Europäische Mobilfunker plädieren für Open RAN
Die fünf "führenden europäischen Telekommunikationsunternehmen" haben gemeinsam einen Bericht veröffentlicht, der auf Erkenntnissen des Analystenhauses Analysys Mason beruht. In dem Papier werden die politischen Entscheidungsträger, die EU-Mitgliedstaaten und die Wirtschaftsvertreter aufgefordert, zusammenzuarbeiten und dem offenen Mobilfunkzugangsnetz (Open RAN) dringend Vorrang einzuräumen.
Europa soll weiter führende Rolle bei 5G und 6G spielen
Die Grafik zeigt die Unterschiede zwischen proprietären und der Open-RAN Lösung.
Grafik: Open-RAN-MoU
Dies solle sicherstellen, dass Europa weiter eine führende Rolle bei 5G und in Zukunft auch bei 6G spielen könne. Ein "offenes, intelligentes, virtualisiertes und vollständig interoperables" Mobilfunkzugangsnetz, solle eine effektivere und effizientere Mobilfunkkommunikation ermöglichen. Das wäre die "wesentliche Voraussetzung dafür, dass Europa sein 5G-Ziel bis 2030 erreichen kann", forden die Mobilfunkanbieter.
Stärkere Lieferketten
Open-RAN werde dazu beitragen, "stärkere, widerstandsfähigere Lieferketten und Plattformen" zu schaffen sowie die digitale Eigenständigkeit und Technologieführerschaft zu fördern. Neue offene und disaggregierte (= in Einzelkomponenten zerlegte) Architekturen wie Open RAN geben den Betreibern die Flexibilität, 5G kostengünstig, sicher und energieeffizient auf mehr Nutzer auszuweiten. Diese Flexibilität wird branchenübergreifend zu mehr Innovation in Bereichen wie Telemedizin und sogenannten „intelligenten Fabriken“ führen.
Entschlossen handeln
Wenn die EU ihre Wettbewerbsfähigkeit, Technologieführerschaft und Widerstandsfähigkeit bewahren wolle, müsse sie "jetzt entschlossen handeln und zusammenarbeiten". Andernfalls, so der Bericht, besteht die Gefahr, dass Europa bei der Entwicklung und Einführung von Netzen der nächsten Generation hinter Nordamerika und Asien zurückfalle.
Der Bericht mit dem Titel „Building an Open RAN ecosystem for Europe" zeige, dass es in Europa derzeit nur 13 große Open-RAN-Akteure gebe, während es im Rest der Welt 57 seien. Viele europäische Akteure befänden sich dabei in einem frühen Entwicklungsstadium und haben noch keine kommerziellen Open-RAN-Verträge abgeschlossen, während Anbieter aus anderen Regionen bereits fortgeschritten seien.
Open RAN in USA und Japan sehr stark
"Die Politik in den USA und Japan, neben anderen Ländern, unterstützt Open RAN bereits stark. Die USA haben mehr als 1,5 Mrd. Dollar für die Finanzierung von Open RAN bereitgestellt, und Japan bietet finanzielle Anreize und Steuervorteile für Unternehmen, die entsprechende Ausrüstung entwickeln, liefern und betreiben. Es gibt zwar einige positive Beispiele auf nationaler Ebene, wie z.B. in Deutschland, aber die Europäische Union als Ganzes bleibt derzeit weit hinter der notwendigen Unterstützung für Open RAN zurück und gefährdet damit die Zukunftsfähigkeit eines europäischen Ökosystems, das mit anderen Regionen der Welt konkurrieren kann", so Caroline Gabriel, Research Director bei Analysys Mason.
5 politische Empfehlungen
Der Bericht enthält fünf politische Empfehlungen, mit denen die Kluft zu anderen internationalen Regionen überbrückt werden könne, um ein dynamisches und lebendiges Ökosystem europäischer Akteure zu schaffen, welches die Grundlage für die mobile Kommunikation von morgen bildet. Sie umfassen:
- Sicherstellung einer hochrangigen politischen Unterstützung für Open RAN. Europa muss mit einer gemeinsamen Stimme sprechen und Open RAN zu einer strategischen Priorität machen.
- Die Europäische Kommission sollte eine Europäische Allianz für Kommunikationsinfrastrukturen der nächsten Generation und einen Fahrplan für Innovationen schaffen, wie sie es bereits für Cloud und Halbleiter getan hat.
- Die politischen Entscheidungsträger sollten Finanzmittel und steuerliche Anreize für Betreiber, Anbieter und Start-ups bereitstellen, um die Entwicklung europäischer Lösungen entlang der gesamten Wertschöpfungskette für Open RAN auf der Grundlage von öffentlich-privaten Partnerschaften, Testumgebungen und offenen Labors zu unterstützen.
- Förderung der europäischen Führungsrolle bei der Standardisierung von Open RAN. Weltweit harmonisierte Normen gewährleisten Offenheit und Interoperabilität.
- Zusammenarbeit mit internationalen Partnern zur Förderung einer sicheren, vielfältigen und nachhaltigen digitalen und IKT-Lieferkette.
Die Ergebnisse würden durch die europäische Ökosystemstudie von Analysys Mason mit 98 untersuchten Unternehmen untermauert, welche die Größe der Marktchancen prognostiziere und aufzeige, was Europa zu verlieren habe, wenn die politischen Entscheidungsträger zögerten.
Ein Markt von 36 Milliarden Euro
Analysys Mason sagt voraus, dass der Umsatz von Open RAN-Anbietern bis 2026 weltweit 36,1 Milliarden Euro betragen könnte, wobei sich der Wert auf Open-RAN-Hardware und -Software (13,2 Milliarden Euro) und generische Anteile zum Betrieb einer RAN-Plattform (Chips, Dienste, Entwicklung und Cloud) aufteilt. Wenn die europäischen Betreiber im Jahr 2026 immer noch keine andere Wahl haben, als sich andernorts nach Open RAN umzuschauen, könnte dies den Prognosen von Analysys Mason zufolge 15,6 Milliarden EUR an Einnahmen der europäischen Industrie und ihren weltweiten Einfluss gefährden.
Strategie für digitalen Kompass
Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass Europa Open RAN in seine Industriepolitik und seine Strategie für den Digitalen Kompass aufnehmen und mit einem ehrgeizigen politischen Rahmen untermauern muss. Dies wird sich positiv auf andere wichtige Technologiebereiche wie Cloud, Software und Chipsätze auswirken und wesentlich zu den umfassenden technologischen Ambitionen eines digitalen Europas beitragen.
CTOs votieren für Open RAN
Telekom Technik Vorständin Claudia Nemat befürwortet die Open-RAN Technologie.
Foto: Picture-Alliance / dpa
Claudia Nemat, Vorständin Technologie & Innovation bei der Deutschen Telekom, fordert: "Wir müssen jetzt entschlossen handeln, um Europas Wettbewerbsfähigkeit bei der Entwicklung von Netzen der nächsten Generation aufrechtzuerhalten. Besonders in Nordamerika und Asien gibt es eine starke Unterstützung für Open RAN. Europa sollte eine führende Position im neuen Open-RAN-Ökosystem anstreben. Das wird dazu beitragen, Netzinnovationen und ihre Einführung zu beschleunigen sowie neue Dienste für Kund*innen zu schaffen.“
Ihr Kollege Michaël Trabbia, Technik-Chef bei Orange (Frankreich), findet, dass “Open RAN Technologie eine wesentliche Rolle in den Netzen von Morgen spielen wird, was uns die Möglichkeit geben wird, effizientere und günstigere Netze zu bauen."
Enrique Blanco, Technik Chef bei Telefónica, sieht “Open RAN als natürliche Weiterentwicklung der Funkzugangstechnologie (RAN) und das wird der Schlüssel für 5G-Netze sein. [...]" Open RAN werde ein Pfeiler der europäischen Industriepolitik werden.
Nicola Grassi, Technik-Chef bei Telecom Italia (TIM), sieht die Chancen wettbewerbsfähig zu sein. Ein lebendiges Open RAN Ökosystem werde die Innovation beschleunigen und ein wichtiger Test nicht nur für die Telekommunikations-Industrie sondern generell für Europa sein.
Johan Wibergh, CTO bei Vodafone, ist sich sicher, dass Open RAN mehr Europäischen Lieferanten die Chance geben wird, in den Markt einzusteigen. Wenn Open RAN kommen sollte, werde das der europäischen Wirtschaft gut tun. Würde man warten und nichts tun, könnte sich die Lücke noch vergrößern.
Memorandum of Understanding veröffentlicht
Anfang dieses Jahres hatten Deutsche Telekom, Orange (Frankreich), Telefónica (Spanien), TIM (Italien) und Vodafone Group (England, Deutschland, Spanien, Italien und weitere Länder) eine Absichtserklärung ("Memorandum of Understanding" - MoU) veröffentlicht, welche die Einführung von Open RAN als Technologie der Wahl für künftige Mobilfunknetze zum Nutzen von Privat- und Unternehmenskunden in ganz Europa unterstützen soll.
Im Rahmen des MoU wurden Mitte 2021 technische Leitlinien veröffentlicht, die neuen und bestehenden Anbietern helfen sollen, interoperable (passende) Software und Hardware zu entwickeln. Ziel ist es, ein wettbewerbsfähiges Open-RAN-Ökosystem zu schaffen, das Offenheit und Flexibilität fördert. Die Unterzeichner wollen die Anforderungen erweitern, um weitere Vorschläge für Intelligenz und Automatisierung einzubeziehen.
Darüber hinaus haben die Unterzeichner des Open-RAN-MoU vor, aktiv an auf Open RAN ausgerichteten Forschungs- und Entwicklungs-Projekten (F&E, R&D), teilzunehmen und die Edge-Computing-Initiativen in Europa unterstützen. Dabei sollen auch die sich ständig entwickelnden europäischen Sicherheitsinitiativen und eine stärkere Zusammenarbeit zwischen Industriegemeinschaften wie TIP, der O-RAN Alliance und Standardisierungsgremien wie 3GPP (3rd Generation Partnership Project, dem Standardgremium für 4G, 5G, 6G etc.) zählen.
Eine Einschätzung (von Henning Gajek)
Der Aufruf darf so verstanden werden, dass die EU-Kommission Fördergelder in das Thema 5G investieren soll, damit Europa nicht zwischen China und den USA zerrieben und zur digitalen Provinz wird. Nicht alle in der Branche sind sich sicher, ob Open RAN zur Erfolgsstory werden wird. Sicher, neue Anbieter bringen neue Ideen und sorgen für eine Belebung. Detaillierter definierte Standards und Schnittstellen wären toll, doch Kenner, wie der teltarif.de Gastautor Prof. Dr. Torsten J. Gerpott, bleiben skeptisch.