Unternehmen Spitzenkräfte zum moderaten Gehalt suchen - brachte bereits der vor einigen Jahren eingeführten "Green Card" für ausländische Mitarbeiter einen zögerlichen Start. Länger als erwartet dauerte es, bis das erste Kontingent von 10 000 Arbeitserlaubnissen vergeben war; die zweiten 10 000 wurden bis zur Einführung des Zuwanderungsgesetzes nie ausgeschöpft. Insbesondere die hohen Anforderungen des Programms an Qualifikationsnachweis bzw. Mindestgehalt erwiesen sich als Stolpersteine.

Der Staat will alle vermitteln

Die Folge für den Staat: Er erreicht das Ziel Vollbeschäftigung eher, indem er in die Leute "ganz unten" investiert und diese zumindest auf ein mittleres Niveau hebt, als dass er mit Nachdruck noch mehr Spitzenkräfte produziert. Und schon gar nicht zielführend ist, in einem Schritt von ganz unten nach ganz oben kommen zu wollen, also beispielsweise Langzeitarbeitslose zu IT-Experten umzuschulen, wie es dennoch zeitweilig versucht wurde.

Wichtig ist für den Staat stattdessen, jeden dort abzuholen, wo er steht, und ihm eine faire Chance zu geben, einen Schritt weiterzugehen. Dazu gehört natürlich ein Uni-Studium für entsprechend qualifizierte Schulabschlüssler, dazu gehört aber auch ein Förderprogramm für Hauptschüler, die von ihren schlechten Noten runterwollen. An letzterem mangelt es in Deutschland derzeit mehr als an guten Studienmöglichkeiten.

Die Folge für die Unternehmen: Nicht nur nach dem Staat schreien, sondern stärker in eigene Ausbildung und Qualifikation investieren. Ebenso macht es Sinn, sich schon früh um die Jugend zu kümmern, nicht nur als mögliche Kunden, sondern auch als mögliche Mitarbeiter. Eine mit einer ortsansässigen Schule gemeinsam organisierte Betriebsbesichtigung ist sicher eher geeignet, das Interesse des einen oder anderen Schülers an IT- oder Ingenieursstudium zu wecken, als abstrakte Forderungen in den Medien.

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